Auch Sascha Matzke wird im neuen Stadtrat fehlen. Als Vertreter der FDP hat er sich immer wieder sehr ambitioniert für demokratische Verfahren starkgemacht, in denen sich die Bürger auch wiederfinden. Und in der Ratsversammlung am 21. August thematisierte er ein Stück Demokratie, das meist gar nicht wahrgenommen wird, obwohl es direkt dort stattfindet, wo die Leipzigerinnen und Leipzig leben: in ihren Stadtbezirken. Genauer: in ihren Stadtbezirksbeiräten.
Die wählen sie bei jeder Stadtratswahl mit, auch wenn da so explizit nicht auf den Wahlzetteln steht: Die Parteien im Stadtbezirks bekommen nach ihren prozentualen Stimmanteilen auch entsprechend Sitze in den Stadtbezirksbeiräten. Im Stadtbezirksbeirat Nordost waren das bei der letzten Stadtratswahl je drei Mitglieder für die Linke, drei für die CDU, zwei für die AfD und je eins für Grüne und SPD.
Eigentlich ein recht ausgewogenes Gremium, wenn es um Entscheidungsfindungen geht. Und die Stadtbezirksbeiräte haben sogar einiges zu entscheiden, denn seit ein paar Jahren verfügen sie alle über ein Budget. Für diese Stadtbezirksbudgets können die Einwohner des Stadtteils Vorschläge einreichen. Und der Stadtbezirksbeirat ist die erste Instanz, die entscheidet, ob der Vorschlag angenommen wird oder sofort per Stimmenmehrheit vom Tisch gewischt.
Und so passierte es am 31. Mai 2023 einem Antrag für die Förderung eines Mädchenbeteiligungsprojekts im Leipziger Nordosten. Die beiden Stadtbezirksbeiräte von Grünen und SPD waren an diesem Tag verhindert. Stellvertreter, die an ihrer Stelle an der Sitzung – stimmberechtigt – hätten teilnehmen können, gab es nicht. Und so überstimmten in dieser Sitzung die Stadtbezirksbeiräte von CDU und AfD gemeinsam mit 5:3 Stimmen die Vertreter der Linkspartei.
Und es muss dabei ziemlich herablassend zugegangen sein, wie die Linke-Stadträtin Beate Ehms am 21. August in der Ratsversammlung feststellte. Motto: Mehrheit ist Mehrheit.
Mehrheiten sind Mehrheiten …
Nicht einmal eine Stellungnahme der Stadt wurde damals eingeholt, stellt Sascha Matzke fest. Und klassifiziert das, was da exemplarisch geschah, als Missachtung eines Minderheitenvotums. Und er machte auch deutlich, dass er so etwas in nächster Zeit mit den am 9. Juni neu gewählten Stadtbezirksbeiräten noch öfter erwartet: Mit fundierten Anträgen werde dann nicht mehr inhaltlich und sachlich umgegangen, sondern sie werden einfach weggestimmt mit einer konservativen und rechten Mehrheit.
Damit wird das Instrument der Bürgervorschläge geradezu ad absurdum geführt. Denn dann haben Projekte, die der jeweiligen Mehrheit nicht in den Kram passen, keine Chance mehr auf Umsetzung. So wird das Instrument Stadtbezirksbudget parteipolitisch instrumentalisiert. Und das, was es eigentlich bringen soll – eine wirklich gelebte Bürgerbeteiligung – völlig diskreditiert.
Umso unglücklicher war Matzke dann mit dem Verwaltungsstandpunkt, der sich auf das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen im Stadtbezirksbeirat zurückzog: „Der Antrag fordert die Aushebelung des Mehrheitsprinzips bei Abstimmungen zum Stadtbezirksbudget für Projektanträge über 1.000 €. Die für eine weitere Befassung im Stadtbezirksbeirat (SBB) notwendige Einholung einer Verwaltungsmeinung soll nicht mehr wie bisher durch ein Mehrheitsvotum im SBB, sondern bereits durch ein einzelnes Mitglied eingefordert werden können.
Der Antrag wird abgelehnt, da Mehrheitsentscheidungen grundlegend für die effiziente Arbeit politischer Gremien sind und sich das bisherige Verfahren zum Stadtbezirksbudget als bewährt erwiesen hat. Systematische Beeinträchtigungen von Minderheitenrechten können nicht festgestellt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass die Stadtbezirksbeiräte als direkte Verfahrensbeteiligte in die Diskussion um die durch den Antrag angestrebte Veränderung ihrer Kompetenzen vorab nicht involviert wurden.“
Der Vorschlag hilft nicht wirklich weiter
Das letzte klingt dann wie eine amtliche Ohrfeige für Sascha Matzke und Beate Ehms, die den Antrag, das Verfahren zu ändern und ein Minderheitenvotum einzuführen, gemeinsam gestellt hatten. Ein zumindest seltsamer Vorwurf, da der Antrag nach seiner Einreichung den ganz normalen Weg durch die Stadtbezirksbeiräte gemacht hat, diese sich also allesamt eine Meinung bilden konnten. U
nd wenn man den Protokollen der diversen Stadtbezirksbeiräte folgt, haben sie alle den Vorgang zur Kenntnis genommen, sind aber der Meinung der Verwaltung gefolgt, die – etwa aus Sicht des SBB SÜD – eben zu der Einschätzung führt, „dass mit dem Antrag die Autonomie des SBB untergraben und Abstimmungen nichtig werden würden.“
So gesehen war der Vorschlag nicht wirklich ein Mittel, das Problem zu heilen.
Und so sah es eben auch die Verwaltung: „Die Möglichkeit, in 1. Lesung zu einer Projektidee zu votieren, ist bei der Vielzahl der mittlerweile zu behandelnden Anträge ein wichtiges Instrument, Anträge zu einem frühen Zeitpunkt abzulehnen, die aus der Perspektive des entscheidungszuständigen SBB nicht mehrheitsfähig sind. Diese Anträge mittels einer Stimme länger im Verfahren zu behalten, würde den Arbeitsaufwand für den SBB und die Verwaltung signifikant erhöhen, ohne dass es Anhaltspunkte aus der bisherigen Praxis gibt, dass dies sachgerecht ist.“
Am Ende geht es immer um Respekt
Den Hohn bekam Sascha Matzke dann postwendend, als AfD-Stadtrat Siegbert Droese die Gelegenheit nutzte, aus voller Brust zu verkünden: „Das ist Demokratie.“
Stimmt.
Aber er wollte noch etwas loswerden: Denn in der AfD-Fraktion ärgert man sich bis heute darüber, dass in der Ratsversammlung, die über die Nachbesetzung von Mandaten in den Stadtbezirksbeiräten zu entscheiden hat, in der zurückliegenden Legislatur gleich mehrere AfD-Nachrücker durchgefallen sind, die für ihre extremen Positionen bekannt waren.
Aber anders als Droese es darstellte, hing das nicht an Anwesenheiten in der Ratsversammlung, denn auch mit voller Anwesenheit konnte die AfD-Fraktion diese Niederlagen nicht verhindern. Womit Matzke eigentlich hätte erwidern können: „Das ist auch Demokratie.“
Den Punkt, um den es Matzke und Ehms eigentlich zu gehen schien, hatte auch der Verwaltungsstandpunkt nicht diskutiert: Was passiert, wenn Parteien wie die AfD die Mehrheiten in Stadtbezirksbeiräten gewinnen und nur noch ihre eigene Politik durchsetzen? Was passiert dann mit den Minderheitenmeinungen im Stadtbezirk? Fallen die dann einfach unter den Tisch, weil sie die Abstimmungshürde im Stadtbezirksbeirat nicht mehr schaffen?
Was eben kein verwaltungstechnisches Problem ist, sondern eins des respektvollen Umgangs miteinander. Wovon Demokratie nun einmal lebt. Es ist das falsche Ergebnis, wenn sich alle nach solchen Mehrheitsentscheidungen den Spruch um die Ohren hauen: „Das ist Demokratie.“
Nein, ist es nicht. Demokratie ist es erst, wenn Minderheitenmeinungen eine Chance bekommen, gehört und ernst genommen zu werden. Nichts ist schädlicher für die Demokratie, als offene Verachtung für Minderheiten und Unterlegene. Die nächsten fünf Jahre im Stadtrat können lustig werden.
Den Antrag von Sascha Matzke und Beate Ehms lehnte die Ratsversammlung dann ziemlich knapp mit 26:28 Stimmen bei zwei Enthaltungen ab.
Es gibt 2 Kommentare
Ich hoffe, lieber Autor, daß Sie nicht stillschweigend unliebsame Minderheitenmeinungen ausgeklammert hatten, als Sie Ihre treffenden Sätze “Demokratie ist es erst, wenn Minderheitenmeinungen eine Chance bekommen, gehört und ernst genommen zu werden. Nichts ist schädlicher für die Demokratie, als offene Verachtung für Minderheiten und Unterlegene.” aufschrieben.
Es würde ja schon viel helfen, wenn die Mitglieder eines SBBs wüssten, was ihre Aufgabe ist und was sie dort zu tun und zu lassen haben – auch in Bezug auf das Budget. Da vor allem, wo zu dieses da ist und das es niemandem hilft, wenn am Ende des HH-Jahres die Hälfte dem Kämmerer wieder zurück gegeben wird.
Aber solange gerade die Parteien rechts der Mitte Blindgänger und A-leuchter in diese Gremien entsenden, wird das nicht besser. Das im Beitrag beschriebene Problem gibt es in allen zehn SBBs, nicht nur in Nordost.
In einem SBB hat Parteipolitik überhaupt nichts verloren. Aber das haben die rechten Ideologen halt leider noch nicht verstanden.
Kritisch sehen kann man auch die Rolle des BfR, welches zu Beginn einer Legislatur zwar Weiterbildungen anbietet, dieses Angebot aber nicht kontinuierlich vorhält. Gerade in den SBBs gibt es eine recht starke Fluktuation. Und wer dann in der Mitte der Legislatur berufen wird, bleibt geistig rückständig. Es reicht ja, BFF mit dem Ortsverbandsvorsitzenden zu sein, um par ordre du mufti dann mit am Tisch zu sitzen. Völlig ahnunslos aber mit einer wirkmächtigen Stimme.