Es wäre Einiges anders in der deutschen und der europäischen Demokratie, wenn Lügen unter Strafe gestellt wäre. Viele Verordnungen und Gesetze werden unter Vortäuschung falscher Tatsachen beschlossen, wie es im Juristendeutsch so schön heißt. Und jedes Mal bedient man sich einer Methode, die George Orwell 1948 in seiner Dystopie "1984" erstmals schilderte: Newspeak, zu deutsch Neusprech.

Die Methode ist nicht von Orwell erfunden worden. Manches davon ist als Euphemismus auch schon vorher üblich gewesen. Sprache diente in diversen Herrschaftssystemen zum Täuschen und Darstellen einer falschen Wirklichkeit. Wie die Nazis damit umgingen, schildert ja auch Viktor Klemperer in seiner “LTI”.

Das Verblüffende an Orwells Neusprech ist: Es kommt dem Leser des 21. Jahrhunderts erstaunlich modern vor, denn er begegnet dieser Art Sprachmanipulation auch in der täglichen Werbung. Man denke nur an Wortungetüme wie “doppelplusgut”. Die Manipulationen bei der Bewerbung oft reineweg gesundheitsschädlicher Produkte sorgen seit einigen Jahren für gesteigerte Aufmerksamkeit.

Aber auch die Politik scheut sich nicht, Verordnungen, die etwas zum Negativen wenden, als Fortschritt zu verkaufen. Man denke nur an die seltsamen Versuche der sächsischen Landesregierung, eine weitere Verschlechterung im Schulwesen als “Bildungspaket” zu verkaufen oder eine rigide Beschneidung der Hochschulausstattungen als “Hochschulfreiheitsgesetz”. Ein Vorgang, bei dem man sich erstaunlich deutlich an den Umgang mit dem Wort “frei” in Orwells Gesellschaftskritik erinnert fühlte.

Da verschlug es selbst gestandenen Politikern der Opposition das Wort: Wie kann man mit einer Gesetzesvorlage umgehen, in der schon die Betitelung einen derartigen doppelten Boden hat?

Und die EU-Kommission scheut sich ebenso wenig, eine gewollte Verschlechterung von Rahmenbedingungen als verbesserten Schutz für die Bürger zu verkaufen. In diesem Fall heißt das Wortungetüm “Betriebsbeschränkungsverordnung”. Oder in voller bürokratischer Breiigkeit: “VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates”.

Der Entwurf beginnt auch noch mit den scheinheiligen Sätzen: “Immer mehr EU-Bürger leiden unter dem von Luftfahrzeugen auf oder in der Nähe von Flughäfen ausgehenden Lärm, insbesondere während der Nacht. Zur Minderung unerwünschter Folgen ist daher eine aktive Lärmbekämpfungsstrategie notwendig…”

Und dann steht – wie die sächsische Grünen-Abgeordnete Gisela Kallenbach kritisierte – das Gegenteil drin: An deutlich mehr europäischen Flughäfen sollen die Lärmbeschränkungen durch eine Allgemeinverordnung abgesenkt werden. Verkauft unter dem üblichen Argument, die Bürokratie für die Fluggesellschaften eindämmen zu wollen.In diesem Kontext sieht Michael Teske, Vorsitzender der IG Nachtflugverbot Leipzig/Halle e.V., auch die Probleme, die sich mittlerweile an mehreren deutschen Flughäfen herauskristallisiert haben:

In Berlin wurde das Nachtflugverbot für den neuen Großflughafen Schönefeld auf eine “Kernzeit” zusammengestrichen.

In Frankfurt werden nach der Eröffnung der vierten Startbahn bisher ruhige Stadtgebiete in geringer Höhe überflogen.

In München soll eine dritte Startbahn gebaut werden.

In Leipzig/Halle wird bald eine neue Wartungsbasis für die Riesenvögel AN-124 an der Nordbahn eröffnet – mit noch mehr Nachtfluglärm als Folge. Die so genannte “Südabkurvung” direkt über Leipziger Stadtgebiet wird in der Nacht weiterhin weidlich genutzt.

Dies alles passiere im Zusammenhang mit einer geplanten “Betriebsbeschränkungsverordnung” der EU, meint Teske. Diese sei in Wirklichkeit ein Freibrief, damit Brüssel die noch bestehenden Nachtflugverbote an europäischen Flughäfen kippen kann.

In dieser Situation haben nun Bürgerinitiativen der Flughäfen Frankfurt, Berlin-Schönefeld, Köln/Bonn, München, Düsseldorf und Leipzig/Halle beschlossen, gemeinsam gegen Fluglärm zu kämpfen. Dazu organisieren sie am Samstag, 24. März, an allen genannten Flughäfen dezentrale Demonstrationen.

“Denn nur wenn alle Fluglärmbetroffenen in ganz Deutschland zusammenhalten, können wir der geballten Macht der Flughafenbetreiber und Fluggesellschaften wirksam Widerstand leisten”, sagt Teske. “Auch für uns Anwohner des Flughafens Leipzig/Halle gibt es noch viel zu verlieren: Denn wenn die unbegrenzte Nachtflugerlaubnis an allen Flughäfen zur Normalität wird, hat unsere Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg keine Erfolgsaussichten mehr. Der Nachtflugverkehr wird dann deutlich zunehmen, wenn alle deutschen und europäischen Flughäfen nachts angeflogen werden können. Umgekehrt helfen auch uns Nachtflugverbote an anderen Flughäfen, weil wir uns dann gegen die Ungleichbehandlung zur Wehr setzen können.”

Die regionale Demonstration findet am Samstag 24. März, ab 15:00 Uhr am Terminal B (Empfangshalle) des Flughafens Leipzig/Halle statt.

www.nachtflugverbot-leipzig.de

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