Auch die 43. Sitzung der Kommission zum Schutz gegen Fluglärm und Luftschadstoffe (FLK) für den Flughafen Leipzig/Halle ging aus wie das Hornberger Schießen. Man konnte sich wieder nicht einigen. "Zwei Jahre brauchte eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe, um drei Varianten einer gleichmäßigen Bahnverteilung wenigstens für die Nachtstunden auszuarbeiten, und noch immer kann (?) keine Empfehlung ausgesprochen werden", kritisiert die Bürgerinitiative "Gegen die neue Flugroute".
“Dabei existieren bereits unabhängige gutachterliche Aussagen zur uneingeschränkten Doppelnutzung der Bahnen. Laut einem von der Stadt Leipzig in Auftrag gegebenen Gutachten von Herrn Dieter Faulenbach da Costa, einer der renommiertesten Flughafenplaner, zum aktiven Lärmschutz am LEJ kann die Pistennutzungsstrategie so entwickelt werden, dass optimale Entlastungen durch Lärmpausen erreichbar sind. Und dies alles ohne Kapazitätsreduzierungen oder irgendwelche Sicherheitsrisiken”, erklärt Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiative.
Es ist Akt Nummer 43 im Drama einer Kommission, die eigentlich keine Ergebnisse bringen darf. Das belegte auch im April eine kleine Anfrage des sachsen-anhaltinischen Landtagsabgeordneten Frank Hoffmann (Die Linke). Im Grunde hatte er in seiner Einleitung zur Kleinen Anfrage schon alle Argumente aufgezählt, die seit 2007 die Landesregierungen in Sachsen und Sachsen-Anhalt umtreiben und ihnen faktisch die Hände binden.
Und die dazu führten, dass das Auskunft gebende Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr in Sachsen-Anhalt auf detaillierte Nachfragen zur Art der Beschäftigungssituation am Flughafen Leipzig/Halle keine Angaben machen konnte. Wenn es um Arbeitsplätze geht und speziell um den Frachtflieger DHL, dann werden die zuständigen Minister in Magdeburg und Dresden entweder sehr kleinlaut oder sehr still.
“Der Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle zum Expressfrachtkreuz wurde durch die in öffentlicher Hand befindliche Mitteldeutsche Flughafen AG (MFAG) mit insgesamt ca. 350 Millionen Euro finanziert (Neubau der Start- und Landebahn Süd mit Vorfeld)”, schreibt Hoffmann. “Dies sowie die Gewährung einer unbegrenzten Nachtflugerlaubnis für DHL-Frachtflüge waren die Voraussetzungen zur Verlagerung des DHL-Europa-Hubs von Brüssel nach Leipzig. Im Falle einer Einschränkung der Nachtflugerlaubnis hätte DHL vom Flughafen Schadensersatz fordern können.”
Das ist die Vorgeschichte zu jener mittlerweile stets zu hörenden Predigt vom “zweitgrößten Frachtflughafen Deutschlands” und dem “fünftgrößten Frachtflughafen Europas”. Man ahnt, wie die Räderwerke damals arbeiteten, als die Stadt Brüssel nicht bereit war, dem DHL-Flugbetrieb eine unbegrenzte Nachtflugerlaubnis zu gewähren. In Brüssel hatte man von der nächtlichen Fliegerei die Nase voll. Und es wäre durchaus interessant zu wissen, welche Akteure damals begannen, die Strippen zu ziehen – einmal für eine eigene Start- und Landebahn für DHL und zum anderen für das Durchpauken einer unbeschränkten Nachtflugerlaubnis für DHL.
Darum ging vor Inbetriebnahme der Startbahn Süd 2006/2007 der Streit. Und bis heute können die Verantwortlichen – wie das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr in Sachsen-Anhalt – darauf verweisen, dass das alles gerichtlich abgesegnet ist. Aus der Antwort der sachsen-anhaltinischen Landesregierung: “Der Flughafen Leipzig/Halle verfügt über eine rechtskräftige und höchstrichterlich bestätigte Betriebsgenehmigung. Diese erlaubt Nachtflüge im Luftfrachtverkehr. Aus Sicht der Landesregierung ist dies eine strategisch bedeutsame Eigenschaft für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Mitteldeutschlands. Leipzig/Halle hat sich in den letzten Jahren zum zweitgrößten deutschen und fünftgrößten europäischen Luftfrachtstandort entwickelt. Diese Verkehrsentwicklung und die damit einhergehenden Impulse für Wachstum und Beschäftigung in Mitteldeutschland sind ganz wesentlich mit der Ansiedlung des DHL Hubs verbunden, dessen Geschäftsmodell zwingend auf Nachtflüge angewiesen ist.”Man sieht auch, wie sich die Grundargumentation von vor 2007 völlig umgedreht hat: Damals wurde der Bau der Südbahn damit begründet, dass man für DHL eine Nachtflugerlaubnis brauche. Jetzt kann die Nachtfliegerei nicht beschränkt werden, weil damit DHL die Arbeitsgrundlage entzogen würde.
Deswegen liegt der Fokus beim Lärmschutz von Anfang an nur auf dem passiven Lärmschutz. Das heißt: Innerhalb der offiziell gewährten Nachtschutzzone gibt es Geld für Dämmmaßnahmen. Alle Versuche, auch einen aktiven Lärmschutz zu initiieren, scheiterten bislang in der Fluglärmkommission. In der natürlich auch DHL sitzt.
Was das Unwissen der Landesregierungen zwar nicht entschuldigt, aber erklärbar macht. Man will in Magdeburg und Dresden gar nicht genau wissen, was auf dem Flughafen und im Luftraum darüber passiert. Man freut sich auch in Magdeburg über schöne große Beschäftigtenzahlen: “Für die am Flughafen Leipzig/Halle ansässigen 134 Unternehmen wurden für 2010 zusammen 5.713 Arbeitnehmer erfasst. Dies entspricht einem Zuwachs von 11,9 % gegenüber 2009.”
Aber wenn Frank Hoffmann dann konkret wird zu Durchschnittseinkommen, Nachtarbeit, befristeten Arbeitsverträgen oder Angestellten, die trotzdem noch Leistungen nach SGB II beziehen, dann lautet die stereotype Auskunft: “Darüber liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor.”
Und der Schallschutz? – Der ist außerordentlich gut, meint die sachsen-anhaltinische Landesregierung. “Hinsichtlich des Maßes an Schallschutz verweist die Landesregierung darauf, dass der planfestgestellte Schallschutz höchstrichterlich bestätigt wurde. Diesen planfestgestellten Schallschutzmaßnahmen liegen Kriterien zugrunde, die weit über die geltenden Grenzwerte des aktualisierten Fluglärmschutzgesetzes hinausgehen und somit deutschlandweit einzigartig sind.”
Deutschlandweit einzigartig. Da hat nicht nur die Linke im Magdeburger Landtag gestaunt. Mal von den Einwohnern von Halle ganz zu schweigen.
Und all die alten russischen Maschinen, die DHL nach eigener Auskunft noch bis 2016 betreiben will? – “Alle in Leipzig/Halle verkehrenden Flugzeugmuster entsprechen den Zulassungsvorschriften nach deutschem und europäischem Recht”, erklärte die Landesregierung von Sachsen-Anhalt im April. “Für Forderungen nach über diese Zulassungsvorschriften hinausgehenden Beschränkungen fehlt jede rechtliche Grundlage. Der Flughafen Leipzig/Halle nutzt jedoch auf Basis der explizit dafür entwickelten Bonusliste des BMVBS das Mittel der Entgeltstaffelung nach Lärmklassen.”
Am 7. November ging es in der so ergebnislos tagenden Fluglärmkommission nur um ein klein wenig Verbesserung in der nächtlichen Fluglärmbelastung.
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“Mit bis zu 130 nächtlichen Starts bzw. Landungen, davon bis zu 100 in der Nachtkernzeit ist die Startbahn Süd die lauteste nächtliche Lärmquelle Deutschlands. Derzeit erfolgen 95% der nächtlichen Starts und Landungen von dieser Startbahn. Versprochen war laut Planfeststellungsbeschluss, die Starts und Landungen gleichmäßig auf beide Startbahnen zu verteilen. Seit über 4 Jahren ist eine Arbeitsgruppe der Fluglärmkommission (FLK) beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, die zu einer Verteilung der nächtlichen Starts und Landungen, sprich zu einer Entlastung insbesondere der Stadt Leipzig führen”, schildert Fluglärmaktivist Lutz Weickert das, was da eigentlich mit ein bisschen Konsens hätte geändert werden können.
Drei Vorschläge lagen zur Sitzung der Fluglärmkommission am 7. November auf dem Tisch, die unter maßgeblicher Mitwirkung des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) erarbeitet wurden. “Zwei Vorschläge, die zu einer Entlastung führen und ein ‘Alibivorschlag’, der nur eine ‘kosmetische’ Entlastung bringt”, wie Weickert es einschätzt. Aber wieder konnte – oder wollte man sich nicht einigen, ging auseinander und hatte nichts entschieden.
Die Antwort auf die Kleine Anfrage von Frank Hofmann als PDF zum download.
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