Zu später Stunde am 19. September bekamen alle Leipzigerinnen und Leipziger, die die erste Versammlung des neu gewählten Rates verfolgten, einen durchaus seltenen Einblick in eine Welt, die für gewöhnlich nicht sichtbar ist, wenn über Ratsentscheidungen berichtet wird. Denn da ging es um die Entschädigung der gewählten Stadträtinnen und Stadträte für ihre ehrenamtliche Arbeit für die Stadt. Es ist nach wie vor ein Ehrenamt – aber eben eines, das durchaus auch die komplette Freizeit auffressen kann.

Auch wenn die letzte Umfrage unter den Stadträtinnen und Stadträten der VII. Wahlperiode ergab, dass die meisten gewählten Vertreter im Rat monatlich „nur“ rund 20 Stunden für die Stadtratsarbeit aufbringen. Oder – das wurde spätestens nach der Rede von Dr. Tobias Peter, dem Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, deutlich – aufbringen können.

Bei einigen der letzten Ratssitzungen zeigte sich schon, dass manche Stadträtinnen an manchen wichtigen Ausschusssitzungen nicht teilnehmen – oft aus simplen Gründen der Unvereinbarkeit mit ihrer Erwerbstätigkeit. Im Ergebnis aber sind sie gerade auf dem Gebiet, für das sie verantwortlich sind, nicht informiert, kennen Details und Hintergründe nicht und stellen dann – auch das schon erlebt, regelrechte Nonsens-Anträge, die das Thema verfehlen.

Oft genug, so SPD-Stadtrat Andreas Geisler, sitzen von sechs Fraktionen nur zwei Vertreter in Ausschüssen oder Beiräten. Und das wieder sorgt dafür, dass die wichtigen Diskussionen über die eingebrachten Vorlagen nicht in den Ausschüssen geführt werden, sondern sich in die Ratsversammlung verlagern, wo sie unendlich Zeit fressen und zu Sitzungsmarathons führen.

Ehrenamt muss man sich leisten können

Wobei Tobias Peter das nicht einmal als Vorwurf formulierte. Denn ihm ist sehr wohl bewusst, dass man – gerade was das eigene Einkommen betrifft – privilegiert sein muss, um sich die ehrenamtliche Arbeit als Stadtrat überhaupt leisten zu können.

Denn die Aufwandsentschädigung ist wirklich nur eine Entschädigung für den Zeitaufwand in Ausschüssen, Beiräten, Fraktionen usw. Sie ersetzt kein stabiles Einkommen – und sie bringt, wie dann auch CDU-Stadtrat Michael Weickert anmerkte – keine Punkte für die Rente.

Andreas Geisler im Stadtrat.
Andreas Geisler (SPD) im Leipziger Stadtrat am 19.09.24. Foto: Jan Kaefer

Was eben dazu führt, dass größtenteils vor allem Leipziger und Leipzigerinnen im Stadtrat sitzen, die es sich erstens leisten können, so viel Zeit für das Ehrenamt zu opfern. Und die auch so viel Rückendeckung daheim und bei ihren Arbeitgebern haben, dass sie die Sitzungen tatsächlich wahrnehmen können.

Was dazu führt, dass viele geeignete Bewerber, die diesem Stadtrat guttäten, sogar abwinken, wenn sie von ihren Parteien gefragt werden, ob sie für ein Stadtratsmandat antreten würden. Das geht nicht nur den Grünen so. Menschen, die sowieso schon wenig Einkommen haben, Menschen mit Migrationshintergrund, aber vor allem auch Frauen, die ja in vielen Fällen den Männern den Rücken freihalten, damit die in die Politik gehen können.

Weshalb der Leipziger Stadtrat, so Peter, eben nicht die Mehrheitsgesellschaft von Leipzig abbildet. Was aber die Entschädigungssatzung nicht ändert. Auch dann nicht, wenn sie jedes Jahr dynamisiert die Entschädigungen der Inflation anpasst.

Wir können nur für uns selbst entscheiden

Dass der Stadtrat vom 19. September darüber diskutierte, hat damit zu tun, dass sich der Ältestenrat des Stadtrats (als die Versammlung der Fraktionsvorsitzenden) darauf verständigt hat, dass man die Mittel für die Fraktionen erhöhen will – einerseits die für benötigte Sachmittel, aber auch die zusätzlichen Mittel, weil jetzt eine weitere Fraktion im Rat mit Räumen und Personal ausgestattet werden muss.

Um diese Zusatzaufwendungen auszugleichen, hatte der Ältestenrat vorgeschlagen, die Aufwandsentschädigung für die Ehrenamtlichen in den nächsten zwei Jahren nicht zu dynamisieren, sondern einzufrieren. Ein Vorschlag, mit dem die Mehrheit der Ratsmitglieder durchaus einverstanden war, auch wenn die Linke-Fraktionsvorsitzende Franziska Riekewald das Gefühl hatte, dass das bei den Grünen nicht so wäre.

Die hatten nämlich den Änderungsantrag gestellt, diese Zurückhaltung bei der Aufwandsentschädigung nur auf die 70 gewählten Stadträte und Stadträtinnen zu beschränken und die so eingesparten 200.000 Euro zur Förderung des Ehrenamts einzusetzen.

Frau Franziska Riekewald (Die Linke) im Leipziger Stadtrat am 19.09.24. Foto: Jan Kaefer
Franziska Riekewald (Die Linke) im Leipziger Stadtrat am 19.09.24. Foto: Jan Kaefer

Ein Doppelschritt, der so nicht funktionierte, wie FDP-Stadtrat Sven Morlok feststellte. Denn das Geld ist ja nicht eingespart, sondern fließt in die Fraktionen.

Aber der erste Punkt des Antrags sei wichtig. Das unterstützte auch Linke-Stadtrat Sören Pellmann, denn die 70 gewählten Stadträte könnten nicht einfach auch bestimmen, dass auch noch gleichzeitig die Entschädigungen für andere Ehrenamtliche – wie die Mitglieder der Stadtbezirksbeiräte, der Ortschaftsräte, des Jugendparlaments, der Beiräte oder die der Friedensrichter – gedeckelt würden.

Die ja an diesem Tag gar nicht mit abstimmen konnten. Genau das aber hätte die generelle Änderung der Entschädigung, wie sie vorgeschlagen worden war, für alle Ehrenamtlichen bedeutet.

Das hätte Pellmann auch gern als eigenen Antrag eingebracht. Aber das stand so auch schon im ersten Satz des Änderungsantrags der Grünen, den Dr. Tobias Peter eingebracht hatte: „Die Ratsversammlung beschließt die 4. Satzung zur Änderung der Satzung über die Entschädigung von ehrenamtlich Tätigen (Entschädigungssatzung) gemäß Anlage 1 in geänderter Form. (siehe Anlage 1Ä).“

Die „geänderte Form“ bedeutete: Der Beschluss würde nur für die Mitglieder der Ratsversammlung gelten.

Womit dieser Antragspunkt auch sehr eindeutig war und in der Abstimmung dann auch mit 31:29 Stimmen eine knappe Mehrheit bekam. Aber Mehrheit ist Mehrheit. Mit der Folge, dass das Einfrieren der Entschädigung für die nächsten zwei Jahre allein für die gewählten Ratsmitglieder gilt.

Dass die „eingesparten 200.000 Euro“ tatsächlich gar nicht zur Verfügung stehen, sah dann wiederum die Ratsmehrheit bei der Abstimmung zu diesem Satz aus dem Grüne-Antrag so: Er wurde mit 10:45 Stimmen abgelehnt.

Nur eins kann in diesem Gremium nicht gelöst werden: Das traditionelle Dilemma, dass man sich auch in Leipzig leisten können muss, als ehrenamtlicher Stadtrat tätig zu werden. Und dass gerade nicht privilegierte Bevölkerungsgruppen deshalb lieber kein Stadtratsmandat anstreben und deshalb auch kaum vertreten sind.

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