In diesem Jahr jährt sich das Augusthochwasser 2002 zum zehnten Mal. An die dramatischen Ereignisse an Elbe und Mulde erinnern sich die meisten noch. "Leider reduzieren sich die Erinnerungen auf die in der Tat beispiellos geübte Solidarität der Menschen untereinander und die Errichtung noch größerer und höherer Deiche entlang der Flüsse", resümiert Andreas Liste, Vorsitzender des Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA).

“Die Frage stellt sich jedoch, haben die politisch Verantwortlichen die richtigen Lehren aus dem Hochwasserereignis, welches fälschlicherweise immer wieder die Bezeichnung Jahrhunderthochwasser erhält, gezogen ?”, sagt er.

Nach Auffassung des Arbeitskreises Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. hätten die Verantwortlichen im Bund und in den Ländern die Chance keineswegs genutzt, um entsprechende Bedingungen zu schaffen.

“Stattdessen betreibt man vorrangig rein wasserbaulichen Hochwasserschutz, welcher noch immer hauptsächlich auf höhere, breitere und stärkere Deich- und Dammanlagen beruht”, kritisiert Liste. “Auch das zunehmende Setzen auf Polder, da sie zur Senkung von Hochwasserpegeln ‘besser geeignet’ sein sollen, ist fachlich sehr problematisch. Dabei missachten die Verantwortlichen nämlich die Tatsache, dass eingeengte Flüsse hohe Hochwasserpegel aufstauen und dann das Ablassen in Polder natürlich mit einmal stark entlastend wirken. Jedoch natürliche Retentionsräume wie die Flussauen lassen erst gar nicht derartige Hochwasserwellen bzw. -pegel aufkommen, da sich das Wasser vornherein in einem größeren Raum ausbreiten kann.”

Seit dem Augusthochwasser 2002 realisierte man an der Elbe neue Deichrückverlegungsprojekte in einem Umfang von insgesamt etwa 600 Hektar. Weitere 800 Hektar befinden sich in der Umsetzung. Das ist nach Auffassung des AHA, verglichen mit den Notwendigkeiten und Möglichkeiten, entschieden zu wenig.

Denn wo die Ausbreitungsräume fehlen, wird beim nächsten Flutfall genau dasselbe passieren wie 2002: An den Deichen wird Alarmstimmung herrschen, die Pegel werden so schnell steigen, dass auch die Alarmierungspläne wieder aufs höchste strapaziert werden. Und auch die erneuerten Deiche werden, wenn der Wasserdruck über Tage anhält, durchweichen und zu “umkämpften” Problemzonen werden. Denn die Deiche bekamen ja 2002 nicht nur Probleme, weil der Wasserstand zu hoch war, sondern weil das Wasser durch die durchweichten Deiche sickerte, die Grundwasserpegel anstiegen und die Deichbauwerke zu “schwimmen” begannen.
Alle Anstrengungen, so Liste, seien deshalb verstärkt auf Deichrückverlegungen zu lenken, um genau diese Auen wieder an das Hochwasserregime der Flüsse und Bäche anzuschließen. Andreas Liste: “Von einem derartigen Hochwasserschutz profitiert ebenfalls die jeweilige Aue mit ihren Auenwäldern, Auenwiesen, Altarmen, Schlammflächen, Feuchtgebieten etc. Diese Natur- und Landschaftsräume sind geradezu auf diese Hochwasser angewiesen, da sie für deren lebenswichtige und -notwendige Durchfeuchtung sorgen.”

Was auch auf die Auenwälder an Pleiße, Elster und Luppe zutrifft. Mit den hektischen “Rettungsaktionen” beim Winterhochwasser im Januar 2011 wurden genau diese Auen vor Überschwemmung geschützt. Das nennt man andernorts einen Schildbürgerstreich. Der zweite folgte ja dann mit der Abholzaktion im Februar.

Und bei Rückverlegungen würde man gar nicht bei Null anfangen, stellt der AHA-Vorsitzende fest. Liste: “Als Basis für weitere Deichrückverlegungen sind die Hochwasserkarten im Ergebnis der Kartierungen während des Hochwassers im Frühjahr 1994 zu nutzen. Somit hat es schon lange Zeit für die ‘gründlichen Vorbereitungen’ für die Deichrückverlegungen gegeben, welche nach Auffassung des AHA nicht effektiv genutzt wurden.”

Neben den Deichrückverlegungen gelte es auch verstärkt, Versiegelungen aller Art auszuschließen, Entsiegelungen und Rückbaumaßnahmen vorzunehmen. Immerhin werden in Deutschland laut Umweltbundesamt und Statistischem Bundesamt täglich 120 bis 130 Hektar Boden neu versiegelt.

Ebenso seien weitere Fließgewässervertiefungen durch massive Ausbaggerungen zu unterbinden. Die Ausbaggerungen verringern nicht nur den Ausbreitungsraum für Hochwasser und erhöhen die Fließgeschwindigkeit und die damit verbundene Zerstörungskraft des Flusses, sie entwässern in trockenen Jahreszeiten auch noch verstärkt die angrenzende Aue.

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“Ebenso benötigen wir eine nachhaltige Landwirtschaft, welche durch einen vielfältigen Fruchtanbau und damit verbundener Verbesserung des Bodenzustandes eine vermehrte Aufnahme von Niederschlagswasser ermöglicht und ein oberflächiges Abfließen einhergehend mit Erosionsprozessen unterbindet”, sagt Liste. “Auch die Erhöhung der Waldbestände ist dringend vonnöten. Hier sind der Ausgleich der Waldflächen in den jeweiligen Quellgebirgen sowie die sukzessive Wiederausweitung von Auenwäldern entlang der Fließgewässer zu benennen.”

Und noch ein Problem sieht er ungeklärt: “Unverständlicherweise spart man auch das nicht gerade sehr populäre Thema der Umsiedelungen aus. Dazu zählen beispielsweise insbesondere Häuser, welche seit 1990 in die Auen gebaut wurden, aber auch in den Gebieten bestehende Kleingartenanlagen.”

Auch dieses Thema gehöre verstärkt in die Hochwasserschutzdiskussion. Was der AHA aber sehe, sei, dass Bund, Länder und Kommunen wertvolle Zeit verstreichen lassen, um einen nachhaltigen Hochwasserschutz anzugehen. “Auf Grund des permanenten Herauszögerns seitens der politischen Verantwortlichen endlich nachhaltigen Hochwasserschutz voranzutreiben und umzusetzen, sind nunmehr dringend die Bürgerinnen und Bürger gefordert”, meint Liste. Der AHA beabsichtige daher, eine Arbeitsgruppe Hochwasser zu bilden, welche ehrenamtlichen Interessenten die Möglichkeiten biete, Vorschläge und Gedanken zusammenzutragen und daraus konzeptionelle Vorschläge zu erarbeiten.

www.aha-halle.de

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