Die Zeit zwischen der letzten Ratsversammlung des alten Stadtrates und der konstituierenden Sitzung des neu gewählten ist eine gute Gelegenheit, um auf die letzten fünf Jahre zurückzublicken und einen Vorausblick zu wagen. Wir haben dazu die neugewählten Fraktionsvorsitzenden zu einem Gespräch gebeten. Im Vorfeld haben wir sechs Fragen vorformuliert und den Gesprächspartnern geschickt, im Gespräch eine davon ausgelassen und eine zusätzliche am Ende gestellt.
Am 14. August trafen wir uns mit Kristina Weyh und Tobias Peter in der Fraktionsgeschäftsstelle der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Neuen Rathaus.
Frau Weyh, Herr Peter zuerst herzlichen Glückwunsch zur Wahl als Fraktionsvorsitzende. Und dann kommen wir gleich zu den Fragen. Die Neuwahl ist ja immer auch ein Grund für einen Rückblick, da steht die Frage: Was waren Ihre Highlights der letzten Wahlperiode für die Fraktion?
Tobias Peter: Also ich glaube, ein wichtiger Punkt, der glaube ich auch die Wahlperiode geprägt hat, ist das ganze Thema Klimaschutz, der Beschluss zum Klimanotstand, der zu Beginn der Wahlperiode verabschiedet und auf der Grundlage dann ja auch weiterer Beschlüsse.
Ausstieg aus der Braunkohle, Fernwärme in Lippendorf, ein ganz wegweisender Beschluss, der uns dann auch noch weiter beschäftigt hat in der Umsetzung auch mit dem HKW Süd, und dann natürlich das Energie- und Klimaschutzprogramm. Also dieser ganze Komplex Klimaschutz, wo wir, glaube ich, wirklich einen ordentlichen Schritt vorangekommen sind, bleibt, ich glaube, so ein Punkt.
Kristina Weyh: Ein weiteres Highlight, ähnlich groß, gehört auch thematisch ein bisschen zusammen, ist die Mobilitätsstrategie. Die hat ja schon der alte Stadtrat entschieden, jetzt haben wir uns aber in den letzten fünf Jahren daran gemacht, den Rahmenplan auf den Weg zu bringen, um kurz-, mittel- und langfristig zu wissen, wie setzen wir das eigentlich um, wie finanzieren wir es, in welchen Projektscheiben. Und, was mir besonders wichtig ist: Wir haben jetzt endlich einen öffentlichen Projektnavigator.
Das ist für mich ein großer Erfolg, damit die Menschen sehen können, was kommt wann dran, wie ist der Stand. Es kommen immer ganz viele Fragen und wichtig finde ich auch, dass wir uns auf Optimierungskriterien geeinigt haben, welche Maßnahme wann in der Dringlichkeit dran ist, nach Kriterien, zu denen sich der Rat verständigt hat, so dass transparent ist, wann muss was ganz dringend gemacht werden.
Tobias Peter: Dann vielleicht noch einen dritten Punkt, gerade in diesem ganzen Bereich Bildung und Soziales: Wir haben einen Grundsatzbeschluss zum flächendeckenden Ausbau der Schulsozialarbeit getroffen. Das ist gerade in Leipzig mit einer hohen sozialen Vielfalt, auch mit vielen Quartieren, auch Schulen, die schon viele Herausforderungen haben in den sozialen Bereichen, eine ganz wichtige Geschichte.
Also Sozialarbeit nicht nur ein Thema für, sagen wir mal Oberschulen, wie wir es vielleicht noch am besten kennen, sondern tatsächlich auch für Grundschulen, für Gymnasien, weil einfach die Herausforderungen überall unterschiedlich sind. Das ist auch ein wichtiger Punkt, den wir geschafft haben.
Die andere Frage, die sich logischerweise gleich anschließt: Was waren denn die Sachen, die der Fraktion am meisten wehgetan haben? Also eigene Anträge, die abgelehnt wurden oder vielleicht auch bestätigt, aber nicht umgesetzt?
Kristina Weyh: Wir sind generell als Bilanz froh, dass wir viele von unseren Anträgen im Rat beschlossen durchbekommen haben, Mehrheiten bekommen haben. Uns schmerzt vor allem, dass Umsetzungen fehlen. Beispiel fehlende Umsetzung: Renaturierung Elsterbecken. Eine Machbarkeitsstudie kommt nicht, die ist in Auftrag gegeben, sie kommt nicht aus dem Dezernat von Herrn Rosenthal und wir fragen dazu auch aktuell an. Das ist etwas, was uns sehr schmerzt, dass es hier nicht vorangeht.
Tobias Peter: Auch das Thema, was uns immer wieder, auch im Netz beschäftigt, die Frage Grünerhalt, das Thema Versiegelung von Flächen, auch die mangelnde Ausweisung von Tabuflächen-Verfahren, das ist ein Thema, was wir eigentlich schon längst hätten beschließen müssen, mit dem Masterplan Grün, auch ein Thema aus dem Dezernat von Herrn Rosenthal, was eigentlich seit zwei Jahren immer noch nicht vorgelegt worden ist.
Es gab einen großen guten Beteiligungsprozess, es gab eine gute Grundlage, aber es geht eben immer noch nicht voran. Und das ist schon ärgerlich, weil es uns sozusagen in der alltäglichen Arbeit am Ende wirklich auch als Grundlage und als Beteiligung fehlt. Dann vielleicht noch so kleinere Punkte, auch da fragen wir gerade an: das Thema Sitzbankkonzept, auch eine Frage der Umsetzung im öffentlichen Raum. Da haben wir jetzt auch einen Antrag, um hier einfach mal vorzukommen, auch etwas, wo wir ein Grundsatzkonzept beschlossen haben, aber nicht vorwärtskommen.
Und so könnte man da einige Themen auch nochmal nennen: Ein Toilettenkonzept steht aus, das Thema Filmkunsthaus wird nicht nach vorne gebracht. Das sind Themen, wo wir wirklich sagen: Das schmerzt schon, dass das irgendwie nicht vorwärtsgeht.
Kristina Weyh: Und darüber hinaus, wir hatten auch ein paar Anträge, die haben nicht gut funktioniert. Und einer, der uns in den letzten Wochen sehr geschmerzt hat, war die von uns geforderte Auflösung des Dialogforums zum Flughafen, – wir reden auch gerade wieder viel über den Flughafen, – der nicht durchgegangen ist. Wir sehen da keine Bewegung mehr und haben uns eben einen klaren Schritt gewünscht, um wieder in neue Gespräche zum Flughafen zu kommen. Das hat beispielsweise nicht geklappt, das ist so was, was uns gerade sehr stark beschäftigt.
Oder kleinere Sachen, wie dass wir den stadtweiten Ausbau von Bauspielplätzen möchten, was auch keine Mehrheit im Rat gefunden hat. Oder – das ist mir persönlich ein Thema, wo wir jedes Jahr traurig sind – dass wir nicht vorankommen bei dem Thema Verbot von Feuerwerk. Das wünschen wir uns ja schon lange und wir kommen da einfach nicht voran. Vielleicht mit der neuen Staatsmehrheit.
Es sind neue Leute in den Stadtrat eingezogen, auch bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Alte sind gegangen oder auch nicht wieder angetreten. Wessen fachliche Expertise, von denen, die nicht mehr dabei sind, wird denn am meisten fehlen?
Tobias Peter: Wir sind ja als Fraktion am meisten gebeutelt mit Leuten, die nicht wieder im Stadtrat sind. Zum Teil aus eigenem Ansinnen, aber auch, weil sie nicht gewählt worden sind. Das ist immer ein bisschen schwer. Grundsätzlich ist ja jeder Stadtrat, der uns verlässt, auch ein Verlust.
Aber wenn man mal so stellvertretend herausheben möchte, ist es schon jemand wie Bert Sander, der auch parteiübergreifend anerkannt war als Kulturausschussvorsitzender oder beim Thema Flughafen, auch weithin anerkannt. Also ein auch Brücken bauen könnender Stadtrat bei dem Thema, das wird sicherlich fehlen.
Und natürlich auch mit dem Urgestein, der Annette Körner. Seit den 90er Jahren hier im Stadtrat bei uns eine große Expertin im ganzen Bereich Umwelt, aber auch Kultur. Also dieser Erfahrungsschatz, der damit verbunden ist, der wird natürlich auch fehlen.
Die neue Wahlperiode steht bevor. Was werden denn – normalerweise hat man 100 Tage, aber sagen wir mal im ersten Jahr – die Schwerpunkte sein, die Sie setzen werden?
Kristina Weyh: Ich glaube, ein ganz wichtiger Schwerpunkt, den können wir heute auch an diesem sehr heißen Tag gut besprechen, ist die Anpassung an den Klimawandel. Das haben wir als Stadtgesellschaft auch im Wandel der Stadt jetzt vor der Brust. Das haben viele Regionen dieser Welt vor sich, aber wir müssen es hier konkret machen. Wir merken, wo unsere Themen sind. Es ist mal zu heiß, so wie heute, es ist mal zu nass, dann haben wir Überschwemmungen.
Wir müssen uns über das Thema Hochwasser und Starkregen Gedanken machen, über das Thema Schwammstadt. Die Themen sind gesetzt, aber wir müssen jetzt den Weg ganz konsequent gehen und auch wirklich die Umgestaltung, die Anpassung an den Klimawandel, der ja stattfindet, eben auch vornehmen. Ich glaube, dass wir in dieser Wahlperiode viel auch mit der Stadtgesellschaft auszuhandeln haben, denn es müssen sich ja Sachen sehr kurzfristig ändern.
Da ist es nicht damit getan, dass wir irgendwo schicke Nebelduschen installieren. Das können wir gerne machen, aber es braucht auch eine infrastrukturelle Änderung, sonst passen wir uns nicht an.
Tobias Peter: Ein zweites großes Thema ist Wohnen. Das hat uns natürlich auch in der letzten Ratsversammlung noch mal intensiv beschäftigt, mit dem wohnungspolitischen Konzept. Das geht ja noch mal um die weitere Umsetzung. Wir wissen, dass wir den Zielen, die wir alle miteinander haben, noch deutlich hinterherhinken.
Deswegen wird es jetzt auch noch mal darum gehen, dass, was wir mit dem wohnungspolitischen Konzept beschlossen haben, also schon mit der Zielrichtung 2.000 neue Wohnungen bei der LWB, auch wirklich den Ehrgeiz hochzuhalten, mit dem Ziel 40.000 Wohnungen, und das jetzt sozusagen in die Umsetzung zu bringen. Wir haben ja diese 120 Millionen bis 2030 beschlossen. Jetzt geht es darum: Wie kriegt man das konkret umgesetzt und operationalisiert?
Da haben wir den Vorschlag Wohnungsbaufonds. Es gibt vielleicht noch andere Varianten, aber darum wird es jetzt gehen. Auch zu Beginn der Legislaturperiode, das, was wir jetzt auf den Weg gebracht haben, wirklich auch in die Umsetzung zu bekommen, also wirklich konkret in die Planung und die Instrumente zu kommen, damit wir tatsächlich zusätzlichen Wohnraum schaffen. Also ein Thema was, glaube ich, ganz viele Leipzigerinnen und Leipziger interessiert, gerade bezahlbare Wohnungen.
Kristina Weyh: Vielleicht noch ein drittes Thema, das ist mal ein bisschen kürzer, weil es uns so ein bisschen jetzt vor die Füße gefallen ist, in gutem Sinne letzten Endes, das Thema Kita-Qualität. Die Frage ist: Wir haben jetzt Überkapazitäten, die sind nur temporär wahrscheinlich und uns ist es wichtig, das einfach zu nutzen und zu sagen: Wir steigern die Qualität in der Kita, wir steigern die Qualität in der frühkindlichen Betreuung und nutzen es.
Das heißt zu sagen, wir sanieren die alten Kitas, die zum Teil in alten Objekten wirklich noch so einen hohen Bedarf haben, wir nutzen es für Umstrukturierung und bauen die Plätze, wenn überhaupt, mit einem langfristigen Ziel ab und sagen jetzt: Wir wollen die Qualität in den Kitas steigern, denn da haben wir noch Potenzial in Leipzig und im Moment ist da ein guter Möglichkeitsraum dafür.
Es braucht Mittel, es braucht auch Mittel aus anderen Ebenen, direkt vom Freistaat beispielsweise, aber das ist auch etwas, woran wir arbeiten müssen als Stadtrat.
Stadträte werden, als Personen, von der Bevölkerung gewählt und bilden dann eine Fraktion. Welches Versprechen gibt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Leipzigerinnen und Leipzigern?
Tobias Peter: Naja, das Versprechen ist schon auch, da weiterzumachen, wo wir aufgehört haben. Also wir streiten natürlich für ein soziales, für ein demokratisches, für ein ökologisches Leipzig, das nach vorne schaut, also nicht so sehr die Frage Rückabwicklung und Vergangenheitsdebatten. Sondern auf das, was Leipzig auch gut zu Gesicht steht, für die Zukunftssicherheit eine Lösung zu finden. Dafür werden wir weiter streiten.
Kristina Weyh: Genau, denn auch in Zukunft wollen wir hier gut leben können, so wie jetzt, so wie schon lange und das soll so bleiben. Und ich glaube, das ist auch unsere originäre Aufgabe als Stadtrat und da sehen wir uns als Bündnisgrüne auch in der Pflicht zu sagen: Ein gutes Leben soll hier in der Stadt möglich sein.
Die letzte, wahrscheinlich nicht ganz unerwartete Frage: Der neue Stadtrat setzt sich anders zusammen als in der letzten Wahlperiode. Wie wird das Verhältnis Ihrer Fraktion zu AfD und BSW?
Tobias Peter: Also zur AfD gibt es, glaube ich, keine Änderungen an der Stelle. Ich glaube, da sind wir klar, dass wir Anträgen der AfD nicht zustimmen werden und auch keine Zusammenarbeit existiert. Das hat einfach was mit der Grundaufstellung der Partei zu tun, dass das einfach eine Partei ist, die nachweislich als gesichert rechtsextrem agiert und ja auch entsprechende Leute in ihren Reihen hat.
Und ansonsten muss man, glaube ich, beim BSW einfach abwarten. Das ist schon auch die Blackbox, wir wissen nicht so richtig, wie die Leute sich verhalten. Die Themen, die für den BSW wichtig sind im Bund, spielen ja nicht so die große Rolle, würde ich mal sagen, mit Frieden und Ukraine.
An der Stelle muss man einfach abwarten. Es ist auch unser Eindruck, dass das Thema Leipziger Modell über die Fraktionsgrenzen hinweg immer wieder Mehrheiten finden muss. Das hat ein deutlich größeres Gewicht, als wir es in der letzten Wahlperiode hatten.
Kristina Weyh: Und ich kann sagen: Wir sind generell im Moment positiv gespannt zu schauen, was diese 70 Menschen, viele davon kennen wir, viele davon kennen wir nicht, wie wir eben dann miteinander arbeiten werden in den Ausschüssen. Dann auch um zu Themen zu kommen. Wir müssen ja auch erstmal Themen besprechen und uns erarbeiten miteinander.
Und ich bin da zumindest positiv gespannt, was passiert. Aber im Einzelnen: Wir müssen uns kennenlernen und das wird ab September erfolgen. Und ja, vielleicht sprechen wir dann einfach nochmal zu diesem Thema.
Frau Weyh, Herr Peter, ich bedanke mich für das Gespräch.
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