Nach der Stadtratswahl 2024 ist das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) mit sieben Stadträten, also in Fraktionsstärke, im Stadtrat vertreten. Das Wahlprogramm des BSW vermischte Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik und war somit nur begrenzt aussagekräftig. Ein Grund, dem Fraktionsvorsitzenden Eric Recke einige Fragen zu stellen. Wie bei den Interviews mit den anderen Fraktionen „Zwischen den Wahlperioden“ wurde nicht nachgefragt, allerdings kam ich um einen Kommentar nicht herum.

Herr Recke, das BSW ist als Fraktion mit sieben Stadträten im Leipziger Stadtrat. Für die meisten Bürgerinnen und Bürger ist die Fraktion kommunalpolitisch eine „Black Box“ und die Fraktionsmitglieder haben wenig oder keine kommunalpolitische Erfahrung. Es war wenig Zeit, sich zu finden, Aufgaben zu verteilen und Strukturen aufzubauen. Wie ist der Stand, gibt es schon eine Fraktionsgeschäftsstelle und welche eigenen Schwerpunkte wollen Sie setzen?

Eine Fraktionsgeschäftsstelle richten wir jetzt frisch ein im Rathaus, bei den anderen Fraktionen. Unseren Fraktionsgeschäftsstellenleiter haben wir gefunden, der wird ab dem 18. September auch für uns tätig werden. Und thematisch sind wir ja relativ bekannt dafür, dass wir friedenspolitisch eine Lücke besetzen wollen.

Und wir haben uns herausgearbeitet in Leipzig, dass wir gerne zu den Soldaten- und Waffentransporten arbeiten wollen, die da über den Leipziger Flughafen gehen. Und auch zur General-Olbricht-Kaserne, inwieweit man die auch zivil umnutzen kann in der Stadt. Und ein Großprojekt aus dem Wahlprogramm, was wir immerhin 200.000 Mal in Leipzig verteilt haben, deswegen hoffe ich, dass die Bürger uns nicht mehr ganz so als Black Box ode,r wie ich neulich gelesen habe, Red Box wahrnehmen.

Darin stand eine Initiative, dass wir gerne den Oberbürgermeister Burkhard Jung bitten wollen, im Rahmen der Mayors for Peace, eine Reise nach Kiew und nach Moskau zu unternehmen und dort friedenspolitisch im Sinne der Mayors for Peace zu werben.

Etwas flapsig formuliert: Sitzen im Leipziger Stadtrat sieben Stadträte, oder sitzt Sahra Wagenknecht immer mit am Tisch?

Also Sahra Wagenknecht ist durch die immer noch extrem starke Präsenz in der Partei politisch, inhaltlich wie auch in der Öffentlichkeit durchaus Gegenstand aller unserer Überlegungen. Aber nicht jetzt als so eine einfache Person, sondern eben, was sie repräsentiert, zusammen mit den Parteigründern und -gründerinnen. Und wie wir das programmatisch, wofür wir uns bekannt haben als Mitglieder, sowie auch als Unterstützer, die jetzt da als Stadträte aktiv sind, das eben jetzt auch in konkrete Politik umsetzen können.

Und wir bringen natürlich dann unsere einzelnen spezifischen Lebenserfahrungen mit und wollen dann aus diesen verschiedenen Fachbereichen – wir haben Architekten, Übersetzer, Sozialarbeiter, Lehrer – dann auch versuchen, dort konkrete Politik zu machen, aber im Sinne des BSW.

Gleich zu Beginn der Wahlperiode stehen die Verhandlungen zum nächsten Doppelhaushalt an. Hatten Sie schon Gelegenheit, sich mit dem Thema zu beschäftigen und wer wird Ihr Vertreter im Finanzausschuss?

Wir waren als Gäste geladen zum jüngst tagenden erweiterten Ausschuss für Finanzen. Uns wurde dort die Vorüberlegung für den zukünftigen Doppelhaushalt vorgestellt und wir sind dort auch schweigepflichtig eingebunden worden und wissen jetzt einigermaßen ausführlich, was da auf uns zukommen wird.

Unser finanzpolitischer Verantwortlicher wird Ralf Pannowitsch sein, mein stellvertretender Fraktionsvorsitzender, ich war auch mit ihm zusammen dort. Und ich glaube, ich darf trotz Schweigepflicht sagen, dass es eine sehr schwierige Haushaltsverhandlung werden wird.

Der Stadtrat der VII. Wahlperiode hat starke klimapolitische Signale gesetzt. Beispielsweise den Klimanotstand, den Ausstieg aus der Fernwärmeversorgung durch das Kohlekraftwerk Lippendorf und die Elektromobilität in der Stadtverwaltung und den Eigenbetrieben der Stadt. Werden Sie die Klimapolitik unterstützen?

Wir schätzen sehr eine gut gepflegte Umwelt und saubere Luft, saubere Gewässer und stehen da sehr für den Umweltschutz ein. Aber die Kalkulationen, die teilweise in vielen Bereichen der Gesellschaft zur auch etwas feigenblattmäßigen Einsparung von CO₂ stattfinden, der folgen wir nicht, und zwar insbesondere da nicht, wo es wirtschaftliche Kapazitäten oder soziale Lebensverhältnisse stark behindert oder sogar zerstört.

Denn da zerstört man eben auch Lebensmöglichkeiten für Menschen und das ist ein stärkerer Schaden als das bisschen CO₂ , was dann vielleicht auch mehr dabei herausgekommen wäre. Insbesondere, weil Deutschland auch wirklich nicht zu den ganz großen Playern im CO₂ -Ausstoß international gehört.

Im Verkehrssektor wurden einige Beschlüsse gefasst, die eine Reduzierung des motorisierten Individalverkehrs und eine Stärkung des ÖPNV und Radverkehrs zum Ziel haben. Wie steht die Fraktion BSW dazu?

Wir sind für eine Verbesserung und vor allem auch eine stärkere Sicherheitssteigerung des Radnetzes in den Außenbezirken der Stadt Leipzig. Aber in der Innenstadt haben wir jetzt, unter anderem auch von der Handwerkskammer, der Industrie- und Handelskammer und auch anderen Vertretern in der Stadt, mehrfach schon gehört, dass dort die Einrichtung von Fahrradspuren zu unverhältnismäßigen Problemen für den Auto- und Fußgängerverkehr geführt hat.

Da würden wir uns gern einer Initiative anschließen, die das nochmal auf den Prüfstand stellt, inwieweit der Liefer- und der Bauverkehr unverhältnismäßig behindert wurde.

Auch im Bereich Migration hat sich der alte Stadtrat positioniert. Mehr Angebote für die Integration von geflüchteten Menschen, dezentrale Unterbringung und weiteres. Wie werden Sie sich dazu verhalten?

Wir denken, dass das Allerwichtigste das Erlernen der deutschen Sprache ist und eine Beschleunigung der Abschlussanerkennungsverfahren, also auch möglicherweise dort eine Entbürokratisierung und Entschlackung von zu großer Komplexität.

Andererseits stehen wir aber auch, dafür sind wir auch bekannt, sehr dafür ein, dass die nicht Aufenthaltsberechtigten dann auch schnell das Land verlassen. Das heißt, dass wir diese Menschen nicht mehr in der Kommune tragen müssen.

Wie sehen Sie voraussichtlich die Zusammenarbeit mit den anderen Stadtratsfraktionen? Von besonderem Interesse ist die mit Linken und AfD. Gibt es für Sie rote Linien?

Gegenüber der AfD haben wir insoweit rote Linien inhaltlicher Natur, dass wir eben keine Form von Rechtsextremismus unterstützen. Andererseits haben wir jetzt auch den Herr Ulbrich in der letzten Ratssitzung gehört, wie er wirklich auf sehr unangenehme Art und Weise die Vertreter des Islams abwertete. Da müsste man dann schauen, inwieweit da auch rote Linien überschritten werden. Jedenfalls, was uns sehr wundert: dass Herr Ulbrich weiterhin Mitglied der AfD-Fraktion ist.

Gegenüber Grünen und Linkspartei haben wir eigentlich wenig rote Linien. Also klar, jetzt auf der anderen Seite beim gleichen Thema, dass dort Frau Nagel systematisch in Leipzig auch linke Gewalttäter, zumindest manchmal, deckt, das ist sicher eine rote Linie, die wir auch stark bekämpfen werden im Stadtrat, wenn das weiterhin geschieht. Dass also das, was man so linksextreme Gewalt nennt, in Leipzig abnimmt.

Wobei man sagen muss, dass es schon einen Unterschied gibt zwischen jemandem, der aus rechtsextremistischen Motiven ein Attentat begeht oder einen Mord. Oder Leuten, die aus linken Motiven Autos zerdeppern. Das ist immer noch strafbar und muss verhindert und verfolgt werden. Aber da muss man dann schon Unterschiede machen.

Letzte Frage: Am 11. Juni hat das Bündnis Sahra Wagenknecht im Bundestag den Raum verlassen, als Wolodymyr Selenskyj seine Rede hielt. Der Stadtrat der VII. Wahlperiode hat sich mehrheitlich zur Solidarität mit der Partnerstadt Kiew und der Unterstützung der Ukraine bekannt. Wird die Fraktion BSW dem folgen, oder ist zu erwarten, dass bei einer erneuten Rede des Bürgermeisters Vitali Klitschko im Stadtrat die Fraktion den Saal verlässt?

Das ist eine gute Frage. Also wir standen sehr hinter der Entscheidung, den Bundestag zu verlassen bei der Rede von Selenskyj, hier in Leipzig und auch in Sachsen. Weil es da wirklich darum ging, dass man Klatscher sein sollte ohne Redemöglichkeit.

Also man wurde im Prinzip von der Situation ausgegrenzt und sollte dann auch ein Feigenblatt sein, dass da ein Mensch, der nicht zur Verhandlung bereit ist, zu dem Zeitpunkt hat er das ja auch nochmal betont, sich im Bundestag an das deutsche Volk wenden kann. Das wollten wir nicht unterstützen. Vitali Klitschko ist ja sicher ein Unterschied. Der ist ja nun auf einer ganz anderen Ebene tätig und hat gar keinen Einfluss auf außenpolitische Entscheidungen der Ukraine.

Wenn wir auch nicht gut fanden, auf welche Art und Weise er aus Deutschland, damals bei diesem Putsch in der Ukraine, in die jetzige Amtssituation unterstützt wurde. Da würden wir uns sicher auch kritisch äußern. Aber wir sehen da keinen Anlass, den Raum zu verlassen, denn wir dürfen dann hoffentlich sprechen.

Herr Recke, wollen Sie sonst noch etwas zu Ihrer Fraktion sagen?

Wir arbeiten zusammen, finden uns und es geht ja dann jetzt auch schon in zwei Wochen los.

Vielen Dank für das Gespräch.

***

Kommentar des Interviewers

Ich habe Herrn Recke reden lassen und fühle mich genötigt, einige Anmerkungen zu den Antworten nachzuschieben. Die Bitte an Burkhard Jung, im Rahmen der Mayors for Peace, eine Reise nach Moskau und Kiew zu unternehmen, ist irreführend. Mayors for Peace verurteilt den russischen Angriffskrieg und mit wem soll Jung sprechen? Telefonieren mit Putin, wie Michael Kretschmer 2021, kann er auch von Leipzig aus.

Keine Soldaten- und Waffentransporte über den Flughafen Halle/Leipzig: Das wird die Verwaltung und den Stadtrat nicht aufhalten. Es liegen zu zwei Anträgen gleichen Inhalts (AfD 2022 und AfD 2024) schon Verwaltungsstandpunkte und Stadtratsbeschlüsse vor. Zum Teil mit der Olbricht-Kaserne gab es auch schon einmal einen plakativen Antrag „Gegen jede militärische Ansiedlung in unserer Stadt“. Wir werden also teils ein Revival alter Themen erleben.

Gefragt nach Klimaschutz, spricht Eric Recke von Umweltschutz. Übrigens: Deutschland gehört mit Platz 12 bei den Pro-Kopf-Emissionen und Platz 8 bei den Ländern (Stand 2022), durchaus zu den großen Playern.

Beim Thema Verkehr ist BSW nahe an den CDU-Positionen, Radverkehr in Außenbereichen und Rückbau der Radstreifen.

Die Migrationspolitik ist, wie nicht anders zu erwarten, die von Sahra Wagenknecht. Geflüchtete Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung müssen raus.

Spannend wird es beim Verhältnis zu anderen Fraktionen. Es gibt rote Linien bei dem Verhältnis zur AfD, aber man muss schauen, wo sie überschritten werden. Das Verhältnis zu den Linken kann man, durch den Exkurs zu Juliane Nagel, am Besten mit „Aber den Linksextremismus nicht vergessen“ beschreiben.

Die Frage zur Ukraine, zugegeben etwas verklausuliert gestellt, wurde ausweichend beantwortet. Allerdings ist die Bezeichnung des Euromaidan und des Sturzes des russlandtreuen Präsidenten Janukowytsch als Putsch schon fragwürdig.

Fazit: Alles in allem wird wohl Sahra Wagenknecht, nicht in Person, aber inhaltlich, im Leipziger Stadtrat sitzen. Lassen wir uns überraschen.

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Keine Kommentare bisher

> “Das Wahlprogramm des BSW vermischte Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik und war somit nur begrenzt aussagekräftig. Ein Grund, dem Fraktionsvorsitzenden Eric Recke einige Fragen zu stellen.”
Kommt dann noch das SPD – Interview zum Thema 15 Euro Mindestlohn, begrenzt auf Sachsen?

>” Also wir standen sehr hinter der Entscheidung, den Bundestag zu verlassen bei der Rede von Selenskyj, hier in Leipzig und auch in Sachsen. Weil es da wirklich darum ging, dass man Klatscher sein sollte ohne Redemöglichkeit.”
Wenn der oberste Repräsentant eines Landes im Bundestag zu Gast ist, dann wird ihm mit der Ehre zu reden keine parlamentarische Debatte ans Bein gebunden, sondern die Abgeordneten haben die Aufgabe zuzuhören und nach der Rede ihre Zustimmung durch Applaus oder weglassen desselben zu äußern. Aus dem Saal zu gehen war eine Peinlichkeit hoch zehn, und hatte nichts mit irgendwelchen Gründen der Logik zu tun. Zu behaupten, man musste so handeln, weil Selensky eine “Uniform” trug, verfängt so wenig wie die Behauptung, es gäbe zu wenige Schilder für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.
Danke an den Autor für den Hinweis auf die Städtepartnerschaft mit Kiew und das demzufolge existierende Spannungsfeld mit den BSW im Stadtrat. Ansonsten leider mehr ein Kommentar als ein echtes Interview. Man gibt sich Mühe, schnell alles zu framen und “richtig” zu stellen.

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