Mit drei Traktoren, 300 Regenschirmen, 30 großen Transparenten und ziemlich viel Wut im Bauch zogen am Donnerstag, 19. Januar, die Initiativen durch die Leipziger Innenstadt, die seit über drei Jahren gegen die Pläne der sächsischen Landesregierung kämpfen, die B 87 quer durch die geschützte Parthenaue vierspurig auszubauen. Der kalte Regen war nicht schuld an der Wut.

Schuld war das sächsische Innenministerium, das im Herbst einen im Regionalen Planungsverband Westsachsen ausgehandelten Kompromiss “korrigierte” und damit wieder alle Scheunentore öffnete für die Querung der Parthenaue durch den Neubau der B87. Womit die sächsische Staatsregierung recht lehrbuchhaft demonstrierte, was man im Freistaat von Bürgerbeteiligung und regionalen Gremien und ihren Beschlüssen hält – nicht viel. Von belastbaren Planungen erst recht nicht. Selbst die jüngste Verkehrszählung zeigt, dass die B87 zwischen Leipzig und der brandenburgischen Grenze weit von den Prognosezahlen entfernt ist, die seit den 1990er Jahren die vierspurigen Ausbaupläne des Freistaats und des Landrats von Nordsachsen beflügeln – 25.000 Fahrzeuge am Tag erreichen nur die allerdichtesten Abschnitte im Leipziger Stadtgebiet.Am Donnerstag, 19. Januar, kurz nach 15 Uhr traf sich das Aktionsbündnis B 87n zu einer Demonstration gegen die Planungen zum B 87-Neubau auf dem Leipziger Augustusplatz. Mit Traktoren, die auf ihre recht robuste Art zeigten, dass bei den Neubauplanungen auch landwirtschaftliche Nutzfläche durchschnitten und überbaut wird. Erst im Dezember waren die Proteste gegen den ungebremsten Verlust landwirtschaftlicher Fläche in Sachsen wieder lauter geworden. Es sind auch Projekte wie der auf 258 Millionen Euro kalkulierte Neubau der B87, der immer wieder wertvolle Böden verschlingt. In diesem Fall auch Gelände mitten in einem einzigartigen FFH- und Landschaftsschutzgebiet. Auch der Nabu und der Ökolöwe Leipzig zeigten deshalb Flagge.Seit Beginn der Planungen 2009 favorisiert das Autobahnamt Sachsen die Süd-Variante für den Neubau der B87. Diese soll von der A 14 kommend zwischen Taucha und Panitzsch das FFH-Gebiet entlang der Parthe queren und würde das letzte größere unzerschnittene Landschaftsschutzgebiet um Leipzig zerteilen. Schon beim ersten Planungsschritt – der Teilfortschreibung – sowie beim zwischenzeitlich ausgesetzten Raumordnungsverfahren gab es mehr als 4.400 Einwendungen von Bürgerinnen und Bürgern und eine lebhafte öffentliche Diskussion, in deren Verlauf sich mehrere Bürgerinitiativen gründeten.Im Ergebnis der Teilfortschreibung schloss der Regionale Planungsverband Westsachsen unter Mitwirkung der betroffenen Bürger, der Bürgerinitiativen, Unternehmen und Träger öffentlicher Belange am 8. April 2011 die Süd-Variante aus und erweiterte den Planungskorridor, um den Ausbau der Straßen B 2/S 4 zu prüfen.

Das sächsische Innenministerium ignorierte diesen Kompromiss und den Willen der Bevölkerung durch einen “klarstellenden Hinweis”, der trotz allem die Süd-Variante wieder möglich macht.Im Herbst wurde dies vom Regionalen Planungsverband entgegen der eigenen Beschlüsse akzeptiert und wird voraussichtlich noch im Januar Gesetzeskraft erlangen. Gegenwärtig werden die Unterlagen beim Bundesverkehrsministerium geprüft.

Der von Intransparenz gekennzeichnete Umgang der sächsischen Landesbehörden mit den Akteuren vor Ort lässt zunehmend an einer Ergebnisoffenheit des gesamten Planungsverfahrens zweifeln. Aktuelle Studien zeigen zudem, dass die den Neubau-Planungen zugrundeliegenden Zahlen von 25.000 täglich zwischen Leipzig und Torgau verkehrenden Kfz für 2015 unrealistisch sind.

2010 wurden nur 8.900 Kfz gezählt (Quelle: Manuelle Verkehrszählung 2010 der Bundesanstalt für Straßenwesen, BASt). Zwar prüfen die Gemeinde Borsdorf und die Stadt Taucha derzeit die Klagemöglichkeiten gegen die Teilfortschreibung. Dies allein werde wohl jedoch nicht genügen, um die Verantwortlichen der CDU-FDP-Regierung und in den Behörden zu einem verantwortlichen Handeln zu bewegen, schätzen die Akteure aus den Bürgerinitiativen ein. Es ist dem Fall “Stuttgart 21” erstaunlich ähnlich: Ein völlig überdimensioniertes Bauprojekt wird auch dann noch mit allen amtlichen Tricks weiterverfolgt, wenn alle seine Webfehler bekannt sind.

Selbst dann, wenn schon ein sinnvoller Kompromiss gefunden wurde und man mit den Betroffenen vor Ort gemeinsam nach einer Lösung suchen könnte. Entsprechend betroffen und wütend waren die 300 Demonstranten, die am Donnerstagnachmittag (erst einmal ohne Traktoren) auf den Markt zogen, um dort auf ihren Kummer aufmerksam zu machen, und dann – mit Traktoren – durch die Karl-Liebknecht-Straße zur Landesdirektion.

Ihrem Präsidenten Dietrich Gökelmann und dem zuständigen Referatsleiter Dietmar Röhl wurde stellvertretend für das Autobahnamt Sachsen und den Wirtschaftsminister Sven Morlok ein Offener Brief übergeben. Er fordert unter anderem ein ergebnisoffenes und transparentes Planverfahren zur B 87n ein sowie die öffentliche Zusicherung, die Parthequerung in den weiteren Planungen auszuschließen.

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