Es ist nicht nur der Klimawandel, der uns vor Augen führt, wie unfähig heutige Regierungen sind, überhaupt nur gedanklich die Verbindung herzustellen zwischen regionalen Versäumnissen und ihren globalen Folgen. Oder mal so gesagt: National denkenden Regierungen fehlt völlig der Sinn für die Folgen dessen, was wir so leichthin „Globalisierung“ nennen. Selbst die Wildschweine sind dafür ein lebendiges Beispiel.

Am 8. November hat das Sächsische Sozialministerium die völlige Ratlosigkeit in einer Pressemitteilung auf den Punkt gebracht. Man hatte nicht den Mut, so wie das früher mal üblich war, selbstsicher hinzuschreiben: „Sachsen ist auf die Afrikanische Schweinepest vorbereitet“. Denn man weiß zu genau, dass man nicht wirklich vorbereitet sein kann. Es kann überall zuschlagen, niemand weiß wo. Und so formulierte man dann die sehr eigenartige Überschrift: „Afrikanische Schweinepest: Sachsen bereitet sich fortwährend auf möglichen Ausbruch vor“.

Längst ist klar, dass die Wildschweine selbst nicht schuld sind. Wären sie das, könnte man die Ausbreitung der Seuche genau nachverfolgen, ihren Ursprungsherd ermitteln und auch die mögliche Ankunft in Sachsen lokalisieren.

Aber die wilden Schweine werden nicht durch Artgenossen infiziert. Auch diese Tierseuche funktioniert so wie alle großen Tierseuchen, die in der jüngsten Zeit die Seuchenbekämpfer in Aufregung versetzt haben: Sie werden vor allem durch den Menschen und sein gedankenloses Tun übertragen und auf einem der Millionen verfügbaren Transportwege weiterverbreitet. Deswegen kommt es dann zu überraschenden Ausbrüchen der Pest irgendwo in Europa. Mittendrin. Ohne dass irgendwo eine Ausbreitung in Nachbarbeständen nachweisbar war.

„Durch den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Belgien, 60 km vor der deutschen Grenze, wird einmal mehr deutlich, wie real die Gefahr der Afrikanischen Schweinepest ist. Es ist deshalb richtig, dass wir alles daransetzen, einen Eintrag nach Sachsen zu verhindern und unsere Abwehrmaßnahmen kontinuierlich vorbereiten“, sagte Sozialministerin Barbara Klepsch am 8. November.

Der Verdacht liegt natürlich nahe: Eingeschleppt wurde es durch Reisende oder Fleischimporte.

Weshalb das Sächsische Sozialministerium einen möglichen Weg zu vorbeugenden Eindämmung der Seuche nicht nur im Abschießen der – aus Regierungssicht zu großen – Wildschweinbestände in Sachsen sieht, sondern auch in der Aufklärung der Reisenden. 120.000 kostenlose Postkarten (mit einer grammatikalisch etwas seltsamen Beschriftung) wurden unter anderem an sächsischen Rastplätzen verteilt.

„Das derzeit größte Risiko ist allerdings nach wie vor der Faktor Mensch”, betonte das Sozialministerium. „Das Sozialministerium sensibilisiert in verschiedenen Kampagnen zum Gefahrenpotential der in die freie Natur geworfenen Speisereste. Futtersuchende Wildschweine können sich an diesen Abfällen mit dem ASP-Erreger infizieren und dann das Virus weiterverbreiten.

Mit einer breit angelegten Kampagne wird die Öffentlichkeit im Freistaat darüber informiert. So wurden 120.000 Gratis-Postkarten verteilt und vom Bund erstellte Plakate an Autobahnparkplätzen aufgehängt. Auch Fernfahrer und Outdoor-Begeisterte wurden über die Gefahren von unachtsam entsorgten Speiseresten aufgeklärt. Ebenso wurde die Fachöffentlichkeit, also insbesondere Landwirte und Jäger, informiert und über die entsprechenden Jagd- und Landwirtschaftsverbände in die Vorbereitungen einbezogen.“

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Aber was passiert, wenn es passiert? Wenn tatsächlich Wildschweine mit ASP nachgewiesen werden? Denn jedes geschossene Wildschwein in Sachsen wird jetzt auf ASP untersucht.

Das beschreibt jetzt eine Empfehlung des Leipziger Umweltforschungszentrums.

Die Afrikanische Schweinepest hat sich im Vergleich zum Vorjahr weiter ausgebreitet. Foto: André Künzelmann/UFZ
Die Afrikanische Schweinepest hat sich im Vergleich zum Vorjahr weiter ausgebreitet. Foto: André Künzelmann/UFZ

Und da diese von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority) angefordert wurde, kann man davon ausgehen, dass die Behörden im Verdachtsfall genauso vorgehen werden. Der im November veröffentlichte Report der EFSA beschreibt unter anderem, welche Managementmaßnahmen die EU-Staaten ergreifen sollten, wenn die Virusinfektion als sogenannter punktueller Eintrag auftritt, sie also weit entfernt vom aktuellen Geschehen der Ausbreitung festgestellt wird. Die wissenschaftliche Basis für diese Empfehlungen kommt von einem Modellierteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.

Wie soll mit den Wildschweinbeständen umgegangen werden?

Das UFZ-Modellierteam um Dr. Hans-Hermann Thulke befasste sich deshalb im Auftrag der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA mit drei verschiedenen Ausgangsszenarien und bewertete derzeitige Managementmaßnahmen für: Erstens ASP-freie Gebiete, die räumlich weit entfernt vom derzeitigen Zentrum der Epidemie liegen; zweitens noch ASP-freie Gebiete, die sich in der Nähe zu ASP-Gebieten befinden und damit einem höheren Risiko unterliegen, dass sich die Seuche auf natürliche Weise über Wildschweine ausbreitet; und drittens für jene Gebiete, in denen das Virus fernab des aktuellen ASP-Geschehens infolge der Ausbreitung über den Menschen plötzlich in Form eines Punkteintrags auftritt und schnelles Handeln notwendig macht.

Da derzeit insbesondere dieses dritte Szenario, der Punkteintrag der Afrikanischen Schweinepest, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, rückte es auch in den Fokus der UFZ-Modellierungen.

„Die Herausforderung in diesem Fall ist, dass man nicht wissen kann, wann, wo und in welchem Ausmaß die Schweinepest auftritt“, sagt Hans-Hermann Thulke, der bis Mitte dieses Jahres Vize-Vorsitzender des EFSA-Panels Tiergesundheit und Tierschutz war.

Im Falle des Punkteintrags gliedert die EFSA die Areale rund um den Ort des Auftretens der ASP in drei Managementzonen: Die Kernzone ist von einem Schutzzaun begrenzt, der verhindern soll, dass Wildschweine die innerste Zone verlassen und Menschen sie betreten. Daran grenzt die Pufferzone, die von einer Jagdzone umschlossen wird, in der Jäger Wildschweinen intensiv nachstellen sollen.

Hans-Hermann Thulke und sein Team modellieren, wie sich die Afrikanische Schweinepest ausbreitet. Sie liefern damit europäischen Behörden wichtige Entscheidungsgrundlagen. Foto: André Künzelmann / UFZ
Hans-Hermann Thulke und sein Team modellieren, wie sich die Afrikanische Schweinepest ausbreitet. Sie liefern damit europäischen Behörden wichtige Entscheidungsgrundlagen. Foto: André Künzelmann / UFZ

Die UFZ-Forscher simulierten nun Szenarien, in denen sie verschiedene Variablen variierten – etwa die Größe der Managementzonen, die Jagdintensität, die Häufigkeit des Entfernens der toten Wildschweine, die Durchlässigkeit des Schutzzauns oder die Wahrscheinlichkeit, mit der die Kadaver entdeckt werden. Mit den Modellierungsergebnissen konnten sie bewerten, welche Bekämpfungsmaßnahmen am ehesten die ASP-Ausbreitung stoppen können.

Dabei zeigte sich unter anderem, wie wichtig es ist, tote Wildschweine unter Einhaltung strengster Hygienebedingungen schnell zu sammeln und zu entsorgen. Dies, so Thulke, sei notwendig, weil sich andere, noch gesunde Wildschweine an den toten Artgenossen infizieren können.

Werden beispielsweise in der Kernzone 20 Prozent der toten Schweine entfernt, steigt die Wahrscheinlichkeit, den Virus zu stoppen, auf 80 Prozent, wenn parallel in der Jagdzone Wildschweine geschossen werden. Durch die Einrichtung von Kern- und Pufferzonen gewinne man wertvolle Zeit, um präventiv in der Jagdzone den Schweinebestand zu dezimieren.

Zudem erhöhten sich die Erfolgsaussichten, je schneller die von der ASP getöteten Wildschweine aus der Kernzone entfernt werden. Gelänge es zum Beispiel doppelt so viele tote Tiere, also 40 Prozent, zeitnah zu entfernen, seien die Erfolgschancen gleich hoch – und dies ohne zusätzliche intensive Bejagung.

Diese Managementüberlegungen zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest machen aber nur bei Punkteinträgen Sinn.

Wo breitet sich die ASP aus?

Die Afrikanische Schweinepest (ASP) hat sich im Vergleich zum Vorjahr weiter ausgebreitet. Neue Ausbrüche fernab des eigentlichen Zentrums der Epidemie im Nordosten Europas wurden unter anderem in Rumänien und Bulgarien festgestellt. Und sogar in Belgien, in einer Entfernung von nur 60 Kilometern zu Deutschland, wurden zahlreiche tote Wildschweine gefunden.

Es ist offensichtlich, dass das Virus nur durch die unabsichtliche Einschleppung über den Menschen und nicht durch die natürliche Verbreitung über Wildschweine und freilaufende Hausschweine den Weg nach Belgien fand. Deshalb ist die Sorge in der EU groß, dass die Afrikanische Schweinpest überall unvermittelt auftreten und damit zu großen wirtschaftlichen Schäden führen kann.

„Tritt der Virus bereits flächig auf und sind lange Grenzen zu schützen, zeigte unsere Simulation, dass diese Bekämpfungsstrategie nicht mehr weiterhilft“, sagt Thulke. Dies passe zu den praktischen Erfahrungen, dass sich die Seuche kaum an ihrer Ausbreitung hindern lässt, hat sie sich einmal festgesetzt. „Insofern sehe ich die konsequente Umsetzung der Maßnahmen bei einem Punkteintrag als Chance, die es nicht zu verspielen gilt“, sagt Thulke.

Er baute für die Analysen auf den 20-jährigen Erfahrungen auf, die das UFZ bei Modellierungen etwa zur Bekämpfung der Tollwut, der Maul- und Klauenseuche sowie der ASP sammelte.

Deutschland könnte aus dem EFSA-Wissenschaftsreport nach Meinung des UFZ-Forschers wichtige Schlussfolgerungen ziehen.

„Die Bundesländer könnten sich basierend auf den Bericht sehr gut für ein mögliches punktuelles Auftreten der Afrikanischen Schweinepest vorbereiten“, sagt Thulke. Zu welchem Zeitpunkt müssten die Behörden eingreifen? Welche Art von Zaun ist notwendig für die Kernzone? Wer übernimmt das Abschießen der Wildschweine? Wo werden die Kadaver entsorgt? Fragen, für die jedes Bundesland basierend auf dem EFSA-Bericht konkrete Antworten parat haben sollte. „Die Bundesländer haben damit die Möglichkeit, vorliegende Notfallpläne zu präzisieren und ressourcenorientiert zu untersetzen“, sagt Thulke.

Die EFSA übernimmt die wissenschaftliche Beratung für die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit. Jedes Jahr veröffentlicht sie für die EU-Kommission einen Bericht über die ASP, der nicht nur den aktuellen Stand der epidemiologischen Situation zur ASP in den EU-Staaten wiedergibt, sondern sich auch bestimmten Fragestellungen widmet.

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