Eigentlich sollte es am 23. Oktober in der Ratsversammlung unter Punkt 9.4 der Tagesordnung um die Petition „Bürgerfreundlichkeit und Transparenz der Verwaltung/Runde Tische in der Verwaltung“ gehen. Doch stattdessen gelang es der CDU-Fraktion, ihren eigenen Antrag „Diskussions- und Fehlerkultur für Leipzig“ an deren Stelle zu setzen und abstimmen zu lassen. Ein Antrag, der im Ursprung eine völlig andere Intention hatte.

So hatten weder die vorgeschlagenen Beschlusspunkte noch irgendetwas mit dem Ursprungsantrag der CDU-Fraktion zu tun, der Begründungstext nur bedingt, der letztlich von einem geradezu seltsamen Verständnis der CDU von Demonstrationen in einer Demokratie erzählte. Was dann am 23. Oktober sowohl die Grünen-Stadträtin Dr. Gesine Mertens als auch Katharina Subat (Die PARTEI) ziemlich deutlich ansprachen – und heftigen Protest aus der CDU-Fraktion ernteten. Dort wollte man vom Ursprungsantrag nicht mehr viel wissen.

Aber darin war nun einmal zu lesen: „Es wird nicht bestritten, dass es den Bedarf gibt, sichtbar zu machen, dass die Demokratie nicht gefährdet werden darf. Dazu können sicher thematische Demonstrationen und Kundgebungen ein Mittel sein, um dafür ein Wirgefühl zu erzeugen. Doch solange gleichzeitig zu diesen Kundgebungen keine Angebote der Kommunikation und des Miteinanders für die unterbreitet werden, die gestalten wollen, aber sich nicht allein einem Mainstream verpflichtet fühlen, bleiben solche Kundgebungen leere Bekenntnisse.

Die damalige Legida-Bewegung hatte es gezeigt, dass zahlreiche dieser Akteure Formate des Mitwirkens vermissten. Konnte man diese anbieten, dann traf man auf verständig agierende und argumentierende Personen. Schaufensterreden und choreografierte Veranstaltungen allein dienen eher der Ausgrenzung statt der Einladung für mehr Demokratie.“

Dass die Legida-Demonstrationen in Leipzig besonders stark durch rechtsextreme Personen getragen waren, stellte dann Katharina Subat klar.

Ausgerechnet die Legida-Demonstrationen zu loben und die Demonstrationen zum Jahresbeginn, die sich gegen die Abschiebepläne der AfD richteten, als „Schaufensterreden und choreografierte Veranstaltungen“ zu diskreditieren, erzählt schon eine Menge vom Demokratieverständnis der CDU.

Ebenso wie die Tatsache, dass der erste CDU-Antrag ausgerechnet diesen Demonstrationen das „Wir-Gefühl“ absprach und stattdessen irgendwie eine Moderator-Rolle der Stadt forderte: „Für die Stärkung des Miteinanders und des demokratischen Grundverständnisses gibt die Stadt Leipzig Raum und Gelegenheit zur Verbesserung der Diskussions- und Fehlerkultur in Leipzig.“

Welche „Fehler“ da diskutiert werden sollten, verriet der Antrag nicht.

Demonstrieren nur mit Expertenwissen?

Nur irgendwie äußerte die CDU-Fraktion hier ihr Unbehagen, sich überhaupt an irgendwelchen Demonstrationen zu beteiligen: „Demokratie darf die inhaltliche Auseinandersetzung nicht scheuen. Dazu braucht es Formate und Expertise. Gesprächs- und Informationsformate und eine breitere Vielfalt von Expertenwissen, um nicht nur das Wissen um Demokratie und Gemeinwohl in die Breite zu bringen, sondern auch Korrekturen vornehmen zu können, um eine breitere Vielfalt der Bevölkerung zu erreichen.

Die CDU macht ihre Beteiligung an kommenden Demokratiekundgebungen davon abhängig, ob die Bereitschaft bei Verwaltung und Stadtrat zu erkennen ist, die im Antrag geforderten Angebote zu unterbreiten.“

Eine Demonstration gegen Rechts in Leipzig. Foto: Ferdinand Uhl
Demonstration gegen Rechts in Leipzig. Foto: Ferdinand Uhl

Eine Partei, die Bedingungen stellt, damit sie überhaupt mal an Demonstrationen teilnimmt? Das klang schon sehr seltsam.

Auf diese mehr als seltsame Einstellung zum Demonstrationsrecht ging das Demokratiereferat der Stadt dann in seiner Stellungnahme gar nicht erst ein, verwies darin aber ausführlich auf die vielfältigen Beteiligungsformate der Stadt – von denen ja auch CDU-Stadträt/-innen Gebrauch machen können.

Aber die Botschaft wurde in der CDU-Fraktion dann doch irgendwie verstanden und man schrieb im Grunde den kompletten Antrag neu – wobei nun endgültig unklar wurde, welche Fehlerkultur da eigentlich diskutiert werden sollte. Auch nicht in der Rede, mit der CDU-Stadträtin Dr. Sabine Heymann den neuen CDU-Antrag vorstellte.

Bis jetzt nur lauter Luftschlösser?

Das Unbehagen der CDU-Fraktion zur Teilnahme an Demonstrationen steckte freilich noch immer drin: „Seit Beginn dieses Jahres wird häufig für Demonstrationen für die Demokratie aufgerufen. Demokratie darf hierbei aber auch nicht die inhaltliche Auseinandersetzung scheuen. Dazu braucht es Formate und Expertise. Gesprächs- und Informationsformate und eine breitere Vielfalt von Expertenwissen, um nicht nur das Wissen um Demokratie und Gemeinwohl in die Breite zu bringen, sondern auch Korrekturen vornehmen zu können, um eine breitere Vielfalt der Bevölkerung zu erreichen.“

Dr. Gesine Mertens wies die CDU-Fraktion dann noch einmal darauf hin, dass Demonstrationen schon Teil der demokratischen Auseinandersetzung sind. Über 10.000 Leipziger/-innen machten im Januar schlicht deutlich, dass sie mit den ganzen Migrationsplänen von rechts nicht einverstanden sind. Warum die CDU-Fraktion meint, alle diese Menschen brauchten jetzt noch extra „Expertenwissen“, erschloss sich auch aus der Rede von Sabine Heymann nicht.

Der ganze Antrag war ja sowieso auf einmal komplett auf die möglichen Beteiligungsformate der Stadt gedreht worden: „Dazu gehört unserer Auffassung nach nebst der kontinuierlichen Prüfung von Seiten der Stadtverwaltung auch die stärkere Fokussierung auf wichtige Aspekte gelungener Beteiligung. Dazu gehört das Erwartungsmanagement.

Ein Prozess (sic!) an dessen Ende nur langfristig nicht umsetzbare Luftschlösser stehen (sic!) steigert nur Frust und belastet essenzielle Beteiligungsprozesse. Ebenso ist es wichtig, dass die Stadtgesellschaft Orte hat, um sich auszutauschen und eigene Themen zu setzen und zu diskutieren. Die Verwaltung ist hier angehalten zu prüfen, wie sie diese Orte schaffen bzw. fördern kann.“

Dr. Gesine Mertens fragte berechtigterweise, welche zusätzlichen Formate und welche neuen Orte das eigentlich sein sollten. Zusätzlich zu den Beteiligungsformaten, die die Stadt sowieso schon anbietet. Sie verwies dazu extra auf das Bürgerbeteiligungs-Portal der Stadt.

Bei den Beschlusspunkten war dann endgültig klar, dass der Aufhänger mit den Demonstrationen gar nichts mehr mit dem zu tun hatte, was dann beschlossen werden sollte:

„1. Der Oberbürgermeister wird beauftragt zu prüfen, an welchen Stellen sich neue bzw. weitere Formate des Mitwirkens und des Austausches eignen, um Bürgerinnen und Bürger besser zu erreichen.

2. In der Prüfung ist vor allem die verstärkte Einbindung von Erwartungsmanagement, Möglichkeiten zur Themensetzung durch Bürger und die Schaffung von Orten der Diskussion zu prüfen.

3. Die Ergebnisse der Prüfung werden bis Ende des 1. Halbjahres 2025 dem Stadtrat, dem FA Jugend, Schule und Demokratie sowie dem Forum für bürgerschaftliches Engagement und Bürgerbeteiligung vorgelegt.“

So für sich gestellt, waren das alles Punkte, die eine Stadtratsmehrheit problemlos mittragen konnte – und entsprechend dann auch mittrug: Der Antrag bekam 33:18 Stimmen bei zwölf Enthaltungen.

Aber auch wenn man nur diese drei Beschlusspunkte nimmt, hatte das Ganze nichts mit der Petition „Bürgerfreundlichkeit und Transparenz der Verwaltung / Runde Tische in der Verwaltung“ zu tun, die an dieser Stelle eigentlich behandelt werden sollte. Und die so einfach unter den Tisch fiel.

Jetzt kann man gespannt sein, ob der Verwaltung tatsächlich neue Formate der Bürgerbeteiligung einfallen, um auch „diejenigen zu erreichen, die bislang nicht aktiv beteiligt waren“, wie es das Demokratiereferat formuliert.

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Es gibt 2 Kommentare

Expertise wird von der CDU verlangt? Na dann mal los: wo ist die Expertise von Merz und Co, wenn sie über arme Menschen hetzen und sie mit Verfolgungsbetreuung noch zusätzlich bestrafen wollen? Expertise sollte sein: die kennen doch wohl die Gesetze. Und behaupten permanent das Gegenteil. Ebenso beim Thema Asyl. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht irgendeiner seine 15 Minuten holt und gerade gegen die hetzt, die in der Masse die Steuern erarbeiten und zahlen, die den Hetzern den Lebensunterhalt sichern, in 12facher Höhe. Darüber mal einen runden Tisch zu veranstalten wäre doch mal schön

Aus dem CDU-Antrag (NF): “Demokratie darf hierbei aber auch nicht die inhaltliche Auseinandersetzung scheuen. Dazu braucht es Formate und Expertise. Gesprächs- und Informationsformate und eine breitere Vielfalt von Expertenwissen, um nicht nur das Wissen um Demokratie und Gemeinwohl in die Breite zu bringen, sondern auch Korrekturen vornehmen zu können, um eine breitere Vielfalt der Bevölkerung zu erreichen.”

Da fragt man sich doch, welchen Anteil die CDU-Fraktion eigentlich an einer “inhaltlichen Auseinandersetzung” hat. Wo ist ihre “Expertise”? Wann lädt sie zu “Gesprächs- und Informationsformaten” ein, um der Bevölkerung nicht nur die Demokaatie, sondern auch deren Funktionsweise zu erklären?

Aber da kommt leider nichts von den Polarisierungsunternehmern. Da hat man die eigene Rolle als Volksvertreter – die in zwei Richtungen wirken sollte – leider nicht verstanden. Da fehlt es glasklar an Expertise.

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