Geht es jetzt tatsächlich endlich vorwärts mit dem Klimaschutz in Europa? Am Mittwoch, 7. Oktober, nutzte das Europaparlament eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen es die behäbigen Abstimmungen in der EU-Kommission aushebeln und mehr Tempo in die elementare Überlebensfrage der Menschheit bringen konnte. Es beschloss ein neues Ziel für die Minderung der klimaschädlichen Emissionen für 2030.

Und bis 2050 müssen alle EU-Staaten klimaneutral sein. Im Rahmen des neuen Klimagesetzes fordert das Parlament deutlich ehrgeizigere Zwischenziele für 2030 und 2040.

Am Mittwoch, 7.Oktober, nahm das Parlament sein Mandat für die Verhandlungen über die neuen Klimaschutzvorschriften der EU mit 392 Ja-Stimmen, 161 Nein-Stimmen und 142 Enthaltungen an. Das neue Klimaschutzrecht soll aus dem politischen Versprechen der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden, eine verbindliche Verpflichtung machen. Das Ziel: Bürgern und Unternehmen die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bieten, um für den anstehenden Wandel gerüstet zu sein.

Bis 2050 muss nach Ansicht des Parlaments nicht nur die EU, sondern auch jeder einzelne Mitgliedstaat klimaneutral werden. Danach müsse die EU sogenannte negative Emissionen erreichen, also mehr CO2 binden als freisetzen. Damit dies gelingt, müsse genug Geld bereitgestellt werden.

Die Abgeordneten fordern die Kommission auf, im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens bis zum 31. Mai 2023 Wege aufzuzeigen, wie bis 2050 Klimaneutralität erreicht werden kann. Um den Temperaturanstieg in Einklang mit dem Übereinkommen von Paris zu begrenzen, müssten dabei sämtliche verbleibenden Treibhausgasemissionen der EU bis 2050 eingerechnet werden. Nach jeder weltweiten Bestandsaufnahme müsse der vorgeschlagene Zielpfad auf den Prüfstand kommen.

Außerdem soll nach dem Willen des Parlaments ein europäischer Klimarat als neues unabhängiges Wissenschaftsgremium die Stimmigkeit der Maßnahmen bewerten und die Fortschritte überwachen.

Höhergestecktes Ziel für 2030 nötig

Bislang gilt in der EU das Ziel, dass bis 2030 insgesamt 40 % weniger Emissionen anfallen dürfen als 1990. Kürzlich schlug die Kommission im geänderten Vorschlag für ein europäisches Klimagesetz vor, dieses Ziel auf „mindestens 55 %“ zu erhöhen. Am Mittwoch aber legten die Abgeordneten die Latte noch höher: Sie fordern eine Reduzierung um 60 % bis 2030.

Es hätte noch mehr werden können, denn Linke und Grüne hatten noch deutlich mehr gefordert.

„Gerne sehen wir Europäerinnen und Europäer uns als globale Vorreiter/-innen beim Klimaschutz. Aber in Wahrheit sind die wenigsten zu einer mutigen Klimapolitik bereit und das EU-Klimagesetz ist ein weiterer Beleg dafür“, kommentierte am Mittwoch Cornelia Ernst, energiepolitische Sprecherin der Linken und Mitglied im Industrieausschuss des Europaparlaments (ITRE), die Entscheidung.

„Eigentlich sollten damit die Verpflichtungen gegenüber dem Pariser Abkommen im EU-Recht verbindlich festgelegt werden, aber davon kann kaum die Rede sein. Zwar konnte das Europaparlament den Kommissionsvorschlag dahingegen verbessern, dass das anvisierte Klimaziel bis 2030 von 55 auf 60 Prozent angehoben werden konnte, doch reicht das einfach nicht.

Der UN Emissions Gap Report hält eine Reduktion der Treibhausgase (gemessen am Stand von 1990) von mindestens 65–70 Prozent bis 2030 für das absolute Minimum um wenigstens die allerschlimmsten Folgen des Klimawandels noch abzuwenden. Darum haben Die Linke und unsere Fraktion ein Klimaziel von mindestens 70 Prozent gefordert und sich die Grünen für 65 Prozent eingesetzt.“

Trotzdem ist das Ziel von mindestens 60 Prozent ein wichtiger Teilerfolg, betont Cornelia Ernst: „Industrie und Wirtschaft müssen jetzt endlich umdenken. Viel zu lange hat sich viel zu wenig getan und auch jetzt glauben Ewiggestrige im Europaparlament, wie Herr Pieper von der CDU, dass es der Markt schon richten wird und 55 Prozent vollkommen ausreichen würden. Wir stehen vor der enormen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, eine sozial-ökologische Transformation zu bewältigen und das Klimagesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Es gab jedoch auch einen Rückschlag, der zeigt, dass wir wichtige ökologische und soziale Entscheidungen nicht mehr dem Einfluss von Lobbyist/-innen überlassen dürfen, die das Europaparlament maßgeblich beeinflusst haben, um Erdgas als sogenannte Brückentechnologie im EU-Klimagesetz zu verankern. Damit steht Erdgas künftig in direkter Konkurrenz zum Ausbau erneuerbarer Energien. Klimaziele hin oder her, so können wir den Klimawandel nicht stoppen. Gas ist keine Brückentechnologie, sondern eine Investition in fossile Energieträger, die ungefähr so klimafreundlich ist wie Cola Light gesundheitsfördernd! Gas verursacht CO2- und Methan-Emissionen und Cola Light erhöht das Diabetesrisiko. Wenn Europa den Verpflichtungen gegenüber dem Pariser Abkommen gerecht werden will, müssen wir also auch schnellstmöglich vom Erdgas Abschied nehmen.“

Und Anna Cavazzini, sächsische Europaabgeordnete der Grünen/EFA-Fraktion kommentiert: „Das ist ein großartiger Erfolg für den Klimaschutz. Wir kommen dem Pariser Klimaziel, die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, einen großen Schritt näher. Der Druck der Straße und die Debatten im Umweltausschuss haben die Abgeordneten im Europäischen Parlament schließlich dazu bewegt, die CO2-Emissionen um 60 Prozent zu reduzieren. Diese Entscheidung basiert auf der Fachexpertise der Wissenschaft. Das Europäische Parlament legt hier erstmalig ein europäisches Klimagesetz vor und somit den Grundstein für den Klimaschutz der kommenden Generationen. Der Grüne Deal der EU bekommt einen mächtigen Schub und wird zum Motor für Klimaschutz und eine grüne Wirtschaft mit nachhaltigen Arbeitsplätzen.“

Die Subventionen für fossile Brennstoffe müssen runter

Aber noch eines fordert das Parlament: Die EU und die Mitgliedstaaten müssten alle direkten und indirekten Subventionen für fossile Brennstoffe bis zum 31. Dezember 2025 abbauen. Die Abgeordneten betonten überdies, dass weiter gegen Energiearmut vorgegangen werden müsse.

Solche Subventionen gibt es nach wie vor auf Kerosin und auf Kohleförderung. Wenn die Bundesrepublik den Beschluss ernst nimmt, heißt das eigentlich zwangsläufig, dass kein einziges Kohlekraftwerk nach 2030 noch am Netz bleiben darf. Und die Festlegung eines CO2-Budgets hängt die Messlatte noch einmal höher.

Bei der Durchsetzung ehrgeizigerer Klimaschutzvorschriften der EU spielt das Europäische Parlament seit langem eine wichtige Rolle. Am 28. November 2019 etwa hatte es den Klimanotstand ausgerufen.

„Wir begrüßen die Entscheidung für ein höheres Ziel zur Treibhausgaseinsparung als mutigen Schritt in die richtige Richtung in der europäischen Klimapolitik. Die Forderung nach 60 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2030 ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und eine Mahnung für die nationalen Parlamente, den Klimaschutz ins Zentrum ihres politischen Handelns zu stellen“, kommentierte Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie e.V. (BEE), die Entscheidung des Parlaments.

Das Parlament folge damit Empfehlungen von Umweltausschuss und Wissenschaft, die ein höheres Ziel zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommen für nötig halten. „Wenn wir die verbliebene Chance zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels nutzen wollen, muss nun ambitioniert und ernsthaft gehandelt werden“, forderte Peter.

Auch der CO2-Abgabe e. V. wertete die Abstimmung des EU-Parlaments als Fortschritt. Aber: „Um deutlich unter den 2 °C zu bleiben müsste das Reduktionsziel seitens der EU-Mitgliedsstaaten mindestens auf 70 % angehoben und eine Kohlenstoffsenken-Ökonomie etablieren werden. Daher schlägt die EU-Kommission nun im Rahmen des europäischen Green Deal und auf Grundlage der Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne den EU-Mitgliedstaaten bis Jahresende vor, ein neues Klimaziel zu beschließen.

Am heutigen Tage hat sich das Europäische Parlament für eine Reduktion der Treibhausgase um 60 % bis 2030 ausgesprochen, statt bisher 40 % (zu 1990). Sollte auch der Europäische Rat diesem Ziel zustimmen, dann muss für die Zielerreichung im europäischen Emissionshandel (EU-ETS) der jährliche Reduktionsfaktor von derzeit 2,2 % pro Jahr deutlich erhöht und das Cap für Obergrenze an Verschmutzungsrechten (Zertifikate) stärker als bisher sinken. In der Folge werden die CO2-Preise im EU-ETS ansteigen bzw. Überschüsse an Zertifikaten schnell abgebaut werden.“

Und da werden die viel zu weichen Vorgaben für die CO2-Zertifikation nicht mehr funktionieren: „Spätestens dann werden die bisherigen Maßnahmen/Ausnahmen zum Schutz vor Carbon Leakage, wie die kostenfreie Zuteilung von Verschmutzungsrechten, die Strompreiskompensation und Befreiungen von Steuern und Umlagen, nicht mehr ausreichen und so muss die von der EU-Kommission vorgeschlagene Einführung eines Grenzausgleiches kommen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und damit ein Carbon Leakage zu verhindern und auch die rund 700 Mio. Tonnen Treibhausgasemissionen in den Blick zu nehmen, für die die EU-Mitgliedsstaaten über Produktimporte und ihren Konsum über die rein territorialen Emissionen hinaus mit verantwortlich ist.“

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