Würde man Menschen auf der Straße fragen, was eine Stadträtin oder ein Stadtrat macht, dann würden vielen wohl meist die öffentlichen Stadtratssitzungen, die in den sozialen Medien geteilten Termine bei Veranstaltungen oder momentan Wahlkampfveranstaltungen einfallen. Die fünf Stadträtinnen und Stadträte, die ich für die LZ im April interviewte, sprachen von 20 bis 30 Stunden, die sie pro Woche für das Ehrenamt aufbringen müssen.

Alle, die im Stadtrat arbeiten, können Geschichten über ihre Arbeit erzählen. Ich habe hier, aus meiner Zeit im Stadtrat, den zeitlichen Ablauf für einen Antrag, von der Idee bis zur Abstimmung in der Ratsversammlung, aufgeschrieben. Das ist der ganz normale Weg, wie gesagt: Alle Stadträtinnen und Stadträte kennen das.

Auf diesem Bild bin ich, am 18. September 2020, hinter dem Rednerpult im Ratssaal zu sehen. Ich hielt eine emotionale Rede, in der ich den Oberbürgermeister, den Ordnungsbürgermeister und die Fraktionen direkt ansprach und bekam dafür auch noch eine gute Presse.

Das war aber keine Stadtratsarbeit, das war das Sahnehäubchen – das war Reden für die Tribüne und den Livestream. Die Positionen der Stadträtinnen und Stadträte und des Oberbürgermeisters waren längst bezogen, alle wussten, wie sie abstimmen werden, die Rede änderte nichts daran. Das klingt vielleicht hart, aber: Die eigentliche Arbeit findet nicht im Ratssaal statt.

Ich nehme hier zur Illustration einen beliebig ausgewählten Antrag, also nicht den oben verlinkten, für den die Idee von mir kam und ich den Verlauf somit auch nachvollziehen kann.

Idee –> Antrag

Am Donnerstag, dem 03.06.2021, nahm ich, in Vertretung für einen Fraktionskollegen, an der Sitzung eines Betriebsausschusses teil. Da es ein geschlossener Ausschuss war, kann ich nicht ins Detail gehen, aber mir fiel auf, dass viele dort tätige Personen sachgrundlos befristete Arbeitsverträge hatten.

Am Wochenende setzte ich mich hin und recherchierte zur Rechtslage. Aus meiner früheren Betriebsratstätigkeit war mir einiges bekannt, und so skizzierte ich die erste Antragsidee. In der Folgewoche schaute ich mir die Befristungssituation in der Stadtverwaltung und anderen Eigenbetrieben der Stadt an.

Die zwei folgenden Wochen waren voll mit Stadtratsterminen, zur Veranschaulichung eine Aufstellung:

07.06. 09:00 – 16:00 Auswahlkommission Leiter Amt für Schule
07.06. 16:30 – 19:00 Jugendhilfeausschuss Unterausschuss Planung
08.06. 16:30 – 20:00  Fachausschuss Umwelt/Ordnung
09.06. 17:00 – 19:00  Treffen mit Akteuren Wagenplatz karlhelga
10.06. 16:30 – 19:00  Fachausschuss Schule
11.06. 10:30 – 14:30  Auswahlkommission Leiter Amt für Schule
14.06. 14:30 – 16:30  Behindertenbeirat
14.06. 16:30 – 19:00  Jugendhilfeausschuss
15.06. 16:00 – 17:00  zeitweilig beratender Ausschuss Wohnen
15.06. 17:00 – 21:00  Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau
16.06. 16:00 – 18:00  Betriebsausschuss Stadtreinigung

Wie gesagt eine Illustration, für jede Sitzung mussten einige Vorlagen der Stadtverwaltung, Anträge der eigenen und anderer Fraktionen und die zugehörigen Verwaltungsstandpunkte (sofern vorhanden) gelesen, (besser gesagt studiert) werden. In den Fraktionssitzungen wurden die Standpunkte der Fraktion zu diesen diskutiert und diese bringt man dann in den Ausschusssitzungen ein.

In dieser Zeit erarbeitete ich die Grundzüge des Antrags, der später mit der Nummer VII-A-02862 „Sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen in der Stadtverwaltung und den Eigenbetrieben der Stadt Leipzig“ eingereicht wurde. Ich diskutierte diese mit den Fraktionskollegen und schließlich finalisierten wir gemeinsam den Antrag in der Fraktionssitzung am 21.06., reichten diesen ein und er wurde auf der Ratsversammlung am 23.06. ins Verfahren gegeben.

In dieser Ratsversammlung hatte die Vier-Mann-Fraktion drei Anträge, die ins Verfahren gegeben wurden (1. Lesung), zwei Anträge, die zur Abstimmung standen und einen Änderungsantrag zu einem einer anderen Fraktion, es gab also im Vorfeld genug Arbeit.

Das Verfahren

Cover Leipziger Zeitung Nr. 125, VÖ 31.05.2024. Foto: LZ

Mit der ersten Lesung im Stadtrat ging der Antrag ins Verfahren und wurde in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Im Falle dieses Antrags waren es die Fachausschüsse „Allgemeine Verwaltung“ und „Wirtschaft, Arbeit und Digitales“. In jedem dieser Ausschüsse gab es dann wieder zwei Lesungen, in der ersten wurde der Antrag von mir, als Antragsteller, vorgestellt und begründet, es erfolgte auch eine erste Diskussion im Ausschuss.

Oft, wie auch in diesem Fall, ist der in der Fraktion für diesen Antrag zuständige Stadtrat nicht Mitglied in diesen Ausschüssen und nimmt, zusätzlich zu seinen sonstigen Verpflichtungen, zusätzlich an diesen Sitzungen teil.

In der zweiten Lesung wurde der Verwaltungsstandpunkt vorgestellt und diskutiert und es erfolgte eine Abstimmung, besser ein Meinungsbild.

Es kann natürlich passieren, dass die verschiedenen Fachausschüsse am Ende verschiedene Meinungen zu einem Antrag haben, auch wenn alle Lesungen vorbei sind, kann man oft schlecht auf ein Abstimmungsergebnis im Stadtrat spekulieren.

Die Ausschusssitzungen und, fast noch wichtiger, die interfraktionellen Gespräche mit Stadträtinnen und Stadträten, gaben uns, als einreichender Fraktion, die Gelegenheit den Antrag, in Form einer Neufassung, zu präzisieren. Das geschah auch bei diesem Antrag.

Selbstverständlich hatte man eigentlich während des Verfahrens keine Zeit sich weiter mit diesem Antrag zu befassen, die Stadtratstermine (s.o.) gingen ja weiter, man musste die Zeit irgendwie finden.

Rede – Abstimmung

Am 10.11.2021, kamen die 10 Minuten für die Tribüne, in der Stadtratssitzung wurde der Antrag aufgerufen.

Ich ging zum Pult, hielt eine Rede als ob ich irgendjemanden von den anderen 70 Abstimmungsberechtigten noch überzeugen könne, hörte mir stoisch die Gegenrede der Verwaltung und die Wortbeiträge der anderen Fraktionen an. [Protokoll S. 8–10]

Am Ende stand die Abstimmung, diesmal stimmte die Mehrheit des Stadtrates zu.

Fazit: Warum schreibe ich darüber? Der letzte und kürzeste Teil ist das, was die meisten Menschen von der Arbeit eines Stadtrates mitbekommen. In einer Reihe von Interviews mit Erstkandidierenden bei der Stadtratswahl 2024 habe ich diese auch nach ihrem Wissensstand zur Stadtratsarbeit gefragt.

„Was ist eigentlich diese Stadtratsarbeit?“ erschien erstmals im am 31.05.2024 fertiggestellten ePaper LZ 125 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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