In der Vergangenheit war es zumeist die AfD, die mit diversen Anträgen versuchte, eine aus ihrer Sicht störende Kulturszene von der Förderung abzuschneiden. Das betraf immer wieder Kulturprojekte wie Conne Island, Werk 2 und naTo im Leipziger Süden. Eigentlich ganz normale Kulturpolitik wird auf einmal zum Schlachtfeld für politische Cancel Culture. Mit einem Antrag zeigt nun die BSW-Fraktion, dass sie über Politik ganz ähnlich denkt wie die AfD. Und bekommt deutlichen Gegenwind von Linken und Grünen.

Denn Club-Kultur ist für alle da. Sie bietet Theater, Musik, Lesungen, Party und Weihnachtsmarkt. Doch die BSW-Fraktion macht aus ihrer Existenz einen Kulturkampf. Und das mit einer Begründung, die eher nach einem Versuch klingt, die Freie Szene – eine der größten Attraktionen der Stadt Leipzig – im Leipziger Süden gänzlich abzuschaffen.

„Einrichtungen wie Conne Island, Werk 2 und naTo haben zweifellos einen großen Stellenwert im linksalternativen soziokulturellen Bereich“, heißt es im BSW-Haushaltsantrag, mit dem den drei Einrichtungen 330.000 Euro gestrichen werden sollen.

„In den vergangenen Jahren haben sie jedoch auch durch eine ideologisch verengte Programmpolitik und praktizierte Cancel Culture von sich reden gemacht. Wir befürchten, dass sie zu Akteuren der gesellschaftlichen Spaltung in unserer Stadt geworden sind, und empfehlen, einen Teil ihrer Förderung auf Einrichtungen umzulenken, die für eine offene und vielgestaltige kulturelle Praxis stehen.“

(Club-)Kultur ist Lebensqualität

Entsprechend entsetzt ist man zum Beispiel in der Grünen-Fraktion.

„Gerade die (Club-)Kultur hat noch immer unter den Nachwirkungen der Corona-Pandemie zu leiden und kämpft zusätzlich aufgrund von Preissteigerungen ums Überleben“, stellt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fest. Die Stadt Leipzig sollte „die Kulturinstitutionen unterstützen, die für eine freie und offene Gesellschaft stehen und denen Leipzig sehr viel zu verdanken hat. Ohne Akteur/-innen wie das Conne Island, Werk 2 und die naTo hätte unsere Stadt nicht die Lebensqualität, die in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen inspiriert hat, hier zu leben.“

„Akteur/-innen wie das Conne Island, Werk 2 und die naTo bieten niedrigschwellige, inklusive Angebote, auch für Kinder und Jugendliche, wie zum Beispiel Skaten, Basketball, kostenlose Workshops, Kinderdiscos, Konzerte, Poetry-Slams, Weihnachts- und Flohmärkte, Clubabende, Lesungen, Kino, Vorträge, Vernetzungstreffen und vieles mehr“, sagt Anne Vollerthun, Sprecherin für Demokratie und Clubkultur der Grünen-Fraktion.

„Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Stadt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Teilhabe und die politische und demokratische Bildung.“

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zeigt sich entsprechend entsetzt über die konträren Vorschläge der BSW-Fraktion im Haushaltsverfahren. „Denn das BSW, das sich selbst als soziale Alternative darstellt, möchte als Erstes in den Bereichen Kultur und Demokratie sparen. So sollen auf Vorschlag der seit September im Stadtrat vertretenen Fraktion die Mittel für seit vielen Jahren etablierte und beliebte Kulturinstitutionen wie das Werk 2, die naTo und das Conne Island so weit gekürzt werden, dass diesen Einrichtungen die Weiterarbeit faktisch unmöglich gemacht würde.“

Das BSW möchte darüber hinaus auch das Referat für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Referat Strategische Kulturpolitik verkleinern.

„So langsam scheint immer klarer zu werden, wie die Agenda des BSW einzuschätzen ist. Neben Haushaltsanträgen zu Kürzungen in der Demokratieförderung und im Bereich Kultur soll es auch der freien, alternativen und soziokulturellen Szene an den Kragen gehen“, bemerkt Anne Vollerthun.

„Auch die AfD möchte wiederholt den Versuch unternehmen, in diesem Bereich zu kürzen. Wir stellen uns entschieden gegen diese Anträge, die einen massiven Einschnitt in die Arbeits- und Überlebenschancen der Häuser bedeuten würde. Diese Vorschläge sind ein Schlag ins Gesicht für all die Menschen, die sich seit vielen Jahren ehrenamtlich oder hauptamtlich für niedrigschwellige, alternative Räume, für Antifaschismus, Demokratie und Teilhabe einsetzen.“

Zur Behauptung, die drei Kultureinrichtungen im Leipziger Süden hätten „durch eine ideologisch verengte Programmpolitik und praktizierte Cancel Culture von sich reden gemacht“ und man befürchte, sie seien „zu Akteuren der gesellschaftlichen Spaltung in unserer Stadt geworden“, sagt Anne Vollerthun: „Diese Begründung zeigt ein rudimentäres Demokratieverständis. Die eigentliche Spaltung der Gesellschaft geht von jenen aus, die Demokratie für ein ‚Luxusgut‘ halten – so wie in der Begründung zur vom BSW vorgeschlagenen Verkleinerung des Referats für Demokratie angegeben – und von denen, die derartige Kürzungsvorschläge unterstützen.“

Was das BSW betreibt, ist Cancel Culture für Leipzigs Kultur

„Es ist mehr als auffällig, dass die Fraktionen CDU und BSW großes Potenzial für Einsparungen im Bereich Freie Kultur sehen. Nicht nur sollen die Fördermittel gekürzt werden. Das BSW geht außerdem explizit an die Förderung von Conne Island, Werk 2 und naTo“, kommentiert Mandy Gehrt, Sprecherin für Kultur der Fraktion Die Linke im Stadtrat diesen Vorgang.

„Wir als Linke stehen zu den drei Kultureinrichtungen, denn sie sind nicht nur kulturelle, sondern auch soziale Ankerpunkte unserer Stadt. Alle drei überzeugen mit einem vielseitigen Kulturangebot, generationsübergreifenden Projekten und ihrer kontinuierlichen Arbeit im Bereich Demokratieförderung. Sie sind außerdem Zeugnisse zivilgesellschaftlichen Engagements, da es Bürger/-innen dieser Stadt waren, die Anfang der 90-er Jahre aus eigener Kraft und mit erheblichem ehrenamtlichen Engagement für den Erhalt der Gebäude und deren Entwicklung als Kulturzentren gekämpft haben. Damit haben sie entscheidend dazu beigetragen, den Ruf Leipzigs als attraktive Kulturstadt aufzubauen.“

Wer diese Geschichte missachte und denke, man könne drei große Kulturinstitutionen im Leipziger Süden streichen, handelt für Mandy Gehrt nicht im Sinne der Bürger/-innen der Stadt: „Die Anträge von CDU und BSW legen vielmehr deren politische Agenda offen, denn sie wollen sich offenbar damit engagierter und kritischer Stimmen entledigen. Aber gerade wer die Praxis der Cancel Culture anprangert, sollte doch ein Interesse daran haben, Kommunikationsräume für den Diskurs offenzuhalten.

Unsere Fraktion schätzt die Arbeit der drei Kultureinrichtungen und sprechen uns klar für deren Förderung aus.“

Die Haushaltsanträge von AfD und CDU

Bei dem erwähnten Antrag der AfD-Fraktion geht es direkt um Mittelkürzungen für die gesamte Freie Szene. Der Antrag heißt dann auch: „Kürzung von Fördermitteln Freie Kunst und Kultur“. So sollen der Freien Szene 2025 erst einmal 700.000 Euro und 2026 dann 1,3 Millionen Euro gekürzt werden. Ein ziemlich klares Vorgehen gegen eine diskussionsfreudige Kulturlandschaft, die Leipzig (noch) lebendig macht.

Nicht ganz so heftig ist der Haushaltsantrag der CDU-Fraktion, der lediglich die Dynamisierung der Mittel für die Freie Szene für den Doppelhaushalt 2025 2026 ausgesetzt sehen will. Das heißt: Die Freie Szene bekommt keinen Ausgleich für die steigenden Kosten. Was eben trotzdem für manche Einrichtung bedeutet, dass sie sich dann finanziell nicht mehr trägt.

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Es gibt 9 Kommentare

Schaumweinsteuer gibt es seit 1902 zur Finanzierung der Kaiserlichen Kriegsmarine. Alleine das sagt alles…

Christian, zur Finanzierung könnte man z.B. unsere here Schaumweinsteuer nehmen. Ca.360,-Mio. … wäre ja sogar mal “Zweckgebunden”…

Gut, noch einmal etwas präziser.
Russland hat den Krieg vom Zaun gebrochen und Europa / die Welt reagiert darauf. Da gab es 3! politische Parteien in Deutschland, die in ihren Reaktionen entschieden haben, die Ukraine zu unterstützen.
Die unabänderliche Folge u.a. davon waren/sind Finanzlücken und Preisanstiege, die natürlich in der Fläche ankommen.
Diese Verteuerungen hat man im Übrigen teils eingefangen.
Warum nun vor allem “besonders die Grünen” das Dilemma der Kriegsfolgen heraufbeschworen haben sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Darum ging es mir.

Eine gegensätzliche Entscheidung hätte übrigens mittelfristig eine noch viel größere Flüchtlingsbewegung zur Folge.
Die Kosten sind dann bestimmt nicht weniger. Und dass nicht nur finanziell.

Ansonsten stimme ich der Argumentation von Sebastian durchaus zu: die eingeschränkte Verteilung der Sparideen.
Auch sollten sich solche soziokulturellen Einrichtungen an einen fairen und respektvollen Diskurs halten. Die Frage ist, ob man dem mit der Kürzung von Mitteln beikommen kann.

Ich habe mich in meinem Kommentar eigentlich um Ausgewogenheit bemüht. Der Beschluss zeugt davon, dass zwei Seiten teilweise falsch entscheiden. „Wechselbalg“ ist als mythologischer Begriff deutlich älter als Star Trek. Ich habe den Grünen auch nicht die Schuld am Krieg geben. Dort aber weiter Öl ins Feuer zu gießen, darf schon mit „propagieren“ bezeichnet werden. Das einseitige selektive Verständnis der Antwort zeugt leider von der verengten „Diskussionslandschaft“ in den Köpfen der Gerechten.

Solange solche Transparente wie “Sachsen, Du dreckiges Stück Scheisse” am Conne Island zumindest geduldet werden, wäre zumindest MEINE Motivation gering, dort öffentliches Geld hinzugeben. Bei der naTo sehe ich das Problem nicht. Und: An Oper/Gewandhaus soll wohl gar nicht gespart werden? Kein Stück Diskussion über Gehälter der Direktoren, oder an anderem Potential?

> “Und das die Grünen nun Schuld am Krieg und seinen Auswirkungen in der Fläche wären, ist ein Fake-Narrativ.”
So formuliert ist es das tatsächlich. Aber so, wie es Thomas beschrieben hat, stimmt es doch fast komplett: Der Krieg in der Ukraine kostet erstens (auch unser) Geld, und zweitens sind die Grünen politisch dafür, diesen Krieg zu unterstützen. An der Formulierung “die Grünen propagieren den Krieg” klebt natürlich astreines BSW-Sprech, um es mal freundlich auszudrücken, aber lasst uns den Satz doch einfach wohlverstanden auffassen. Grünen-Politiker wie Anton Hofreiter sind für massive Unterstützung der Ukraine, und die Parteileitung sieht es auch so. Ich bin auch komplett dafür und würde dafür plädieren, den Rücken gerade zu strecken und sich den Vorwürfen einfach zu stellen. Ja, die Milliarden fehlen nun woanders. Ja, eine große Menge Flüchtlinge im Land macht etwas mit dem Mietwohnungsmarkt. Was macht es für einen Sinn, da drumherum zu reden? Das und noch mehr sind Kosten für die politische Entscheidung, das Land nicht sehenden Auges untergehen zu lassen.

Ansonsten würden mich die Antworten auf die Fragen von Urs auch sehr interessieren. Der komplette Kommentar würde eigentlich als Antwort einen interessanten, eigenen Artikel ergeben können. 🙂

@Thomas
“besonders die Grünen, die wenigstens die Ehrlichkeit aufbringen sollten, dass sich der von ihrem propagierte Krieg nicht aus der Portokasse zahlen lässt und die Auswirkungen nun in der Fläche ankommen. ”
Bei aller berechtigten Kritik: So Startrek-mäßig als Wechselbalg sind die Grünen ja wohl nicht im Vergleich zum BSW. Und das die Grünen nun Schuld am Krieg und seinen Auswirkungen in der Fläche wären, ist ein Fake-Narrativ.
Die pauschale Kürzung für die freie Szene zeugt auch nicht von fundierter Kritik an konkreten Sachverhalten, sondern eher vom Kleinhalten der Diskussionslandschaft, die für Parteien eher lästig ist.

Der Vorwurf ist berechtigt – z. b. Absage des Konzerts von H.-E. Wenzel im April. Mit Sicherheit ist „ein gefestigter Klassenstandpunkt“ vorhanden. Genauso unsinnig ist aber die „Bestrafung“ oder „Korrektur“ durch den generellen Mittelentzug, der die zweifellos trotzdem hervorragende und unterschiedliche kulturelle Arbeit und Funktion für die Stadt dauerhaft beschädigen und diese Institutionen grundsätzlich beseitigen würde. Halt das übliche Problem der Balance von Autonomie, Gefahr der (einseitigen) Beeinflussung und Offenheit. BSW ist ein Wechselbalg, der sich aus verschieden Strömungen speist und jeweils lokal differenziert darstellt. Das gilt aber auch für andere Parteien, besonders die Grünen, die wenigstens die Ehrlichkeit aufbringen sollten, dass sich der von ihrem propagierte Krieg nicht aus der Portokasse zahlen lässt und die Auswirkungen nun in der Fläche ankommen. Auch wenn im Artikel nicht erwähnt, reicht es nicht, auf die „Schuldenbremse“ als alleinige Ursache von Finanzierungsstörungen zu verweisen.

Wissen Sie, lieber Autor, welchen personellen Umfang das Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt ggw. hat? Und wofür es verantwortlich zeichnet? Wie kommen die BSW-Stadtverordneten darauf, es als “zu großes Luxusgut” zu denunzieren? Die o.g Kurzfassung, man hätte Demokratie als solche als Luxusgut (ein seltsames Wort) bezeichnet, entspricht allerdings nicht dem Wortlaut des BSW, dessen Beweggründe mich allerdings interessieren würden.

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