Für den scheidenden Stadtrat von Bündnis 90 / Die Grünen schien es noch einmal ein großer Aufschlag zu sein, als er am 21. August den Antrag „Biologische Vielfalt – Kennen und Schützen“ am Rednerpult der Ratsversammlung thematisierte. Denn richtig wirksame Konzepte zum Schutz der biologischen Vielfalt hat Leipzig nicht. Wenn Arten im Stadtgebiet bedroht sind, erfährt das auch die Verwaltung meist nur durch spezielle Gutachten. Welche Arten im Stadtgebiet eigentlich leb(t)en, weiß niemand wirklich.
Und das ist auf jeden Fall aus Jürgen Kaseks Perspektive ein ernstzunehmender Befund. Das sechste große Artensterben macht auch um Leipzig keinen Bogen. Denn wenn die Verwaltung nicht weiß, welche biologischen Arten in Leipzig überhaupt ihre Lebensräume haben, kann die Stadt auch keine wirklich sinnvollen Strategien entwickeln, um die Artenvielfalt zu schützen. Kasek schilderte es am Beispiel eines einzelnen artenreichen Biotop-Baums, von dem die dort lebenden Tiere nicht einfach auf den nächsten Baum umziehen können, wenn ihr Baum gefällt wird.
Und so fordert der Antrag der Grünen tatsächlich eine Menge. Gleich die ersten beiden Punkte hatten es in sich: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis zum 3. Quartal 2024 zu prüfen, wie ein regelmäßiges, wissenschaftliches Biodiversitätsmonitoring in Leipzig durchgeführt werden kann. Der Fokus soll dabei besonders auf bedrohte Arten, Biotope und Biotopverbundflächen gelegt werden.
Die Ausweisung neuer Schutzgebiete, nach den Empfehlungen der 15. Weltbiodiversitätskonferenz, soll verstärkt berücksichtigt werden. Der Fachausschuss Umwelt, Klima, Ordnung wird im 2. Quartal 2024 über den Stand der Schutzgebietsausweisungen informiert.“
Das ist nicht leistbar
Doch die Stellungnahme der Verwaltung, federführend aus dem Amt für Umweltschutz, machte dann indirekt deutlich, dass die Stadt dafür überhaupt nicht die notwendigen Personalkapazitäten hat. „Für einen Großteil der in Leipzig vorkommenden Arten (darunter allein über 10.000 Insektenarten) besteht weder eine Rote Liste noch überhaupt gesetzlicher Schutz. Wenngleich auch für solche Arten ein Monitoring sicherlich wünschenswert wäre, ist dies für alle potenziell gefährdeten Arten weder für die Stadt Leipzig leistbar noch zielführend.“
Dabei weiß man auch im Amt für Umweltschutz, dass einige Arten in Leipzig schon massiv unter Druck stehen. So wie die Amphibien im Leipziger Auwald, denen natürlich genauso das Wasser fehlt wie den Bäumen: „Die Naturschutzbehörde schätzt insbesondere ein Amphibien-Monitoring im Auenbereich als dringlich ein. In Folge der Klimaveränderungen, der zunehmenden Stadtverdichtung sowie durch den steigenden Prädationsdruck invasiver Arten hat sich der Amphibienbestand in Leipzig seit 2018 um ein Vielfaches reduziert. Die meisten Vertreter der Artengruppen stehen in Leipzig aktuell kurz vor dem Aussterben oder sind bereits ausgestorben (vgl. zentrale Artdatenbank Sachsen). So gelten die ‘Auwaldarten’ Laubfrosch (2022) und Moorfrosch (1996) als im Stadtgebiet fast vollständig ausgestorben. Auch die ehemalige ‘Allerweltsart’ Erdkröte ist nur noch äußerst selten im Stadtgebiet anzutreffen. Hinzu kommt, dass die aktuelle Ausbreitung von Amphibienkrankheiten im nahen Umfeld von Leipzig diese Tendenz voraussichtlich nochmals beschleunigt. Ein Monitoring der Bestandssituationen und hierauf gründend die Konzipierung/Umsetzung erfolgreicher Gegenmaßnahmen sind daher dringend.“
Womit eigentlich bestätigt wird, was Kasek befürchtete. Dasselbe trifft längst auch auf viele Stadtvogel-Populationen zu. Und auch auf bedrohte Fledermausarten, wie das Amt für Umweltschutz feststellt: „Aber auch außerhalb des Leipziger Auwalds trägt die Stadt Leipzig (im Einzelfall sogar die nationale) Verantwortung für den Erhaltungszustand von Arten. So befindet sich in Leipzig/Paunsdorf z. B. das deutschlandweit einzig bekannte Reproduktionsvorkommen der streng geschützten Art Alpenfledermaus.
Bestandsverbessernde Maßnahmen und ein engmaschiges Monitoring sind für den Erhalt insbesondere dieser Art zwingend erforderlich. Eine akute Gefährdung besteht derzeit vor allem durch die Umsetzung energetischer Gebäudesanierungsmaßnahmen in Paunsdorf – dem ist bereits rein rechtlich zwingend durch Konzipierung und Monitoring geeigneter Quartierstrukturen für die Alpenfledermaus zu begegnen.“
Selbst Schutzgebiete wachsen zu langsam
Im Grunde war die Stellungnahme der Stadt eine einzige Bestätigung dafür, dass die Ängste von Jürgen Kasek berechtigt sind. In der jüngeren Vergangenheit hatte die Grünen-Fraktion mehrfach Anträge gestellt, die Leipziger Schutzgebiete auszuweiten, weil man nur so bedrohten Arten einen gewissen Schutzraum verschaffen kann.
Aber selbst das scheitert an den personellen Kapazitäten im Amt für Umweltschutz, wie dieses feststellt. Obwohl es bestätigt: „Das effektivste Instrument, Biodiversität flächig sowie effektiv zu schützen und fördern, ist die Ausweisung neuer Schutzgebiete (vgl. §§ 22 ff. BNatSchG, insbesondere Naturschutzgebiete gem. § 23 BNatSchG). Naturschutzfachlich besonders wertvolle Flächen können so zielgerichtet bewahrt sowie Flächen mit hohem Potenzial gezielt entwickelt werden. Für eine möglichst strukturierte Steuerung der gerade in einer Großstadt wie Leipzig sehr heterogenen Nutzung der Schutzgebiete (z. B. für Artenschutz, Erholung, Naturgenuss, Tourismus, Sport, etc.) hat der Gesetzgeber das Instrument der ‘Pflege- und Entwicklungsplanung’ zur Seite gestellt (vgl. § 22 Abs.1 S. 2 BNatSchG). Mit diesem Mittel könnte z. B. für den Leipziger Auwald künftig eine ggf. noch strukturiertere bzw. strategischere Lenkung der unterschiedlichen Nutzungen und Interessen erfolgen.“
Aber: „Die Ausweisung neuer Schutzgebiete ist im Rahmen der personellen Kapazitäten der insoweit gesetzlich zuständigen unteren Naturschutzbehörde – wenn überhaupt – nur in einem sehr überschaubaren Tempo möglich.“
Das heißt: Die Ausweisung dauert Jahre. Viel zu langsam für die rasante Beschleunigung des Artensterbens.
Die Suche nach Fördermöglichkeiten
Und weil es das alles nicht leisten kann, schlug das Amt für Umweltschutz vor, nur einen Punkt aus dem Grünen-Antrag zu übernehmen: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bestehende Fördermöglichkeiten der EU, des Bundes und des Freistaats für Artenschutzmaßnahmen, die Ausweisung von Schutzgebieten und den Umgang mit invasiven Arten im Rahmen der vorhandenen personellen Kapazitäten zu prüfen.“
Und statt Jürgen Kasek beizuspringen als ausgewiesener Biologe, klassifizierte Linke-Stadtrat Michael Neuhaus den Grünen-Antrag als halbgar. Also nicht zu Ende gedacht. Womit er das begründet, sagte er zwar nicht. Aber vielleicht war es tatsächlich die simple Einsicht, dass die Leipziger Umweltbehörde mehr gar nicht leisten kann, ein stadtweites Monitoring das Amt völlig überfordern würde.
Also stellte Neuhaus den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung, sodass dieser dann auch mit einem sehr deutlichen Ergebnis von 50:0 Stimmen bei sieben Enthaltungen angenommen wurde.
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