Seit Freitag, dem 27. Dezember 2024, ist es sicher: Da legte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ganz offiziell den 23. Februar als Termin für die Bundestagswahl fest. Die meisten der Parteien haben längst ihre Direktkandidaten für die Leipziger Wahlkreise gekürt. Am 7. Januar sprachen wir mit der Bundestagsabgeordneten Paula Piechotta und baten sie, sich den Wählerinnen und Wählern vorzustellen.
Frau Piechotta, Sie treten als Direktkandidatin für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagswahlkampf an. Erzählen Sie doch mal kurz ein bisschen über sich. Wer ist diese Paula Piechotta?
Ich bin 38 Jahre alt, in Gera geboren, habe relativ früh schon Leute in meiner eigenen Familie pflegen müssen und deswegen Medizin studiert und ziemlich früh angefangen, mich mit Gesundheitspolitik zu beschäftigen. Habe dann in Jena studiert und in Berlin, in Heidelberg und in Leipzig gearbeitet. Bin dann hier sehr, sehr gerne hängengeblieben.
Das war die einzige Stadt, wo ich mich wohlgefühlt habe. Ich habe hier auch meinen Facharzt für Radiologie an der Uniklinik gemacht und arbeite immer noch zwei Tage im Monat als Radiologin. Ich darf jetzt seit 2021 im Bundestag sein und da im Haushaltsausschuss, der immer so als der mächtigste Ausschuss im ganzen Bundestag gilt.
Dort darf ich für meine Fraktion den Verkehrshaushalt komplett und den Gesundheitshaushalt verhandeln. Mache außerdem im Gesundheitshausschuss noch die Medikamenten-Apotheken-Themen und bin außerdem noch Landesgruppenleiterin für alle ostdeutschen Grünen im Bundestag.
Kommen wir zu der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Im Moment werden diese von der einen Seite verteufelt, von der anderen verklärt. Was wäre, aus Ihrer Sicht, ein Grund, überhaupt Die Grünen zu wählen?
Nach den letzten drei Jahren dieser Bundesregierung, in denen ich auch in vielen Verhandlungsrunden dabei war, kann ich wirklich sagen: Wir sind die einzige Partei, die ehrlich Klimaschutz macht, auch im Hinterzimmer, wenn niemand dabei ist. Auch wenn das Geld knapp wird und die anderen zuerst beim Klimaschutz streichen wollen, ist derjenige, der das Streichen verhindert, im Zweifel unsere Partei.
Ich glaube aber auf der anderen Seite gibt es gerade in der aktuellen Situation einen Grund dafür, dass wir die Partei sind von den drei Parteien, die die letzte Bundesregierung gebildet haben, die gerade noch am nächsten an ihrem Wahlergebnis von vor drei Jahren ist. Das ist, glaube ich, weil wir uns gerade auch aus diesen Streitigkeiten rausgehalten haben und weil wir bis zum Schluss versucht haben, an der Stelle kompromissfähig zu sein.
Wir sehen gerade in ganz Europa und auf der ganzen Welt, dass ein demokratisches System nach dem anderen massiv unter Druck kommt, durch Desinformation, durch die weltweite Inflation, dadurch, dass gerade auch so Fragen wie die Ukraine oder Israel natürlich auch Gesellschaften nochmal ganz anders polarisieren. Gerade jetzt, dieses Wochenende, in Österreich.
Wenn wir nicht wollen, dass das auch hier passiert, braucht es, glaube ich, auf der einen Seite Parteien, die kompromissfähig sind. Wenn man nicht will, dass die Mietpreisbremse komplett Geschichte wird, wenn man nicht will, dass das Bürgergeld komplett Geschichte wird, dann ist es wichtig, dass die Parteien, die sich dafür einsetzen, dass diese ganzen Sachen, auch das Deutschlandticket, bleiben, dass die so viele Prozente wie möglich haben und diese Teil von Regierungen sein können.
Da muss man halt schon sagen, so großes Verständnis ich für alle Leute, die Kleinparteien wählen wollen, habe: Gerade weil in den letzten Jahren keine Partei rausgekommen ist, ohne Enttäuschung zu produzieren, weil die Zeiten einfach so krass sind, ist es so, dass diese Prozente halt potenziell dann fehlen. Und ich glaube, das, was viele Menschen nicht wollen, ist eine CDU, die alleine regiert. Und das kann aber, wenn es sehr, sehr viele Prozente für kleine Parteien gibt, kann es da schon mit relativ wenigen Prozenten für die CDU reichen.
Sie sagten gerade kompromissfähig. Wie soll die Kompromissfähigkeit gehen? Denken wir an die gestrigen Äußerungen von Robert Habeck, dass Syrer, wenn Syrien sicher ist, wenn sie nicht arbeiten, wieder zurück müssen. Wie weit geht Kompromissfähigkeit?
Das ist eine gute Frage, denn wenn der Kompromiss niemandem wehtut, dann ist er keiner. Ich glaube, wir kommen in Deutschland auch aus einer Zeit raus, also noch zur letzten Bundestagswahl habe ich gesagt, ich kämpfe dafür, dass es für Grüne plus SPD reicht. Wer weiß, wenn damals der Wahlkampf noch zwei Wochen länger gegangen wäre, dann hätte das auch reichen können.
Wir hätten viel weniger Kompromisse machen können und das Land stünde heute vielleicht anders da. Aber wir können immer nur mit den Mehrheiten arbeiten, die da sind. Und das sage ich jetzt auch immer den Leuten, die sagen: Oh, diese letzte Bundesregierung war so schlimm. Ja, aber sie war halt auch leider alternativlos.
Es war ja nicht so, als ob es nach der letzten Bundestagswahl so wahnsinnig viele verschiedene Optionen gab. Man hätte Jamaika machen können, da wussten alle: Der Laschet ist bei seinen Leuten so unten durch, der darf nicht mal mehr verhandeln, das ging also nicht. Man hätte nochmal GroKo machen können, aber wenn irgendjemand in diesem Land gefragt wurde, es waren sich alle einig: Nicht nochmal GroKo. Und dann blieb halt Rot plus Grün plus Gelb als einzige Option.
Dass die FDP an der Stelle eine schwierige Partei sein kann, was wir jetzt ja auch drei Jahre beobachten durften, das ist halt nun mal Fakt. Und ich glaube aber trotzdem, wenn man sieht, was jetzt in Österreich passiert, was auch teilweise in Frankreich passiert ist und auf der anderen Seite das Gegenbeispiel Polen, dann glaube ich schon, dass man es eben nicht riskieren darf, dass demokratische Parteien, so schwierig die Mehrheiten auch sind, nicht mehr zusammenkommen, weil dann am Ende die Rechtspopulisten profitieren.
Das ist ja das, was wir in Österreich sehen. Ich glaube, das wäre meine Antwort darauf. Und ich glaube, wir Grüne haben ja sehr oft gezeigt, dass wir harte Grenzen ziehen. Zum Beispiel beim Thema Atomkraft, wo die Kritik sehr deutlich ist. Aber ich glaube schon, dass die Alternative zur Kompromissfähigkeit, nämlich dass es potenziell, wie im Sächsischen Landtag oder wie in Österreich, gar keine Mehrheiten mehr gibt und potenziell Rechtspopulisten deutlich mehr Gestaltungsmacht bekommen, dass das die noch schlechtere Alternative ist.
Welche Themen bringen Sie in den Wahlkampf und, sollten sie gewählt werden,f in den Bundestag ein?
Natürlich vor allem die Themen, bei denen ich auch in den letzten drei Jahren richtig was wuppen durfte. Das ist auf der einen Seite der Verkehr: Wir haben den Verkehrshaushalt verhandelt, mein Team und ich. Insbesondere haben wir abgesichert, dass die Vereinbarungen auch halten, dass wir jetzt wirklich doppelt so viel Geld in die Schiene wie in die Straße investieren, zum ersten Mal seit über 20 Jahren. Dass wir tatsächlich gestoppt haben, dass das Verkehrsministerium am Parlament vorbei Gelder doch wieder in die Straße umlenken darf.
Das geht jetzt nicht mehr und das muss man aber natürlich auch nach der Bundestagswahl weiter absichern, damit das nicht rückabgewickelt wird. Wir haben es geschafft, weil wir so viel Geld in den Erhalt stecken bei der Schiene und bei der Straße, dass die Autobahngesellschaft jetzt keine neuen Ausschreibungen mehr starten kann für Neubauprojekte, weil das Geld schon gebunden ist für den Ersatzbau, also für den Erhalt.
Wenn wir auf die Carolabrücke in Dresden schauen, dann wissen wir auch alle, warum das richtig ist. Ich glaube, eine der großen Veränderungen der drei Jahre ist, dass es jetzt einen Konsens gibt, dass Erhalt wichtiger ist als Neubau, und dass jetzt wirklich alle Kraft in den Erhalt gehen muss.
Bei Gesundheit habe ich auch in den letzten drei Jahren viel gemacht. Da bin ich sehr gerne weiter dabei. Wir haben da, glaube ich, jetzt viel angeschoben. Wir haben in Deutschland das zweitteuerste Gesundheitssystem Europas, aber nur eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung. Vor allen Dingen auch wegen der ostdeutschen Männer, die einfach immer noch zu früh an ihren Herzinfarkten sterben.
Das ist ein richtig großes Problem. Die ziehen die Lebenserwartung im ganzen Land nach unten. Und das ist einfach eine schlechte Kombi. Das zweitteuerste Gesundheitswesen, aber nur eine vergleichsweise mittelmäßige Lebenserwartung, da müssen wir einfach besser werden.
Die Krankenhausreform: Sie haben alle gesehen, wie viel Widerstand das produziert hat. Aber wenn wir wollen, dass Patienten besser versorgt werden, dass die Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen haben und das Ganze trotzdem bezahlbar bleibt, dann muss sich einfach sehr viel ändern im Gesundheitswesen. Da sind wir noch lange nicht fertig.
Als dritten Punkt diese ganzen ostdeutschen Themen. Es ist leider immer noch so, dass Ostdeutsche massiv unterrepräsentiert sind. Selbst wenn es im Koalitionsvertrag steht, dass jede neue Bundesbehörde nach Ostdeutschland soll, muss man trotzdem für jeden einzelnen Standort kämpfen. Dafür haben wir sehr gut mit den anderen Fraktionen zusammengearbeitet, mit den jeweiligen Ossis aus den Fraktionen. Das hat sehr gut funktioniert. Das war mit das Tollste in den letzten drei Jahren, wie gut die Ostdeutschen an der Stelle zusammengearbeitet haben. Das muss man jetzt mal ganz deutlich so sagen.
Das sind die Themen, die ich gerne weitermachen würde. Natürlich würde ich auch gerne weiter Geld für Leipzig organisieren. Wir haben, glaube ich, jetzt wirklich in den letzten Jahren auch viel Fördergeld hierher geholt, für das Fahrradparkhaus, für den Auwald, für den Kohlrabi-Zirkus, für die Nikolaikirche und, und, und. Ich glaube, auch das ist nicht zu unterschätzen.
Zum Abschluss eine Frage zu den Grünen generell: Kernthema der Grünen war ja immer der Klimaschutz. Viele Menschen machen sich Sorgen, dass Klimaschutz zu teuer ist. Viele sagen: Ja, wenn ich die Grünen wähle, dann wähle ich zwar vielleicht gutes Klima, aber sinkende Lebensqualität.
Also das ist ja das, was vor allen Dingen andere Parteien gerne über uns erzählen. Ich mache es immer gerne konkret. Wenn wir uns zum Beispiel anschauen, warum wird der Kaffee oder warum das Olivenöl teurer? Es wird teurer, weil die Ernten schlechter sind. Warum sind die Ernten schlechter? Weil wir mehr Hitze haben, weil wir Überschwemmungen haben. Überschwemmungen sind vor allen Dingen beim Kaffee ein Problem. Keinen Klimaschutz zu machen, macht es einfach noch teurer für alle Beteiligten.
Wenn wir uns angucken, wer wohnt denn im Dachgeschoss, wo die Mieten ein bisschen billiger sind? Da wohnt die Verkäuferin vom Pfennigfuchser und die sagt mir dann, sie hat jetzt im Sommer drei Nächte hintereinander nicht geschlafen, weil es in ihrer Wohnung so heiß wird. In den Sommern, wie sie jetzt sind, ist es einfach unmöglich dort zu schlafen. Da sehen wir: Klimaschutz ist schon heute ein Problem für die, die weniger verdienen. Weil die sich einfach weniger abpuffern können, weniger schützen können.
Kein Klimaschutz führt vor allen Dingen dazu, dass nur die Reichen sich schützen können, die werden das abfedern können. Aber alle Menschen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, die die materiellen Möglichkeiten nicht haben ,einfach woanders hinzuziehen oder die Wohnung im Erdgeschoss zu mieten, die sind halt am Ende die Angearschten.
Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, die großen Herausforderungen, die wir jetzt haben, das ist ja nicht nur Klimaschutz, das ist ja auch die internationale Sicherheitspolitik und die Situation, dass der freie Welthandel so nicht mehr funktioniert und auch deswegen Sachen teurer werden, dass wir diese zusätzlichen Lasten vor allen Dingen auf die breiteren Schultern verteilen.
Deswegen ist eben die Lösung für die soziale Frage nicht weniger Klimaschutz. Die Lösung für die soziale Frage ist eine Reform der Erbschaftssteuer, die internationale Milliardärssteuer, die Brasilien stark angeschoben hat, wo es ja jetzt wirklich einen internationalen Konsens gibt, und auch so Sachen wie die Mietpreisbremse zu verlängern.
Frau Piechotta, ich danke Ihnen für das Gespräch und Ihre Zeit.
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