Die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerberinnen und -bewerber, ein Herzensprojekt konservativer und rechter Parteien, steht auch in Leipzig bevor. Dazu hat der Migrantinnen- und Migrantenbeirat einen offenen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung und Sozialbürgermeisterin Dr. Martina Münch geschrieben. Wir haben die Beirats-Vorsitzende des Migrantinnen- und Migrantenbeirats, Dr. Francesca Russo, dazu befragt.
Guten Tag, Frau Dr. Russo! Worum geht es in diesem Brief und was wollen Sie damit erreichen?
Es geht um die Bezahlkarte, die eingeführt werden soll, damit Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, das Geld nicht mehr über bekannte Wege, auf einem Konto oder per Scheck bekommen, sondern das Geld wird auf eine Bezahlkarte aufgeladen. Es gibt tatsächlich räumliche Begrenzungen, beziehungsweise Begrenzungen der Systeme, die genutzt werden können, um diese Karte zu lesen. Das ist an verschiedenen Orten anders geregelt.
Aber es ist tatsächlich auch eine Möglichkeit, mit dieser Karte, dass die Personen nicht überall Geld abheben, beziehungsweise verwenden dürfen, sondern nur so lokal begrenzt. Und es gibt tatsächlich auch Begrenzungen, was die Summe des abgehobenen Geldes angeht, so 50 Euro. Das finden wir natürlich alles sehr schlecht, aus verschiedenen Gründen.
Nicht nur wegen der Diskriminierung, die daraus resultiert, im Sinne der Geflüchteten, sondern auch im Sinne des Verwaltungsaufwandes, der für die Stadt Leipzig entsteht. Da ist im Endeffekt auch nicht geklärt, wie Menschen Überweisungen machen können. Da wird die Schwierigkeit bestehen, dass dafür Personen wahrscheinlich durch das Sozialamt bezahlt werden müssen. Das ist natürlich einerseits datenschutzrechtlich nicht konform, andererseits auch ein enormer Aufwand für die Mitarbeiter, die mit so stupiden Beschäftigungen ihre Zeit verbringen müssen.
Das war nicht Thema in dem Brief, aber ich finde es persönlich sehr schlecht, dass dieses selbstkonstruierte Problem tatsächlich da ist und wir müssen uns darum kümmern. Es wird wahrscheinlich auch ein Problem sein, mit dem wir uns in den nächsten Jahren beschäftigen müssen, denn die Menschen, die das betrifft, das sind genau die, die nicht arbeiten dürfen. Das ist eine Sache, die mich persönlich sehr ärgert, denn die Menschen dürfen nicht arbeiten, weil es aus verschiedenen Gründen so entschieden worden ist.
Unter anderem, weil nicht gewollt ist, dass Menschen aus Deutschland kommen, die aus eigener Initiative und nicht, zum Beispiel per Fachkrafteinwanderungsverfahren, zu uns kommen. Damit habe ich tatsächlich eine Schwierigkeit, weil viele Menschen, eigentlich die Mehrheit unter diesen Personen, arbeiten wollen.
Die sitzen in den Erstaufnahmeeinrichtungen, sagen die ganze Zeit: Warum muss ich da sitzen in einer Gemeinschaftsunterkunft, darf nicht arbeiten und werde schuldig gemacht, dass ich nur ein Sozialschmarotzer bin? Das ist eine Sache, die mich neben diesen ganzen verwaltungsrechtlichen Aspekten persönlich sehr ärgert.
Der Offene Brief des Migrantinnen- und Migrantenbeirats.
Einige Probleme der Bezahlkarte sind: territoriale Gültigkeit, eventuell nach Postleitzahlgebieten, Begrenzung auf Warengruppen und die gewählte Form der Debitkarte. Wenn es schlecht gemacht wird, kann jemand, der in Leipzig wohnt, diese nicht in Schkeuditz nutzen und sie wird nur in Geschäften angenommen, die Kreditkarten akzeptieren. Die Menschen können also nicht einmal sparsam leben, indem sie z.B. in Secondhand-Läden oder auf Flohmärkten einkaufen. Der faktische Ausschluss vom Bargeldverkehr ist ein weiteres Problem. Wie sehen Sie das?
Auf jeden Fall. Ich sehe auch die Schwierigkeit, zum Beispiel mit dieser räumlichen Begrenzung. Es gibt das Gesetz, es wird aber in Leipzig derzeit nur selten angewendet, dass die Personen das Stadtgebiet nicht verlassen dürfen. Da ist es schon ein Problem, wenn man zum Beispiel am Cospudener See baden gehen möchte.
Diese Regelung wird aber tatsächlich nicht mehr so oft genutzt, wie man denkt. Also tatsächlich werden die Personen, wenn sie ankommen, von der Landesregierung erstmal einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen und von dort kommen sie nach dem Gespräch mit dem BAMF in eine Gemeinschaftsunterkunft.
Natürlich ist das Problem, wenn ich in Leipzig wohne, dass Leipzig teurer als andere Städte ist. Da ist natürlich die Schwierigkeit, dass die Personen diese billigen Varianten nicht nutzen dürfen. Ich denke auch, dass Schwierigkeiten bestehen können für Personen, die sich erstmal einen Überblick verschaffen müssen über die ganzen Läden, in denen sie mit der Karte bezahlen können. Wenn ich eine betroffene Person wäre, wäre es mir peinlich, in einen Laden zu gehen, einkaufen zu wollen und dann der Kasse zu merken, dass das nicht geht.
Das ist ein Problem und könnte dazu führen, dass diese Menschen ausgegrenzt werden, im Sinne von: Wir wollen diese Personen nicht haben, die mit der Bezahlkarte bezahlen müssen. Ein Problem haben wir in Leipzig wahrscheinlich nicht, aber in Landkreisen ist es so, dass einige Waren nicht in dem Ort verkauft werden, in dem die Personen wohnen.
Das eröffnet meiner Meinung nach eine unglaubliche Vielfalt an mehr oder weniger legalen Möglichkeiten, die man sich überlegen kann, um mit diesem System umzugehen. Zum Beispiel Gutscheine. Das war auch tatsächlich in einem Gespräch von einigen Ehrenamtlichen, dass man so ein Gutschein-System etabliert, damit die Personen trotzdem an Bargeld kommen.
Nun fordern Sie ja den Oberbürgermeister auf, dass er sich dafür einsetzt, dass Leipzig eine eigene Regelung treffen darf.
Genau, das ist tatsächlich unser Vorhaben. Wir haben auch einen Brief bekommen vom Innenministerium, dass tatsächlich kein Spielraum mehr gesehen wird, dass Leipzig sich heraushalten darf. Da ist jetzt natürlich für uns die Frage offen: Wie geht es weiter? Es gibt jetzt dieses Schreiben und die Städte müssen sich daran halten, allerdings kann man tatsächlich auch im Rahmen der Kommune Dienstanweisungen machen, die zum Beispiel erlauben, dass diese Bezahlkarte nur in Ausnahmefällen angewendet wird.
Ich arbeite mit Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung und es gibt Personengruppen, bei denen Social-Cards, wie zum Beispiel in Hannover, genutzt werden, um sie vor sinnlosen Geldausgaben zu schützen. Das kann eine Möglichkeit sein, aber nicht für alle gelten. Und da wäre eine Idee, ob man zum Beispiel eine Dienstanweisung machen kann.
Die Einführung der Bezahlkarte wird ja durch die Länder geregelt. Aufgrund der Brandenburger Regelung will Potsdam die Bezahlkarte nicht einführen. Sie kennen wahrscheinlich die Ausführungen von Sven Morlok, der die Bezahlkarte für wirtschaftlich unsinnig ansieht. Was wäre Ihrer Meinung nach eine sinnvolle Lösung?
Das wäre quasi die Fortführung des aktuellen Systems. Also natürlich gibt es tatsächlich auch unter Geflüchteten Menschen, die aufgrund psychischer Erkrankungen nicht in der Lage sind, zum Beispiel sich das Geld aufzuteilen. Das sind aber seltene Fälle. Und da gibt es auch ein ganzes System, das mit Betreuungsbehörden und Betreuungsmöglichkeiten zu tun hat.
Das ist aber nicht Gegenstand dieses Problems. Der Hintergedanke hinter dieser Bezahlkarte ist tatsächlich, dass Menschen dieses Geld nutzen könnten, um etwas anderes zu machen, als ihr Leben hier zu bestreiten. Das ist der Hintergedanke darunter. Aber Punkt 1 ist, dass diese Vermutung nicht nachgewiesen wurde.
Sie meinen damit, dass asylsuchende Menschen Geld in ihre Heimatländer überweisen, um Schlepper zu bezahlen?
Genau, wenn das das Problem ist, was ich eigentlich nicht glaube, dann muss es hier irgendwie anders gelöst werden. Also, ich habe jetzt keine Lösung parat. Meine Lösung wäre, dass die Menschen einfach arbeiten dürfen. Das ist das, was mir sehr am Herzen liegt.
Aber ich wäre tatsächlich dafür, dass dieses Thema zurückgedreht wird und zugegeben wird, dass es keine gute Idee war, die Bezahlkarte einzuführen, und dass dieses System einfach abgeschafft und am besten in Leipzig gar nicht eingeführt wird.
Frau Dr. Russo, ich bedanke mich für das Gespräch und Ihre Zeit.
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Fazit des Interviewers: Welche Möglichkeiten es für Leipzig gibt, die Bezahlkarte zu verhindern oder anders zu gestalten, muss die Stadtverwaltung wohl prüfen. Ob der Stadtrat das, mit den aktuellen Mehrheiten, überhaupt will, ist allerdings fraglich.
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