Seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien im Dezember 2024 wird intensiv über die mögliche Rückkehr der nahezu eine Million Syrerinnen und Syrer aus Deutschland diskutiert. Eine Anfrage der Freien Fraktion im Leipziger Stadtrat gibt dabei einen aufschlussreichen Einblick in den Status syrischer Staatsangehöriger in Leipzig und ihre bedeutende Rolle in der Gesellschaft und Wirtschaft der Stadt: Sie sind längst in die Stadtgesellschaft integriert.
Ein Befund, der so völlig den ganzen Behauptungen zur Migration im Bundestagswahlkampf widerspricht. Das Bild vom nicht integrierten Flüchtling ist ein Zerrbild, das ganz allein den Rechtspopulisten in die Karten spielt.
Das Dezernat Umwelt, Klima, Ordnung und Sport hat auf die Anfrage der Freien Fraktion mit vielen Zahlen geantwortet. Dazu gehört auch ein Blick auf die gesamte Beschäftigungssituation syrischer Geflüchteter in Deutschland: „Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, hat die Erwerbstätigkeit der seit Ausbruch des Bürgerkrieges nach Deutschland eingereisten Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit im Jahr 2022 untersucht.
Dabei wurde festgestellt, dass die Erwerbstätigenquote unter den von 2013 bis 2019 nach Deutschland eingereisten Menschen syrischer Nationalität bei 61 % liegt (Männer: 73 %, Frauen: 29 %) und sich damit der Erwerbstätigenquote der Gesamtbevölkerung bereits stark angenähert hat (2023 Gesamt: 77,2 %). Davon üben 75 Prozent eine qualifizierte Tätigkeit aus.
Syrerinnen und Syrer arbeiten zudem überdurchschnittlich oft in sogenannten systemrelevanten Berufen (62 % zu 48 % bei deutschen Beschäftigten). Es steht damit zu erwarten, dass neben den in kommunaler Trägerschaft beschäftigten Menschen aus Syrien auch in anderen Bereichen der Leipziger Daseinsvorsorge und Wirtschaft wichtige Beiträge für unser Land leisten (Quellen: Syrische Arbeitskräfte in Deutschland – IAB – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, www.destatis.de).“
Und längst üben sie auch Tätigkeiten im Bereich der Stadt Leipzig aus.
Derzeit sind knapp 100 syrische Staatsangehörige in der Leipziger Stadtverwaltung, den Eigenbetrieben und städtischen Gesellschaften beschäftigt. Da seit 2015 bereits 1.829 Syrerinnen und Syrer die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, könnte die tatsächliche Zahl der Beschäftigten mit syrischer Herkunft jedoch höher sein, stellt die Freie Fraktion fest. Dies unterstreicht die zentrale Rolle, die Syrerinnen und Syrer bei der Bereitstellung wichtiger Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger Leipzigs spielen.
„Seit 2015 wurden 2.512 Anträge auf Einbürgerung von syrischen Staatsangehörigen gestellt. Davon wurden 1.829 Anträge positiv entschieden, fünf Anträge abgelehnt und 580 sind noch offen (Stand jeweils 31.01.2025)“, hatte das Ordnungsdezernat konkret dazu geantwortet.
„Hinzu kommen ca. 3.800 syrische Staatsangehörige, welche auf der Warteliste registriert sind, jedoch noch keinen förmlichen Antrag gestellt haben.“
Das hätte spürbare Auswirkungen auf die Stadt
„Die syrischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Leipzig haben sich als engagierte Bürgerinnen und Bürger erwiesen“, kommentiert Sven Morlok (FDP), Vorsitzender der Freien Fraktion, die vorgelegten Zahlen. „Sie sind überwiegend gut integriert, weisen eine hohe Einbürgerungsquote auf und viele von ihnen sind in Schlüsselbereichen tätig, in denen sie kurzfristig nur schwer zu ersetzen wären. Sollte diese Gruppe von heute auf morgen ausreisen oder zurückgeschickt werden, würde das spürbare Auswirkungen auf die Stadt haben.“
Dieser Trend sei nicht nur auf Leipzig beschränkt, sondern zeige sich auch deutschlandweit. 60 Prozent der syrischen Staatsangehörigen übten eine qualifizierte Tätigkeit aus. Laut dem Institut für Wirtschaft seien aktuell etwa 80.000 syrische Fachkräfte in Engpassberufen in Deutschland beschäftigt.
„Die syrischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in unserer Stadt leben, arbeiten, zahlen Steuern und leisten einen spürbaren Mehrwert in unserer Gesellschaft“, betont Morlok. „Der Beitrag, den sie leisten, wird oftmals unterschätzt. Unsere Politik sollte syrischen Erwerbstätigen, die hier eine neue Heimat gefunden haben, auch dann eine sichere Bleibeperspektive bieten, wenn ihr subsidiärer Schutz abläuft.“
Zum 4. Februar 2025 lebten insgesamt 10.873 syrische Staatsangehörige mit einem gültigen Aufenthaltsdokument in Leipzig, hatte das Ordnungsdezernat aufgelistet. Davon leben 6.996 Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen in Leipzig, 1.122 Personen mit einer Niederlassungserlaubnis und 2.421 Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen (Ausbildung/Studium, Erwerbstätigkeit, Familiennachzug und besondere Aufenthaltsrechte nach §§ 37-38a, 104c AufenthG). 53 Personen seien aktuell in Besitz einer Duldung und 281 Personen in Besitz einer Aufenthaltsgestattung.
Ein Thema ist das natürlich, da sich die Verhältnisse in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes geändert haben und in deutschen Medien schon wieder überstürzt darüber diskutiert wurde, die aus Syrien Geflüchteten müssten nun alle schnellstens wieder nach Syrien zurückkehren. Und das, obwohl dort von stabilen Verhältnissen noch lange keine Rede sein kann. Insbesondere CDU- und FDP-Politikern konnte das gar nicht schnell genug passieren.
Doch die Zahlen erzählen eben auch davon, dass viele Syrer nach zehn Jahren längst in die deutsche Gesellschaft integriert sind, und auch davon, dass sie längst Fachkräftelücken füllen, die aus dem hiesigen Fachkräftereservoir schon lange nicht mehr geschlossen werden könnten.
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