Es wäre eine Gelegenheit gewesen, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu thematisieren und zu diskutieren. Die euro-scene hatte ein öffentliches Publikumsgespräch zu dem Stück „Here I am“ des Freedom Theatre angeboten, das Teil des Programms der euro-scene 2024 war. Aber dann ging auf einmal eine große Welle der Empörung los, standen Antisemitismusvorwürfe im Raum, das Stück wurde abgesetzt. Die CDU-Fraktion im Stadtrat nahm das zum Vorwand, eine Antisemitismusklausel in allen Förderrichtlinien der Stadt zu fordern. Ist ja wegen Steuergeld. Hat nur einen Haken.
Da das Stück in Leipzig nicht aufgeführt wurde, weiß eigentlich auch niemand so recht, wie viel an den Antisemitismusvorwürfen eigentlich dran ist. Dass das Stück streitbar sein muss – keine Frage. Es schildert den israelisch-palästinensischen Konflikt nun einmal aus der Sicht von Ahmed Tobasi, der im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin in der Westbank aufgewachsen ist und lebt.
„Sein Publikum bringt Tobasi zum Weinen wie zum Lachen, wenn er im Westen unvorstellbare Situationen und Geschichten mit Selbstironie garniert“, heißt es in der Stückbeschreibung auf der Homepage des Schauspiels Leipzig.
Er hätte auch ein Buch schreiben können, einen Film drehen oder einen Comic zeichnen. Es hätte an der Perspektive nichts geändert. Es wäre eine Basis gewesen, nach der Aufführung zur euro-scene über diese Perspektive zu diskutieren. Und über unsere eigenen Sichtweisen auf das, was seit dem 7. Oktober 2023 im Gaza-Streifen passiert.
Die Absage des Stückes hat das verhindert. Wobei man nicht ausblenden darf, dass es seit 2023 auch massive – tatsächlich antijüdische – Proteste auch an der Uni Leipzig gab. Die Absage erschien dabei wie ein Bauernopfer in einer Situation, in der irgendwie für eine richtige Diskussion kein Raum mehr zu bestehen schien.
Und genau das ist auch das Problem am Antrag der CDU-Fraktion, der schlichtweg davon ausging, dass es zur euro-scene einen antisemitischen Vorgang gab und die Stadt da einfach weggeschaut hat.
„Nachdem der Stadtrat mit überwältigender Mehrheit den CDU-Vorstoß im Frühsommer 2024 ablehnte, um wenige Stunden später mit der besagten Fachförderrichtlinie dem Anliegen des Antrages zu folgen, stellen wir nun diesen Antrag auf Vereinheitlichung“, heißt es im CDU-Antrag.
„Gerade die Debatte um die ‚euro scene leipzig‘ und die Förderung eines antisemitischen Theaterstückes bzw. eines Dschihadisten zeigt, dass so eine Vorkehrung von deutlicher Relevanz für die Stadt ist. Die Antwort der Verwaltung auf die Drucksache VIII-F-00305 liest sich, als ob es der Verwaltung einfach durchgerutscht wäre.
Nach wie vor wird in Leipzig mit Steuergeldern Antisemitismus finanziert. Dieses Muster aufzubrechen ist durch eine klare Regelung der Förderfähigkeit gewährleistet.“
Eine Art Zensur?
Nur würde das irgendwie dazu führen, dass das Kulturamt künftig eine Vorzensur über alles übernimmt, was bei geförderten Kulturprojekten gezeigt wird.
Eigentlich eine Zumutung, wie das Kulturamt in seiner Stellungnahme indirekt auch anmerkte: „Eine Vorabprüfung der Programme von geförderten Einrichtungen oder Projekten hinsichtlich politischer Aspekte findet nicht statt. Es gilt die Grundannahme, dass sich alle Beteiligten in Rahmen des Grundgesetzes und der geltenden Gesetze bewegen bzw. sich an diese halten und sich mit den Inhalten der einzelnen Programmpunkte auseinandersetzen, ggf. auch mit den Aufgaben und Zielen einzelner Künstler/-innengruppen.“
Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, dass man diese Verantwortung bei den geförderten Institutionen und Projekten belässt. Und dass es keine gesonderte Antisemitismusklausel in allen Fachförderrichtlinien geben muss.
Die übrigens unwirksam wäre, wie die Verwaltung in ihrer Stellungnahme betont: „Eine Antisemitismusklausel, die als Rechtsfolge dazu führen soll, eine Förderung allein auf der Grundlage abzulehnen, dass ein Antragsteller sich der Klausel nicht unterwerfen möchte, verstößt gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dabei wäre die Meinungsfreiheit nicht erst dann berührt, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten selbst eingeschränkt oder untersagt wird.
Es genügt, dass nachteilige Rechtsfolgen daran geknüpft werden. Die Versagung einer Förderung würde eine solche nachteilige Rechtsfolge darstellen. Eine Ausnahme hiervon würde dann vorliegen, wenn bspw. der alleinige Zweck einer Förderung die Präventionsarbeit gegen Antisemitismus wäre.“
Was aus Sicht der Stadt eben auch bedeutet: „Die von der Stadt Leipzig ausgereichten Förderungen von Projekten und Institutionen insgesamt unter die Bedingung zu stellen, dass sich die Zuwendungsempfänger gegen Antisemitismus stellen, ist daher abzulehnen.
Die Einführung eines solchen Bekenntnisses gegen jede Form von Antisemitismus wird weder dem Anliegen, Antisemitismus zu verhindern, gerecht, noch ist dieses aufgrund der Grundrechtseingriffe (Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 3. GG; Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) zum gegenwärtigen Zeitpunkt rechtssicher umsetzbar.“
Zugespitzte Aggressionen
Das klingt schwer auszuhalten, bedeutet aber eben auch, dass es auch zu Israel divergierende Standpunkte geben darf und geben muss – gerade wenn es um das Schicksal der Palästinenser geht. Denn wie will man den Konflikt verstehen, wenn man nicht beide Seiten wahrnimmt?
Was ein Problem unserer öffentlichen Diskussion ist. Das stellt auch die Initiative „Artists against Antisemitism“ zumindest für einen Teil der Diskussion fest, die mit einem Offenen Brief die Debatte in Leipzig ins Rollen gebracht hat. Denn wo sich die Fronten verhärten, fühlen sich viele Menschen berechtigt zur Intoleranz.
Das haben auch Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder zu spüren bekommen, wie „Artists against Antisemitism“ feststellte: „Der Dämonisierung, der Delegitimierung und den Doppelstandards gegenüber dem Staat Israel, Jüdinnen und Juden und den als jüdisch chiffrierten Menschen weltweit, die in der Berichterstattung, in den Kommentaren und Meinungen geduldet werden, muss dringend ein Ende gesetzt werden.
Es kann nicht sein, dass Synagogen rund um die Uhr geschützt werden müssen und – wie schon geschehen – jüdischen Menschen aus Sicherheitsgründen empfohlen werden muss, im öffentlichen Raum keine Kippa oder andere Merkmale, wie Kettenanhänger, zu tragen, sie sich also nicht als Juden zu erkennen geben sollten.“
Nur braucht es dafür nicht neue Bekenntnisse, sondern eine umfassende Präventionsarbeit.
Es geht um Prävention
So sah es auch die Stadt und empfahl Ablehnung des CDU-Antrags: „Mit dem am 29.02.2024 in der Ratsversammlung beschlossenen Konzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismusprävention strebt die Stadt Leipzig eine neue Qualität in der Bekämpfung des Antisemitismus an. Die vom Antragsteller eingebrachte Antisemitismusklausel im Bereich städtischer Zuwendungen würde bei aller Anerkenntnis des Anliegens dazu keinen wirksamen Beitrag beisteuern können.“
Denn um Toleranz und Respekt zu begründen, braucht es Wissen. Irgendwie sah dann auch CDU-Stadtrat Michael Weickert ein, dass eine Antisemitismusklausel bei Kulturförderungen der Sache wohl nicht dienlich wäre, und zog den CDU-Antrag zurück.
Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke erklärte dann noch, dass es keinen antisemitischen Vorfall gab. Sie sprach zwar vom Dok-Festival, muss aber die euro-scene meinen, die im CDU-Antrag erwähnt wurde. Denn „Here I am“ wurde ja nach Rücksprache mit der Leitung der euro-scene abgesetzt. Ohne Diskussion.
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