Wรผrden sich alle Fraktionen im Leipziger Stadtrat von der rechtsradikalen AfD abgrenzen, hรคtte die Partei keine Chance, politisch Einfluss zu nehmen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das Abstimmungsverhalten bei der jรผngsten Haushaltssitzung zeigt, dass die AfD bei eigenen Antrรคgen auf Mehrheiten hoffen kann. Vor allem CDU und BSW liefern die nรถtigen Stimmen. Die neuen Mehrheitsverhรคltnisse kรถnnten auch die kommende Wahl dreier Dezernent*innen beeinflussen.

Die AfD verfรผgt โ€žnurโ€œ รผber zwรถlf von 70 Sitzen im Stadtrat โ€“ eigentlich weit von einer Mehrheit entfernt. Ein besonders groรŸer Aufwรคrtstrend ist bei ihr nicht zu erkennen: Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr hat sie im Vergleich zur vorherigen Wahl nur einen Sitz dazugewonnen.

Sollten im Stadtrat alle Mitglieder anwesend sein โ€“ was selten der Fall ist โ€“ wรคren 36 Stimmen fรผr eine Mehrheit notwendig. Oberbรผrgermeister Burkhard Jung ist stimmberechtigt. Diese 36 Stimmen kann die AfD dank der neuen Mehrheitsverhรคltnisse erreichen.

CDU und BSW stimmen wiederholt fรผr AfD-Antrรคge

Sowohl die CDU als auch das BSW haben schon mehrmals fรผr AfD-Antrรคge gestimmt, zuletzt auch bei rechtsradikalen Herzensangelegenheiten wie Klimazerstรถrung, Migrationsabwehr und Kulturkampf gegen Links. Von der CDU kommen dabei 14 zusรคtzliche Stimmen, vom BSW nochmal sieben, ergibt zusammen mit der AfD schon 33 Stimmen.

Getu Abraham im Leipziger Stadtrat. Foto: Jan Kaefer

Bei der Haushaltssitzung am Mittwoch hatte die CDU noch 13 Stadtrรคt*innen, doch nun hat sich das zuvor fraktionslose Ex-SPD-Mitglied Getu Abraham den Konservativen angeschlossen. รœberraschend ist das nicht: Abraham vertrat schon zu SPD-Zeiten eher konservative Positionen und stimmte zuletzt als Fraktionsloser fรผr einen AfD-Antrag.

Doch woher bekommt die AfD die drei fehlenden Stimmen? Von den drei verbliebenen Fraktionslosen.

Fraktionslose bringen die entscheidenden Stimmen

Dabei handelt es sich um Jรผrgen Gรผnter Butz von den rechtsradikalen โ€žFreien Sachsenโ€œ, Stefan Rieger von den โ€žFreien Wรคhlernโ€œ und den parteilosen Klaus-Peter Reinhold, der รผber die FDP in den Stadtrat gewรคhlt wurde, sich aber weigerte, der โ€žFreien Fraktionโ€œ von FDP, Piraten und โ€žDie PARTEIโ€œ beizutreten.

Alle drei haben am Mittwoch fรผr Kรผrzungen im Klimaschutzreferat gestimmt, die von der AfD beantragt worden waren. Der Antrag bekam nur deshalb keine Mehrheit, weil sich in diesem Fall drei Mitglieder der BSW-Fraktion enthielten und ein Mitglied der AfD-Fraktion nicht anwesend war.

Abstimmungsergebnis fรผr einen AfD-Antrag im Leipziger Stadtrat am 12. Mรคrz 2025. Screenshot: LZ

Die potenziellen Stimmen fรผr AfD-Antrรคge kommen รผbrigens fast ausschlieรŸlich von Mรคnnern. Von den 36 Personen sind lediglich drei(!) weiblich: zwei in der AfD und eine in der CDU.

Linke, Grรผne, SPD, Freie und OBM Jung, die allesamt AfD-Antrรคge konsequent ablehnen, kommen zusammen im Stadtrat nur auf 35 Stimmen. In den meisten Fรคllen reicht das โ€“ aus zwei Grรผnden.

Mehrheiten fรผr die AfD trotzdem eher unwahrscheinlich

Zum einen sind selten alle Stadtrรคt*innen anwesend. Eine Anwesenheitsquote von fast 100 Prozent wie bei der jรผngsten Haushaltssitzung ist eine Ausnahme. Bei vielen Abstimmungen fehlen zehn bis 20 Prozent der Stadtrรคt*innen. Ob sich das linke oder das rechte Lager durchsetzt, hรคngt dann hรคufig schlicht davon ab, in welchem Lager die Anwesenheitsquote hรถher ist.

Zum anderen ist es auch eher Ausnahme als Regel, das beispielsweise das BSW fรผr AfD-Antrรคge stimmt. Den AfD-Antrag, dass Leipzig aus dem Bรผndnis โ€žStรคdte sicherer Hรคfenโ€œ austreten soll, lehnte das BSW ab, obwohl es in der Migrationspolitik rechts der Mitte einzuordnen ist. Hรคufig enthรคlt sich das BSW bei AfD-Antrรคgen. Dass alle Stadtrรคt*innen, die offen fรผr AfD-Antrรคge sind, tatsรคchlich gemeinsam fรผr einen solchen Antrag stimmen, dรผrfte โ€“ Stand jetzt โ€“ selten passieren.

BSW-Fraktionsvorsitzender Eric Recke im Leipziger Stadtrat. Foto: Jan Kaefer

Vollkommen unklar ist derzeit, was die neuen Mehrheitsverhรคltnisse fรผr die Wahl der Fachbรผrgermeister*innen bedeuten. Aktuell werden die acht Dezernate gleichmรครŸig unter CDU, Linken, Grรผnen und SPD aufgeteilt. Sie sollen ungefรคhr die GrรถรŸe der Fraktionen widerspiegeln, doch die Mitte-Links-Parteien haben bislang stets verhindert, dass die AfD einen Posten erhรคlt.

AfD und BSW kรถnnten Dezernate beanspruchen

In zwei Jahren enden die Amtszeiten von drei Dezernent*innen. Das BSW kรถnnte Anspruch auf ein Dezernat erheben, schlieรŸlich hat es genau so viele Stadtrรคt*innen wie die SPD. Die beiden von der SPD besetzten Dezernate stehen allerdings nicht zur Wahl, sondern jenes von Ordnungsbรผrgermeister Heiko Rosenthal (Linke) sowie die beiden Grรผnen-Dezernate Stadtentwicklung und Jugend von Thomas Dienberg beziehungsweise Vicki Felthaus.

Gut mรถglich, dass in zwei Jahren nicht nur das BSW auf ein Dezernat drรคngt, sondern erneut die AfD โ€“ und diesmal angesichts der neuen Mehrheitsverhรคltnisse mit Erfolgsaussichten.

In der Vergangenheit hatte Oberbรผrgermeister Jung stets angekรผndigt, gegen die Wahl eines AfD-Kandidaten sein Veto einzulegen. In zwei Jahren wird er diese Mรถglichkeit nicht mehr haben โ€“ wenige Monate vor der Wahl der Dezernent*innen endet seine letzte Amtszeit.

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