Am kommenden Sonntag bestimmen die Leipzigerinnen und Leipziger zeitgleich zur EU-Parlamentswahl auch über einen neuen Stadtrat, der ihre Interessen für die kommenden fünf Jahre vertritt. In zehn Wahlkreisen stellen sich 658 Kandidaten aus 15 Parteien bzw. Wählervereinigungen dem Votum der Bevölkerung. Aber worüber dürfen sie eigentlich bestimmen und wie wirkt sich das auf unser aller Leben in der Stadt aus? Ein kleiner Überblick.

Fragt man Passanten auf der Straße mal eben nach den konkreten Kompetenzen des Stadtrats, erntet man wahrscheinlich oft ein unwissendes Schulterzucken. Dabei ist er nicht weniger als das höchste politische Organ in der Stadt, erlässt Satzungen (gesetzesähnliche Bestimmungen) und fasst viele Beschlüsse, die direkt vor unserer Haustür beginnen.

Erstmals erwähnt wird ein Rat für Leipzig urkundlich übrigens bereits im späten 13. Jahrhundert. Freilich ist er dem heutigen so nicht gleichzustellen: Vor allem durchlief er seit der Vorherrschaft von Patriziern hin zum Ausdruck einer demokratischen Verfassung im 19./20. Jahrhundert zahlreiche Wandlungen.

Pflichtaufgaben und freiwillige Aufgaben

Die Kompetenz des Stadtrats hängt auf das Engste mit der kommunalen Selbstverwaltung zusammen, wie sie durch das Grundgesetz und das Kommunalrecht des Bundeslands garantiert wird.

Demnach fallen der Stadt prioritär die sogenannten Pflichtaufgaben zu, um die sie sich ohne Wenn und Aber kümmern muss und wo sie nur bei der konkreten Umsetzung noch Spielraum hat. Dazu zählen etwa Baulanderschließung, Bebauungs- und Flächennutzungspläne, Bereitstellung und Unterhalt einer Feuerwehr, Bau und Trägerschaft öffentlicher Schulgebäude, Wasserversorgung und Abwasserwirtschaft, Straßenreinigung und -beleuchtung, die Anlage und Erweiterung von Friedhöfen.

An zweiter Stelle darf die Stadt im Rahmen gesetzlicher Grenzen auch freiwillige Aufgaben an sich ziehen. Beispiele wären gezielte Wirtschaftsförderung und Investitionen, das Betreiben von Wohnungs-, Energieversorgungs- und ÖPNV-Unternehmen, die Förderung von Wohnungsbau und Sport oder Bau und Trägerschaft für soziale Einrichtungen, wie Kindergärten oder Wohnstätten für alte und behinderte Menschen.

Freiwillige Aufgaben: Wo der Rotstift droht

Hier kommt denn auch der Stadtrat ins Spiel, der vor allem durch den Haushalt über die Verteilung der Gelder entscheidet und einen entsprechenden Hebel in der Hand hält, wo beim Zusammenleben der Stadtgesellschaft die Prioritäten gesetzt werden.

Während es bei der Umsetzung der Pflichtaufgaben – der Name sagt es – nicht ganz so viel Puffer in der Ausgestaltung gibt, können knappe Kassen bzw. veränderte Stadtratsmehrheiten schnell dazu führen, dass bei den freiwilligen Aufgaben der Rotstift angesetzt wird: So sei es denkbar, dass beispielsweise offene Jugend- und Freizeittreffs in Leipzig einer Schließung zum Opfer fallen, wenn sie bestimmten politischen Kräften nicht passen, sagt jemand, der den hiesigen Stadtrat schon lange von innen her kennt.

Warum der Stadtrat keine Bewaffnung des Stadtordnungsdienstes beschließen darf

Überhaupt wird es immer komplizierter, je mehr man sich im Detail mit der Materie befasst. So sind die Rechte des Stadtrats, obgleich weit gefasst, nicht grenzenlos. Das zeigt sich besonders bei der dritten Gruppe neben den Pflicht- und freiwilligen Aufgaben der Stadt, den sogenannten Weisungsaufgaben.

Diese sind rechtlich nicht mehr durch die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland abgesichert, werden jedoch sozusagen als Angelegenheit des Staates an die Kommune delegiert. Denkmalschutz, Bauaufsicht sowie Meldewesen/Statistik gehören dazu, aber auch die Ausgabe von Personaldokumenten und die zum Ordnungsamt zugehörige Ortspolizeibehörde.

Bei den Weisungsaufgaben liegt die Kompetenz, und das ist die Besonderheit, laut Sächsischer Gemeindeordnung allein beim Oberbürgermeister. Mit anderen Worten: Dem Stadtrat ist die Beschlussfassung hier entzogen. Praktisch zeigte sich das im Frühjahr 2024 bei einem unsinnigen Antrag der AfD in der Ratsversammlung, den Stadtordnungsdienst mit Reizstoff, Handfesseln und Schlagstöcken auszustatten.

Das Ordnungsamt musste daraufhin klarstellen, dass der Stadtrat dafür schlicht nicht zuständig ist und sich Teile des Vorhabens außerdem ohnehin in der Umsetzung befanden, nachdem die Gesetzesgrundlage vom Freistaat Sachsen hergestellt worden war.

Die Grenzen des Stadtrats

Nicht über alles, was der Bevölkerung auf den Nägeln brennt, wie etwa Fragen der Sicherheit, können Stadt und Stadtrat also entscheiden – zumal Polizei in Deutschland grundsätzlich Ländersache ist. Das gilt ähnlich für die Bildungspolitik: Zwar ist die Stadt für den Schulneubau und die Suche z.B. nach Sekretariatspersonal und Hausmeistern verantwortlich. Doch die Einstellung von Lehrkräften wiederum obliegt dem Land.

Auch andere Aufreger-Themen auf lokaler Ebene können durchaus außerhalb der Beschlussfähigkeit des Stadtrats stehen. Einer jener Dauerbrenner waren und sind die Falschparker. Der Ansatz, einen Stadtratsbeschluss zum Abschleppen verkehrsbehindernd geparkter Fahrzeuge herbeizuführen, war zum Scheitern verurteilt, weil auch hier eine Weisungsaufgabe vorliegt und das Vorrecht der Verwaltung torpediert würde.

Wahl am Sonntag wird laut Insider spannend wie nie

Allerdings: Nichts ist immer so einfach, wie es scheint, und auch im Bereich der Weisungsaufgaben gibt es eine ganze Reihe potenzieller Grenzfälle, ob der Stadtrat ein Wörtchen mitreden darf oder nicht. „Der Stadtrat hat extrem viele Rechte, die aber auch durch andere Gesetze eingeschränkt werden“, fasst der Insider zusammen.

Die interne Stimmung im Stadtrat von Leipzig, so eine seiner zentralen Beobachtungen, habe sich seit der letzten Wahl 2019 von einer anfänglich relativ guten Kooperation von SPD, Grünen und Linken über die Freibeuter bis hin zur CDU deutlich eingetrübt.

Mit Blick auf die Wahl am Sonntag sei deren Ausgang und die zukünftige Mehrheitskonstellation im Leipziger Stadtrat so schwer zu prognostizieren wie nie, meint der Insider. Sicher ist er sich aber in einem Punkt: Mögliche Newcomer ohne praktische Erfahrung, wie etwa das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), würden lange brauchen, um alle Mechanismen, Feinheiten und gesetzlichen Grenzen der Stadtratsarbeit zu verstehen. Mit etwa einem Jahr sei sicherlich zu rechnen.

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