Auf die Motive, welche die aktuelle Bundesregierung dazu gebracht haben könnten, ab 2025 wieder schärfere Sanktionen im Bürgergeld zu beschließen, wollte Clemens Schülke, Leipzigs Beigeordneter für Wirtschaft, Arbeit und Digitales, am 23. Oktober in der Ratsversammlung gar nicht erst eingehen. Als Wirtschaftsbürgermeister muss er mit den Geldern und Zahlen umgehen, die für das Jobcenter Leipzig gelten.

Und einen Grund, die Sanktionen zu verschärfen, bieten die Zahlen aus dem Jobcenter Leipzig nicht ansatzweise. Doch die Verschärfung der Sanktionen erzählt eben auch von einem Bundesarbeitsminister, der sich kaum noch zu wehren weiß gegen die immer neuen Vorstöße von Politikern der FDP und der CDU, welche immer neue Verschärfungen der Sanktionen, Kürzungen oder gar Streichungen des Bürgergelds für bestimmte Gruppen fordern.

Und das immer wieder mit völlig falschen Zahlen zu Bürgergeldbeziehern, die sich der Arbeit verweigern sollen. Sie malen dabei regelrecht das Bild von Millionen Schmarotzen an die Wand, die sich quasi auf Staatskosten verpflegen lassen. Doch die Statistik des Jobcenters gibt das überhaupt nicht her, egal, wie oft diese Behauptungen in Interviews und Talksendungen verbreitet werden.

Weshalb die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat lieber nachfragte.

„Die Bundesregierung hat Anfang Oktober 2024 schärfere Sanktionen im Bürgergeld beschlossen, die ab 1. Januar 2025 gelten sollen. Bürgergeld-Empfänger müssen z.B. bald mit höheren Strafen bei Ablehnung einer Arbeit rechnen“, stellte die Linksfraktion in ihrer Anfrage fest.

„Dem Beschluss zufolge muss künftig mit einer 30-prozentigen Kürzung der Grundsicherung für drei Monate rechnen, wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme ohne triftigen Grund ablehnt. Das Gleiche soll in Fällen gelten, in denen Jobcenter-Termine ohne wichtigen Grund nicht wahrgenommen werden. Bürgergeldbeziehern, die Schwarzarbeit geleistet haben, soll die Leistung ebenfalls gemindert werden. Die Jobcenter sollen zudem verpflichtet werden, Schwarzarbeit an die Zollverwaltung zu melden.“

Sanktionen im Promille-Bereich

Am 23. Oktober fragte Linke-Stadtrat Volker Külow dann noch einmal in der Ratsversammlung nach und wollte auch wissen, wie Wirtschaftsbürgermeister Clemens Schülke die Verschärfungen im Rahmen der niedrigen Sanktionsquote beurteilt. Aber wie gesagt: Das unterließ Schülke lieber. Die Zahlen sprechen für sich.

Und sie begründen eindeutig weder die zurückliegende Debatte um das Bürgergeld noch die weiteren Verschärfungspläne, mit denen CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schon wieder Wahlkampf macht. Die Verweigerung einer Arbeitsaufnahme ist dabei einer der geringsten Gründe, warum in Leipzig Sanktionen ausgesprochen wurden.

„Im Zeitraum Januar 2023 bis Juni 2024 wurden monatlich zwischen 28 und 718 Leistungsminderungen beschieden. Damit bestanden Leistungsminderungen bei 0,3 % bis 1,6 % der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. In der Altersgruppe 15 – 24 Jahren betrug der Anteil im Durchschnitt 1,5 %, bei den 25 bis 50-jährigen 1,3 %, bei den über 50-jährigen 0,3 %“, fasste das Wirtschaftsdezernat die Zahlen in seiner Antwort zusammen. Schon das sehr niedrige Zahlen, die in keiner Weise die enthemmte politische Debatte begründen können.

Aber im Detail wird es noch deutlicher: „Ein Großteil der Leistungsminderungen (61 % bis 98 %) entfällt auf Meldeversäumnisse (§ 32 SGB II).“

Das heißt: Die meisten Menschen, die sanktioniert wurden, hatten einfach eine Meldung beim Jobcenter verpasst, versäumt, unterlassen. Mit Arbeitsverweigerung hat das gar nichts zu tun. Denn Sanktionen wegen der „Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“ wurden bei 625 sanktionierten Bürgergeldempfängern im Juni 2024 beispielsweise nur bei 14 Personen verhängt. Das sind selbst unter den sanktionierten Personen nur 2 Prozent, gerechnet auf die 40.262 erwerbsfähigen Leistungsbezieher (ELB) im Juni waren das 0,035 Prozent.

Die Zahlen zu Leistungsminderungen im Jobcenter Leipzig

Ein zum Popanz aufgeblasenes Problem

Genau um diese winzige Gruppe wird nun seit vielen Monaten jede Menge Wind gemacht, oft auch noch mit der Mutmaßung, man könnte das 60-Milliarden-Euro-Defizit im nächsten Bundeshaushalt damit stopfen, dass man dieser Gruppe das Bürgergeld ganz streicht. Mathematik ist eindeutig nicht die Stärke der konservativen Hardliner, die nichts lieber tun, als immer weitere Verschärfungen beim Bürgergeld zu fordern.

Das Wirtschaftsdezernat fächerte die Zahl auch noch nach Geschlechtern auf: „Durchschnittlich 70 % der Leistungsminderungen wurden bei männlichen Leistungsberechtigten festgestellt, dementsprechend ca. 30 % bei weiblichen Leistungsberechtigten.“

Aber wenn man dann weiß, dass die meisten Sanktionen wegen Meldeversäumnissen verhängt wurden, hat das wohl eher nichts mit Arbeitsscheu zu tun, sondern vielleicht mit etwas mehr Vergesslichkeit, Schlamperei und Unorganisiertheit bei den Männern.

Volker Külow wollte dann noch wissen, ob die 7 Millionen Euro, die das Jobcenter Leipzig 2025 mehr bekommen soll, dann vielleicht doch dafür eingesetzt werden, die Arbeitsgelegenheiten in Leipziger Schulbibliotheken, bei der Stadtreinigung usw. wieder zu ermöglichen. Aber auch das konnte ihm Schülke noch nicht sagen. Mitte November bekäme der Stadtrat eine erste Information, wie diese Gelder im Jobcenter Leipzig geplant werden können.

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