Die Nähe zu Leipzig beschleunige den demographischen Wandel im ländlichen Raum, sagt Nordsachsens Landrat Michael Czupalla (CDU) im L-IZ-Interview. Deshalb setzt er auf Vernetzungsstrukturen zum Oberzentrum Leipzig. Vom Bund erwartet Czupalla die Finanzierung der Betreuung von Menschen mit Behinderungen, die älter als 65 Jahre sind.
Herr Landrat, kürzlich lud der Deutsche Landkreistag zur Landkreisversammlung nach Berlin. “Landkreise gestalten den demografischen Wandel” lautete das Motto der Veranstaltung. Wie konkret ist denn der Landkreis Nordsachsen vom demografischen Wandel betroffen?
In meinem Alter sehe ich zuerst das Positive im demographischen Wandel, das längere Leben. Kritisch sind die niedrigeren Geburten- und Kinderzahlen zu sehen. Diese beiden Faktoren müssen betrachtet werden, wenn die sinkende Einwohnerzahl speziell in Nordsachsen interpretiert wird. Dies klingt alles noch überschaubar, wenig dramatisch.
Dies gilt auch für den Anstieg des Durchschnittsalters. Betrug das Durchschnittsalter im Landkreis im Jahr 1990 noch 37,7 Jahre, so stieg dieses auf 46,6 Jahre im Jahr 2011 an. Prognosen sagen eine weitere Alterung der Bevölkerung voraus. Im Jahre 2020 wird das Durchschnittsalter der Einwohner im Bereich Nordsachsen voraussichtlich 49,4 Jahre betragen.
Der demografische Wandel ist durch den Bevölkerungsrückgang besonders in ländlichen Gebieten spürbar. Seit 1990 bis zum Jahr 2011 ist die Bevölkerung im Landkreis Nordsachsen durch einen rückläufigen Trend in der Einwohnerzahl geprägt (- 14,1 %) und es wird ein weiterer Rückgang der Bevölkerung um 11,5 % von 2010 bis zum Jahr 2025 prognostiziert.
Welche Herausforderungen sehen Sie dabei?
Wir müssen aber genau auf die sich verringernden Altersgruppen achten. Damit meine ich den Wanderungssaldo. Für diese brauchen wir entsprechende Strategien und Anreize.
Hier gilt es, die Daseinsvorsorge für die Zukunft gemeinsam mit Bund, den Ländern und Kommunen sicherzustellen. Hierzu zähle ich beispielsweise auch die Ausstattung der ländlichen Räume mit Informations- und Kommunikationstechnik
Der Landkreis Nordsachsen ist Teil des Ballungsraumes Leipzig/Halle. Inwieweit schlägt sich diese geografische Lage demografisch nieder?
Das Oberzentrum Leipzig wirkt hier nur knapp über die Stadtgrenzen. Bereits in Delitzsch und Eilenburg kehrt sich der Wachstumstrend um. Aus meiner Sicht ist die Expansion der Großstadt Leipzig auf das Umland, bezogen auf die Bevölkerung, umgekehrt. Möchte sagen, es ziehen weniger Leipziger in das Umland, als dass Bewohner des Umlandes nach Leipzig ziehen.
Dies ist insbesondere für die Mittelzentren ein gefährlicher Trend, da damit der demographische Wandel im ländlichen Raum noch beschleunigt wird.
“Wenn wir dem Mut und nicht dem Zweifel die Vorfahrt geben, wird Deutschland den demografischen Wandel meistern, und unsere Landkreise werden bleiben, was sie sind: lebenswerte Regionen”, argumentierte Bundespräsident Joachim Gauck jüngst vor den versammelten Landräten. Was macht Ihnen für die demografische Zukunft von Nordsachsen Mut?
Auch die Beduinen halten die Sahara für eine lebenswerte Region.
Wir werden diesen Bevölkerungsrückgang nicht aufhalten können. Wenn es uns gelingt, die Lebensverhältnisse so umzugestalten, dass die Bürger des Landkreises dem Zitat des Bundespräsidenten zustimmen können, dann haben wir alles richtig gemacht. Allerdings wird es in Deutschland Regionen geben, die den Begriff “lebenswert” anders definieren.
Ein Patentrezept, wie dies gelingen kann, hat meiner Meinung nach niemand, es bedarf vieler Ideen und vieler Maßnahmen.Welche Maßnahmen halten Sie für wichtig?
Der Aufbau von Vernetzungsstrukturen zum Oberzentrum Leipzig ist sehr wichtig. Ein gutes Beispiel stellt dabei der Aufbau einer gemeinsamen Wirtschaftsförderungsgesellschaft für unsern Raum dar. Auch für andere Bereiche gibt es gute Ansätze. Im sozialen Sektor hat sich das sachsenweite Pflegenetz etabliert, wo unser Landkreis in der Aufbauphase als eine Modellregion diente.
Auch in der Jugendhilfe ist der Vernetzungsprozess intensiv gelebt. Nicht jeder Landkreis kann alle notwendigen Hilfseinrichtungen mehr in der gesamten Breite vorhalten. Eine enge Verzahnung über die Kreisgrenzen hinaus wird also bereits gelebt.
Und ich kann unserem Bundespräsident in dieser Frage nur beipflichten. Mit meinen Worten: Wir dürfen den demographischen Wandel nicht ständig als das über uns schwebende Damoklesschwert sehen, sondern müssen Wege finden, um mit diesem umgehen zu können.
“Wer bestellt, bezahlt!”. Mit diesen eingängigen Worten mahnen Kommunalpolitiker immer wieder die Landes- und Bundesebene, mit neuen Aufgaben auch frisches Geld an die Kommunen zu reichen. Wie tief stehen denn Land und Bund so gesehen bei Ihnen in der Kreide?
Theoretisch ist dies auch so. Ich möchte dies mal an einem kleinen Beispiel verdeutlichen. Sie bitten ihr Kind für ein Taschengeld, täglich das Geschirr abzuwaschen. Ihr Kind überschlägt Aufwand und Ertrag, und übernimmt die Aufgabe. Durch die Inflation sinkt der Ertrag effektiv, gleichzeitig erhöht sich die Anzahl der Familienmitglieder, der Zeitaufwand für das Abwaschen verdoppelt sich. Könnten Sie dann nicht nachvollziehen, dass das Kind eine Aufstockung des Taschengeldes fordert?
Und genauso ist es mit der Finanzierung der kommunalen Familie. Die Aufgaben sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, doch die dazugehörigen finanziellen Mittel werden nicht im notwendigen Maß zur Verfügung gestellt. Das meinen wir Kommunalpolitiker mit der Formulierung “Wer bestellt, bezahlt!”. Und dies fordern wir von Bund und Land auch ein.
Die sozialen Sicherungssysteme für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen müssten demografiefest werden, sonst drohe den Kommunen die Überlastung, heißt es von den Landkreisen. Was genau erwarten Sie bei diesen Themen vom Bundesgesetzgeber?
Das ist ein ganz wichtiges Thema. Der Bundesgesetzgeber hat mit der Übernahme der Kosten der Grundsicherung bereits einen richtigen Schritt getan.
Gemeinsam mit unserem überörtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Kommunalen Sozialverband Sachsen, müssen wir die Frage klären, wie gehen wir mit Menschen mit Behinderungen um, die das 65. Lebensjahr überschritten haben und einer Betreuung bedürfen. Dieses Thema interessiert die Träger der Eingliederungshilfe, der Grundsicherung und der Pflegekassen. Hier können wir nicht auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung nach 15 Jahren warten.
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Wie das Statistische Bundesamt unlängst mitteilte, sind rund 2,34 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig – so viele wie nie zuvor, und diese Tendenz ist steigend. Und auch in unserem Landkreis sind diese unaufhaltbaren Entwicklungen zu bemerken.
Wie gehen Sie in Nordsachsen mit diesen Entwicklungen um?
Aus diesem Grund haben wir in unserem Kreisentwicklungskonzept auch Schwerpunktthemen zur Sicherung von sozialen Strukturen, wie die Weiterentwicklung und den bedarfsgerechten Ausbau der pflegerischen Infrastruktur, integriert. Wir sind bemüht, gemeinsam mit den vielen Akteuren auf dem Gebiet – und dabei ist beispielsweise die LIGA des Landkreises Nordsachsen einer der wichtigsten Partner -, eine zielorientierte ganzheitliche Entwicklung zu gestalten.
Das bedeutet, die Bedürfnisse der Senioren, Pflegebedürftigen und der Menschen mit Behinderungen zu erfassen, zu bewerten und entsprechende notwendige Unterstützungen zu sichern und zu entwickeln. Das bedarf einer breiten Bürgerbeteiligung und Teilhabe. In diesem kommunalen Bemühen sind Förderungen durch Land und Bund unbedingt erforderlich. Und genau das erwarte ich: eine entscheidende Unterstützung, besonders in Richtung Sicherung von nötigen finanziellen Ressourcen zum Aufbau und Verstetigung der regionalen sozialen Strukturen in unserem Land.
Vielen Dank für das Gespräch.
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