Es hatte schon etwas von Popkultur an sich: 500 Menschen im Saal des Ringcafés, der normalerweise mit 250 Plätzen gut gefüllt ist, und zwischen 500 und 1.000 vor dem geschmückten Gebäude, die ihre Stars und ihre Partei im Bundestagswahlkampf feierten. Die Linke ist, nicht nur wegen der Silberlocken, wie Phönix aus der 3-Prozent-Umfragen-Asche wieder auferstanden, genau zur richtigen Zeit vor der Bundestagswahl. Es gibt also Grund, sich zu feiern.
Die Silberlocken treten als Trio auf, diesmal mit Sören Pellmann als Leipziger Ergänzung, aber der Star des Abends war erwartbar Gregor Gysi. Das war schon bei seinem Eintreffen ersichtlich, er kam etwas später als der Rest der Band, die Rede von Dietmar Bartsch wurde plötzlich durch Beifall unterbrochen und Gysi erschien.
Soweit der zugegeben etwas launige Einstieg, es war einfach zu verlockend.
Vorbei die Zeit, in der die durch Austritte und schlechte Presse geschundene Parteiseele gestreichelt werden musste. Das machte Nina Treu, die Direktkandidatin im Leipziger Süden, bei der Eröffnung klar und sie setzte gleich die Zielmarke: „Mit Sören Pellmann im Leipziger Süden holen wir eins der drei, vier, fünf, sechs Direktmandate für Die Linke in Deutschland.“
Dietmar Bartsch schlug später in dieselbe Kerbe: „Ich hoffe, wir kommen am nächsten Sonntag wieder, mit Leipzig und Sören Pellmann direkt gewonnen und deutlich über fünf Prozent, das ist jedenfalls unser Ziel.“
Auch mit Zahlen konnte Nina Treu aufwarten: Plakatierstart mit 200 und Haustüraktionen an Wochenenden mit 100 Freiwilligen, dazu die steigenden Mitgliederzahlen. „Seit dem 1. 1.2024 haben wir über 1.000 Mitglieder neu dazubekommen und davon allein 600 in den letzten beiden Wochen. Das heißt: Wir waren jetzt vor der Veranstaltung knapp 3.500 Menschen und zum ersten Mal auch mehr Frauen als Männer in der Stadtpartei und über 100 diverse Personen.“ Leipzig ist somit der größte Stadtverband der Linken in Deutschland.
Nach der Eröffnung übernahm Susanne Schaper, Landesvorsitzende in Sachsen, und begann mit der Begrüßung von Sören Pellmann, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch.
Im Bundestag braucht es eine linke Kraft
Dietmar Bartsch begründete die Notwendigkeit der Linken im Bundestag: „Es muss im Deutschen Bundestag eine Kraft geben, die linke Argumente einbringt, damit linke Argumente in der Gesellschaft weiterhin gehört werden, damit linke Argumente diskutiert werden, damit wir in Deutschland nicht auch ein Beispiel für den Rechtsruck sind.“
Kurze Zeit später kam es, wie es kommen musste: Gerade als er sich über Leipzig und die zu kleinen Säle für eine solche Veranstaltung lustig machte, wurde die Rede vom Eintreffen Gysis unterbrochen. Für einen Seitenhieb gegen das BSW und die Richtungszuweisung der Linken blieb aber noch Zeit.
„Wir kämpfen nach der Abspaltung, die immer uns erzählt hat, wie schlimm wir sind und was wir falsch machen, wir kämpfen jetzt entschlossen darum, dass es eine linke Kraft geben wird. Die haben gesagt, sie wollen eine Partei der Mitte sein. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine linke Kraft sein mit all den Argumenten.“
Danach ging es auf den Balkon, um die Zuchauer draußen zu begrüßen. Und Susanne Schaper sagte: „Die drei haben sich gewünscht, einmal in Leipzig vom Balkon zu sprechen und die Republik auszurufen.“
Bodo Ramelow kam danach noch einmal auf die Situation vor einem Jahr zurück: „Wir haben im letzten Jahr einen ziemlichen Dämpfer gekriegt. Das ist aber auch der Preis für die Spaltung gewesen, die Ausgründung der Ich-AG, die unsere Mandate mitgenommen hat und dann für sich beschlossen hat, eine völlig neue Welt, eine neue politische Welt zu schaffen, die um eine Ikone herum aufgebaut wird.“
Die Geschichte vom „Seniorenexpress“ und seinem Start, dem medialen Erfolg in den sozialen Medien und dem Beginn als Politik-Influencer auf TikTok wurde schon oft erzählt, man kann sie hier überspringen.
Gregor Gysi, befragt nach dem Begriff „Mission“ im Zusammenhang mit den Silberlocken und seinen Ratschlägen für die junge Generation, äußerte sich wie folgt, nur wie gewöhnlich ausschweifender:
„Erstens haben wir uns für das Wort Mission. Es gab ja mal eine Mission der Arbeiterklasse, aber vor allen Dingen ist das ein christlicher Begriff und wir dachten, so kriegen wir auch die katholischen und evangelischen Wähler. Ob das stimmt, wissen wir noch nicht, aber der Versuch lohnt sich.
Zweitens sage ich der heute jungen Generation Folgendes: Ihr dürft selbst alle Fehler machen, aber nicht unsere wiederholen. Ich verlange, dass ihr eigene Fehler begeht, nicht unsere.“ Er führte auch aus, dass die junge Generation ein anderes Lebensmodell als die ältere, ihn eingeschlossen, hat, und dass er glaubt, es wäre auch richtig. Zum Schluss gab es noch den Aufruf, keine soziale Ausgrenzung zuzulassen.
Palästina, Krankenkassen, Rente
Die Linke ist sich bewusst, dass sie im nächsten Bundestag in der Opposition sein wird. Dietmar Bartsch betonte auch, dass man das beabsichtigt. Aber sie will Themen setzen, Kinderarmut, soziale Gerechtigkeit, Mindestlohn und weitere.
„Wir sind, ganz leise, sagen das im Übrigen sogar Sozialdemokraten und selbst Unionisten: Hoffentlich kommt ihr rein, damit wir uns nicht immer nach denen rechts richten müssen.“ Das drückt dieses Selbstverständnis gut aus.
Eine weitere Unterbrechung folgte, die Silberlocken gingen erneut auf den Balkon, diesmal, um den Demonstrationszug von Fridays For Future zu grüßen. Es gab überdies weitere Redebeiträge der drei zum Rechtsruck in Europa und anderen Themen, dann kam aber endlich das Publikum zum Zuge mit seinen Fragen.
Gregor Gysi wurde gefragt, ob Israel in Palästina einen Völkermord begeht. Seine Antwort war juristisch korrekt: „Das einzige Gremium, das berechtigt ist, festzustellen, ob etwas ein Völkermord ist oder nicht, ist der Internationale Strafgerichtshof.“ Er führte den Unterschied zwischen Völkermord und Kriegsverbrechen aus und bekannte sich sowohl zum Verteidigungsrecht Israels, als auch zu einem souveränen und sicheren Palästina.
Braucht es wirklich so viele Krankenkassen in Deutschland wie jetzt? Diese Frage beantwortete Bodo Ramelow mit einem klaren Nein. „Der Prozess, wo wir hin müssen, heißt moderne Bürgerversicherung. Jeder zahlt ein aus jeder Einkommensart, die jeder Mensch hat und es reicht eine einzige Krankenkasse, über die wir die Sozialversicherung abwickeln.“
Sören Pellmann, der bis dahin eher eine Nebenrolle spielte, kam bei der Frage zur Rentenpolitik dran. Er schlug gleich den Bogen zwischen Arbeit und Rente: „Die Linke setzt sich ja für mehr gesetzliche Rente und dann auch Rentenzahlung ein. Bedingung dafür ist aber, dass es erst mal gute Arbeit gibt. Dass wir überall mehr Tarifbindung haben, dass wir einen höheren Mindestlohn haben. Dass man überhaupt die Grundlage für später gute Rente in seiner Arbeitszeit erwirtschaften kann.“ Eine Rentenversicherung für alle, ohne Beitragsbemessungsgrenze, ist sein Ziel.
Es gab natürlich lange und ausschweifende Ausführungen zur Friedenspolitik der Linken und anderen Themen. Wer die Silberlocken, besonders Gregor Gysi, kennt, weiß, dass es eine hohe Wortzahl bei allen Themen gibt. Die Anwesenden waren jedenfalls begeistert. Die Reden wurden von lautem Applaus unterbrochen und begleitet.
Nach etwa 90 Minuten kam dann noch eine Autogramm- und Selfie-Stunde mit Gysi und Ramelow, Dietmar Bartsch musste zeitiger weg. Hier standen Menschen, die vorher draußen waren, auf der Treppe an, um ihre Stars zu treffen. Die Linke hat sich aufgerappelt, besser erneut nach oben gekämpft, im Selbstverständnis und in den Umfragen. Alles Weitere wissen wir am Abend des 23. Februar.
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Es gibt 3 Kommentare
Aha! Da sind also die ganzen SED-Milliarden hin!
*vorwutschäum*
😃
Ja, Gerd Stefan, da haben Sie recht und die Bild reibt sich neidisch die Augen. Denn die paar Milliönchen, die BILD seit Jahren von Merz’ Firma Blackrock und der Braunkohleindustrie einsackt, sind peanuts im Vergleich zu den – ja wahrscheinlich werden es Milliarden sein – die die Leipziger Zeitung von der krass reichen Linken und deren BilliardärsfreundÏnnen bekommt.
Linke, Fridays For Future und die Omas vielleicht auch noch. Man merkt wo das Herz der LIZ schlägt und wo man sein Geld herbekommt, Wahlpropaganda vom feinsten im Reservat der Guten.