Das Ringen um den Leipziger Doppelhaushalt wird hart. Noch nie seit über 30 Jahren fiel es der Stadt so schwer, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen. Die Kosten laufen aus den Ruder, viele Pflichtaufgaben sind finanziell nicht abgedeckt. Und auch der Anteil der Löhne am Gesamtbudget schießt in die Höhe. Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning greift zu mahnenden Worten. Die Gewerkschaft ver.di reagiert mit einem Offenen Brief.
2024 haben die Stellen bei der Stadt mit 12.322 einen Höchststand erreicht, eine Steigerung um über 3.000 Stellen seit 2016. In den nächsten Jahren soll diese Zahl wieder abschmelzen. In seiner Informationsvorlage für den Stadtrat weist das Verwaltungsdezernat freilich auch darauf hin, dass darin auch die Stellen in den Eigenbetrieben der Stadt enthalten sind – rund 3.553. Die aber nach Stellenanmeldung bis 2026 weiter auf 3.732 Stellen anwachsen sollen. Die größten Zuwächse soll es im Eigenbetrieb Behindertenhilfe und in der Stadtreinigung Leipzig geben.
In der Kernverwaltung standen 2024 noch 8.769 Stellen im Plan. Aber die wird es in den nächsten beiden Jahren nicht mehr geben, gibt es auch jetzt schon nicht, denn hier sind auch die Kita-Erzieher/-innen mit verrechnet. Und rund 200 Kita-Stellen, die eigentlich zur zusätzlichen Betreuung der ukrainischen Kinder gedacht waren, konnten schon in den vergangenen zwei Jahren nicht besetzt werden. Diese sowieso nicht besetzten Stellen zu streichen, liegt also nahe. Sodass die Stadt im Kernhaushalt nun mit 8.556 Stellen im Jahr 2025 rechnet und mit 8.500 im Jahr 2026. Da sollen dann vor allem befristeten Stellen auslaufen und nicht wieder besetzt werden.
Und trotzdem wird das Personal für die Stadt immer teurer. Das ist der Konflikt, den der Verwaltungsbürgermeister derzeit mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di austrägt. Denn selbst bei leichtem Abschmelzen des städtischen Personals werden die Personalkosten für die Stadt aufgrund der erhöhten Tarifabschlüsse der jüngsten Zeit deutlich anziehen. Konnte die Stadt für 2024 noch mit 557 Millionen Euro an Personalausgaben rechnen, so steigt diese Summe schon 2025 auf 629 Millionen Euro und 2026 höchstwahrscheinlich auf 649 Millionen Euro.
Kein Wunder, dass der Verwaltungsbürgermeister warnt und mehrere Fraktionen inzwischen drastische Einschnitte beim Personal fordern, weil den steigenden Personalausgaben keine entsprechend steigenden Einnahmen gegenüberstehen. Andererseits aber verschwinden ja die Aufgaben, die die Stadt im Sinne ihrer Bürger gewährleisten muss, nicht einfach. Die Lösungen, wie eine wachsende Stadt dem mit fehlenden Mitteln begegnen kann, sind nicht einfach zu finden.
Die Mitglieder im ver.di-Landesverband in der Leipziger Verwaltung reagieren auf die mahnenden Töne jetzt lieber frühzeitig mit einem Offenen Brief, der vor falschen Einschnitten beim Personal warnt. Denn irgendwie scheint die Stadt schon begonnen zu haben, bei der Stellenbesetzung wieder so restriktiv zu agieren wie vor 20 Jahren.
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Der Offene Brief
Leipzig, 2. Dezember 2024
Offener Brief an alle demokratischen Fraktionen im Leipziger Stadtrat
Liebe Stadträt/-innen,
wir sind wütend. Und es wird gefühlt täglich mehr angesichts der bekanntwerdenden Negativmeldungen. Das Loch im Haushalt ist nun offenbar noch größer als bisher veröffentlicht. Laufende Ausschreibungsverfahren werden, entgegen der vorherigen Zusage zumindest diese abzuschließen, abgebrochen. Auch Leitungsstellen sind teils seit Monaten unbesetzt.
Die Kommunikation hierzu ist äußerst dürftig und die Beschäftigten werden im Trüben gelassen, was zwangsläufig für Verunsicherung sorgt. Es entsteht der Eindruck, dass jede Stelle, die durch Rente, Weggang oder Stundenreduktion frei wird, einkassiert wird und auf Jahre verloren ist.
Dass die anfallende Arbeit dadurch auf weniger Schultern verteilt werden muss und somit die Arbeitsbelastung weiter steigt, dürfte auf der Hand liegen. Zum Trost dafür werden wir bei jeder Gelegenheit mit den immergleichen blumigen Phrasen versorgt, in denen sich Wertschätzung der Stadtspitze für unsere tägliche Arbeit ausdrücken soll. Nun denn, die Haushaltsverhandlungen betrachten wir hierfür als Nagelprobe. Und aktuell drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, dass es im vielzitierten Maschinenraum des Gemeinwohls reichlich hakt und an mancher Stelle bereits fleißig demontiert wird. Auch das neuerdings gern bemühte Team Grundgesetz wird irgendwann spielunfähig, wenn man bereits in Unterzahl auf dem Platz antritt. #stadtlicherfrust
An Überheblichkeit nicht zu überbieten und denkbar deplatziert ist das jüngste Videostatement des Verwaltungsbeigeordneten zum Personalbudget. Dieser drückte Ihnen seine „Dankbarkeit für die Möglichkeit, [den städtischen Bediensteten] weiter Gehälter und Besoldungen zu zahlen“ aus. Stark. Wir hoffen an dieser Stelle auf Ihr Verständnis, wenn wir nicht mit demselben Enthusiasmus „Danke“ sagen.
Und das nicht aus Unhöflichkeit, sondern aus Prinzip. Die besagte Möglichkeit ist eine Pflicht, denn entgegen der Auffassung des Beigeordneten ist die Zahlung der Gehälter der Beschäftigten der Stadt keine Alimentation je nach aktueller Kassenlage. Wir haben Arbeitsverträge. Wir haben einen Tarifvertrag. Und als Gewerkschaftsmitglieder auch eine Arbeitsrechtsschutzversicherung.
Der zu erweckender Anschein, nach Gutdünken entscheiden zu können, entbehrt jeglicher Bodenhaftung mit der Realität und ist zudem grob beleidigend für die größte Belegschaft der Region, die eine Mehr-als-Halbmillionenstadt am Laufen hält. Unter Umständen ergibt sich ja zur nächsten Ratssitzung eine Gelegenheit für Sie, den Beigeordneten im passenden Rahmen an die Grundsätze sozialer Marktwirtschaft zu erinnern. #stadtlicheherablassung
Leider erscheint in diesem Licht die Imagekampagne der Stadtverwaltung zunehmend wie ein missglückter Witz mit den Gesichtern und auf dem Rücken der Beschäftigten, die sich zurecht fragen, wen sie da unter welchen Vorzeichen für einen Job im öffentlichen Dienst begeistern sollen.
Die zentrale Botschaft der städtischen Werbekampagne ist: „Arbeite für die Stadt Leipzig. Wir machen hier geile wichtige Dinge und finden Vielfalt super. (Aber um Himmels Willen bewirb dich bitte nicht. Denn dann würde ja auffallen, dass wir aktuell gar niemanden einstellen!)“ Tatsächlich sind aktuell sechs (in Worten: ja, sechs!) Stellenangebote zu verzeichnen in einer Behörde mit rund 9.000 Beschäftigten, einige davon seit Monaten erfolglos ausgeschrieben. Es ist leider anzunehmen, dass man sich momentan mit dem substanzlos gewordenen crossmedialen Marketingspektakel in den Augen der Öffentlichkeit unfreiwillig lächerlich macht und sich gleichzeitig bei potenziellen Bewerber/-innen als Arbeitgeberin disqualifiziert. #stadtlichefarce
Daher dürfen wir Sie, gewählte Vertreter/-innen der Stadtgesellschaft, erneut ersuchen, bei den Abstimmungen über den kommenden Doppelhaushalt die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit Leipzig weiterhin eine Stadt ist, die gut für ihre Bürger/-innen sorgen kann. Hierfür sind eine leistungsfähige Verwaltung und starke Eigenbetriebe unabdingbar, die allerdings gerade drohen, kaputtgespart zu werden. Bitte bedenken Sie: Praktisch alles, was Sie jeden Tag sehen und nutzen, wenn Sie das Haus verlassen, ist ohne den öffentlichen Dienst nicht vorstellbar.
Und dieser wird oft als natürlich gegeben hingenommen, doch die kommunale Daseinsfürsorge existiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist von konkreten materiellen Bedingungen abhängig. Oder einfach ausgedrückt:
Alle wollen sozialen Wohnungsbau in einer wachsenden Stadt, aber das gibt es nicht umsonst.
Alle wollen, dass der Müll regelmäßig abgeholt wird, aber das gibt es nicht umsonst.
Alle wollen, dass Leipzig Großereignisse kann, aber das gibt es nicht umsonst.
Alle wollen zeitnahe Termine für bürgernahe Dienstleistungen, aber das gibt es nicht umsonst.
Alle wollen eine attraktive Infrastruktur, aber das … können Sie sich sicher denken inzwischen.
Sie haben es in der Hand. Wir reichen Ihnen unsere zum Dialog. #stadtlicheverantwortung
Die Aktivengruppe „STADTlicher Haushalt“ der ver.di-Mitglieder aus der Stadtverwaltung Leipzig
Es gibt 7 Kommentare
@Rudi: perdata (ständig rote Zahlen) war eines der vielen Kinder der “Outsourceritis” der 90er, die HL ein Kind des Größenwahns es in Leipzig wie in Köln / München bewerkstelligen zu können. Die Stadtwerke / KWL hatten schon immer abgerechnet. Internet / SAP / Oracle usw. sowie Service gab es schon vor perdata und HL. Shutdown or Restart?
@thomas_2
Man hat bei der Perdata das eingekauft, weshalb die Perdata im LVV-Konzern gegründet wurde. Man hat dadurch innerhalb der Holding sehr viel Geld gespart. Mit dem Verkauf war man aber weiterhin abhängig von der Perdata. Es war also auch klar, dass man weiterhin dort die Leistungen einkaufen würde, aber eben zu schlechteren Konditionen. Der Verkauf war totaler Irrsinn, aber unvermeidbar, weil es eine der unsäglichen Auflagen aus der Landesdirektion war.
LOL
Gerade Perdata. Erst verkaufen und dann von denen Leistungen einkaufen. U.a. völlig überteuerte Hardware-Miete (zumindest eine gewisse Zeit lang).
Und alle möglichen Beratungsleistungen und Programme. Looks like an inside-job.
@hearst
Wozu braucht man im Jahr 2024 Internet. Es geht doch auch ohne.
Und was will man mit einer Firma, die Abrechnungen macht. Völlig unnütz. Es kann doch auch jede und jeder freiwillig etwas auf die Konten der Wasserwerke und Stadtwerke überweisen.
Edit: Merke = Angela Dorothea Merkel
Und, wozu braucht eine Stadt eine HL-Komm oder eine Perdata? Das war kein Silber, das war noch nichtmal Altmetall. Der geplante Stadtwerke-Teilverkauf war ein Projekt des OBM, der dafür mit der Wiederwahl belohnt wurde. Die Leipziger lieben den einfach. Länger als Merke zu regieren / verwalten ist eben auch eine Kunst die es zu würdigen gilt.
“Noch nie seit über 30 Jahren fiel es der Stadt so schwer, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen.”
Da würde ich klar widersprechen. Die Haushalte in den 2000er Jahren waren fast alle hochproblematisch. Da wurde dann auch fleißig an freiwilligen Aufgaben gespart und noch einiges an Tafelsilber verscherbelt. Der geplante Stadtwerke-Teilverkauf 2007 für nur 500 Mio. Euro war da noch nicht mal der Höhepunkt. Die Privatisierungen gingen aus der Not noch bis in die 2010er Jahre, als dann HL-Komm 2012 teilprivatisiert und Perdata ganz privatisiert wurde. 2012 mussten die LVB auch erstmals mit nur 45 Mio. Euro Zuschuss aus dem LVV-Konzern leben, weil die Stadt mehr Geld von der LVV benötigte. Die LWB hat massig Häuser verkauft um sich zu entschulden und so keine zusätzliche Belastung für die Stadt zu werden.
Wenn, dann würde ich sagen, war 2012 das Jahr, wo es mit dem Haushalt besonders schwierig war. Da war das Loch gemessen am Gesamthaushalt deutlich größer und die Einschnitte auch wegen der hohen Verschuldung der Stadt unumgänglich. Das war der erste Haushalt in der Stadtgeschichte, wo man als Ratsfraktion nur noch das Schlimmste verhindern konnte. Gestaltungsspielraum gab es nahezu nicht. Bei aller Dramatik beim aktuellen Doppelhaushalt: Es gibt Spielräume und Leipzig darf und kann auch neue Schulden aufnehmen. Der Verkauf von Tafelsilber steht nicht zur Diskussion.
https://www.l-iz.de/politik/leipzig/2012/01/leipzigs-gruene-gegen-komplettverkauf-von-hl-komm-und-perdata-40549