Wahrscheinlich funktioniert Politik tatsächlich nur, indem man immer wieder nervt. Gerade bei den Themen, die einfach nicht gelöst sind oder sich – wie beim Vogelsterben an riesigen Glasfassaden – auch noch verschärfen im Lauf der Zeit. Und so war das, was am 19. Juni im Stadtrat verhandelt wurde, auch schon der vierte oder fünfte oder sechste Antrag zum Umgang mit Glasfassaden. Erfolgreich für einen Dichter aus der Linksfraktion, knapp verfehlt für einen Stadtrat der Grünen.

Der Dichter heißt Michael Neuhaus und wird nicht nur Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek in der nächsten Sitzungsperiode des Stadtrates fehlen. Denn er ist nicht nur unterhaltsam und bringt einen Antrag auch schon mal in Gedichtform ein – er ist auch noch kompetent, weil er das studiert hat, was er in der Ratsfraktion der Linken vertritt.

Das scheint ein gewaltiges Problem am Wahlergebnis für den neuen Stadtrat zu sein, dass einige fachlich kompetente Stadträte und Stadträtinnen einfach herausgewählt wurden, die in der neuen Legislatur schlichtweg fehlen werden. Denn Sachkompetenz ist es, mit der Stadträte der fachlich professionell arbeitenden Verwaltung Paroli bieten können. Und nur Fachkompetenz.

Auch wenn sie dann quasi zum Abschied am Rednerpult so fröhlich reimt: „Scheibe rot, Spatz ist tot“. Es seien zwar nicht zuerst die Spatzen, die an Leipziger Glasfassaden sterben, meinte Jürgen Kasek in seiner Erwiderung auf Neuhaus.

Aber die Statistik des NABU Leipzig listet auch den Haussperling unter den Vögeln auf, die besonders häufig an Glasscheiben den Tod finden – noch häufiger trifft es Kohlmeisen. Aber auch Wintergoldhähne, Rotkehlchen und Amseln findet man häufig unter den Opfern. Und im Tierschutzbeirat – so SPD-Stadtrat Andreas Geisler – wird der Vogeltod an Leipziger Glasfassaden immer öfter zum Thema, weil auch die Fallzahlen steigen. Eher selten werden solche tödlichen Glasfallen zurückgebaut, wie das gerade erst am Haus des Buches geschehen ist.

Die Stadt kann durchaus verzichten

Und Sinn ergab der Antrag der Linksfraktion, den Neuhaus vorgestellt hatte, trotzdem, auch wenn CDU-Stadträtin Siegrun Seidel monierte, es hätte schon mehrere Anträge gleichen Inhalts gegeben.

Da hatte sie dann wohl den Antrag selbst nicht gelesen, wie Neuhaus anführte. Denn ging es bei der letzten Befassung 2023 vor allem um ein Beratungsangebot der Stadt für private Bauherren, solche tödlichen Flugfallen für Vögel zu vermeiden, so ging es im aktuellen Antrag der Linksfraktion direkt um kommunale Gebäude.

Was deshalb auch hochaktuell war, weil insbesondere das Technische Rathaus in der Prager Straße in diesem Frühjahr in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte, weil der NABU Leipzig dort dutzende tote Vögel fand, die an die glasverkleidete Brücke des Gebäudes geknallt waren.

Die Linke beantragte deshalb ganz konkret: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bei Bauvorhaben der Stadt Leipzig und ihrer Beteiligungsunternehmen sicherzustellen, dass auf große Glasflächen verzichtet wird oder dass diese vogelsicher sind. Bei städtebaulichen Wettbewerben und bei der Erstellung von Bebauungsplänen ist darauf hinzuwirken/hinzuweisen.“

Hier kann die Stadt nicht nur Einfluss nehmen, sie kann schon in den Ausschreibungen festlegen, dass auf große Glasflächen grundsätzlich verzichtet wird.

Herr Jürgen Kasek.
Jürgen Kasek (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 19.06.24. Foto: Jan Kaefer

Knapp gescheitert

Die Grünen hatten dann noch einen Änderungsantrag verfasst, der ein Stück weiter ging und das zusätzliche Anbringen von Nistkästen forderte sowie eine Überprüfung „aller städtischen Gebäude, kommunalen Einrichtungen und Haltestellen hinsichtlich des Vogelschutzes an Glasfassaden“. Das hätte Baubürgermeister Thomas Dienberg auch zugesagt – wäre nicht der grüne Änderungsantrag mit 28:29 Stimmen denkbar knapp gescheitert.

Obwohl es im Sinn der Sache tatsächlich ratsam wäre, auch die schon existierenden Glasfassaden der Stadt unter die Lupe zu nehmen, die oft überhaupt keinen Vogelschutz haben oder eine falsche Beklebung, die den Vögeln leider nicht hilft, den Zusammenprall zu vermeiden.

Aber irgendwie ging das einer Stadtratsmehrheit doch schon zu weit. Während sich für den Antrag der Linksfraktion, Glasfassaden in kommunalen Bauprojekten generell zu verhindern, eine Mehrheit von 39:19 Stimmen fand.

Wobei das Thema damit wohl noch lange nicht erledigt ist. Gerade in Zeiten – wie der NABU Leipzig feststellt -in denen selbst vormals reiche Vogelbestände in der Stadt bedroht sind. Denn parallel werden immer mehr Nistbiotope zerstört und sind Bestände wie bei den Meisen durch Krankheiten extrem dezimiert.

Und was sagte das Stadtplanungsamt dazu, was die Linksfraktion da zum Beschluss bringen wollte? Es stimmte zu. Bei Bauvorhaben der Stadt Leipzig und ihrer Beteiligungsunternehmen soll künftig auf große und / oder spiegelnde Glasflächen sowie auf spiegelnde Fassadenoberflächen verzichtet werden und vogelsicher gebaut werden. Jetzt müssen sich nur noch alle dran halten.

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