Die Stadt heizt sich auf. Immer mehr Klimaextreme werden auch in Leipzig erlebbar. Da wird es in mancher Wohnung unaushaltbar und man muss raus, um wenigstens ein bisschen frische Luft zu schnappen. Zwei Antrรคge dazu hatte die Fraktion Bรผndnis 90/Die Grรผnen gestellt, die bei der Stadt in beiden Fรคllen auf Zustimmung stieรen. Am 19. Juni kamen sie beide in der Ratsversammlung zur Abstimmung. Und sie gaben Anlass zum Nachdenken.
Denn hier ging es natรผrlich um die Umgestaltung von Plรคtzen und Straรenrรคumen. Nicht nur um mehr Grรผn unterzubringen und mehr Abkรผhlung, sondern auch, um mehr Aufenthaltsqualitรคt zu schaffen. Also eine Stadt zu bauen, in der sich Menschen โ wieder โ drauรen auf den Straรen aufhalten und sich den รถffentlichen Raum zurรผckholen.
Das Wort Automobil kam gar nicht vor in der kurzen Rede von Dr. Tobias Peter, Fraktionsvorsitzender der Grรผnen, mit der er gleich beide Antrรคge einbrachte. Den ersten zu einem โAktionsprogramm Quartiersoasenโ, bei dem vor allem die Bรผrger โ also die Anwohner โ Vorschlรคge machen sollen, wie ein aufgeheizter Platz in ihrer Umgebung mit einfachen Mitteln umgestaltet werden kann, ohne dass es gleich eine Millioneninvestition wird.
Ein Thema, das die Stadt schon im Stadtplatzprogramm mitbedacht hat, das im April vom Stadtrat beschlossen wurde.
Tote Plรคtze mit Leben erfรผllen
โMit dem Beschluss des Stadtplatzprogramms 2030+ (VII-DS-07999-NF-01) wurde ein Umsetzungskonzept Pop-Up-Plรคtze beschlossen. Die Ansรคtze des Antrags werden im Rahmen des Konzeptes aufgegriffenโ, bestรคtigte das Amt fรผr Wohnungsbau und Stadterneuerung dann auch in seiner Stellungnahme. Nur war das noch nicht mit einem konkreten Programm untersetzt. Im Grunde geht es darum, Bausteine zu entwickeln, die zur kurzfristigen Umgestaltung von Plรคtzen in der Stadt angewendet werden kรถnnen.
โAktuell wird zwischen den beteiligten Dezernaten und L-Gruppe ein Umsetzungskonzept entwickelt und abgestimmt. Ziel ist es, durch einen modularen Ansatz fรผr unterschiedliche Zielgruppen und angepasste an den Stadtraum einerseits eine vielfรคltige Nutzung zu ermรถglichen und dabei anderseits effizient und kostengรผnstige im Stadtraum erlebbarer und attraktiver zu gestaltenโ, beschreibt es die Stadt in ihrer Vorlage.
Und stellte sogar den ersten Termin in Aussicht: โDas Umsetzungskonzept Pop-Up-Plรคtze wird bis zum 31.08.2024 dem Stadtrat vorgelegt.โ
Straรen cooler machen
Und ganz รคhnlich war es mit dem zweiten Antrag der Grรผnen โCoole Straรen fรผr Leipzigโ.
Der enthielt eigentlich zwei simple und selbstverstรคndliche Antragspunkte:
1. Der Stadtrat nimmt die Planungsgrundsรคtze fรผr klimawandelangepasste und verkehrsberuhigte Anliegerstraรen und Plรคtzen zur Kenntnis.
2. Im Rahmen von Baumaรnahmen von Anliegerstraรen und Stadtplรคtzen wird die Beteiligung des zustรคndigen Stadtbezirksbeirats und der Anwohnerinnen und Anwohner weiter qualifiziert.
Beispielhaft nannte Dr. Tobias Peter die Diskussion um die Shakespearestraรe, wo der Stadtrat krรคftig nachhelfen musste, damit diese Straรe mehr Grรผn, Fahrradbรผgel und Aufenthaltsqualitรคt bekommt. Denn das war bis dato keineswegs Grundlage in der Leipziger Straรenplanung, dass die Klimaextreme mitbedacht werden, Wasserrรผckhalt und Schatten eine viel grรถรere Rolle spielen mรผssen.
In seiner Stellungnahme bestรคtigte das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) selbst: โDie Erfahrungen bei der Planung und dem Bau der Shakespearestraรe haben jedoch gezeigt, dass es einer Konkretisierung der Planungsprรคmissen fรผr Anliegerstraรen und Plรคtze bedarf.โ
Sieben Prรคmissen formulierte das VTA, nach denen Anliegerstraรen kรผnftig gestaltet werden sollen:
1. Um die Folgen des Klimawandels bei allen Straรenbaumaรnahmen zu berรผcksichtigen, sind das Straรenbaumkonzept, die Stadtklimaanalyse und die Starkregengefahrenkarte ein Bestandteil der Grundlagenermittlung, d.h. der Leistungsphase 1 nach HOAI. Die fachliche Abwรคgung wird im Erlรคuterungsbericht bzw. den Planunterlagen z.B. mit Bilanzierungen dargestellt.
2. Um mehr verkehrsberuhigte Straรen in Leipzig zu etablieren, wird fรผr Anliegerstraรen in der Vorplanung, d. h. in der Leistungsphase 2 nach HOAI, jeweils eine Variante als verkehrsberuhigter Bereich geprรผft. Sofern diese Variante aus fachlichen Grรผnden nicht weiter verfolgt wird, ist dies im weiteren Planungsprozess darzustellen.
3. Um den Anteil an Baumpflanzungen in Bestandsstraรen zu erhรถhen, sind insbesondere die heutigen Flรคchen fรผr den ruhenden Verkehr heranzuziehen. In der fachlichen Abwรคgung zwischen mรถglichen Stellplรคtzen fรผr den ruhenden Kfz-Verkehr und mรถglichen Baumstandorten, ist unter Abwรคgung der Nutzungsanforderungen mรถglichst den Baumstandorten der Vorzug zu geben. Andienzonen und (โฆ) Flรคchen fรผr die Ladeinfrastruktur sind einzuplanen.
4. Bei Straรen(neu)planungen werden neben Fahrradbรผgeln stets auch Sitzgelegenheiten an dafรผr geeigneten Standorten eingeplant und bei der Realisierung umgesetzt (siehe Beschluss VI-DS-06722-DS-01-รA-02).
5. Teil der Planung ist ein standortspezifisches Regenwassermanagementkonzept. Wasserelemente und Maรnahmen des Regenwassermanagements, die auf die Herstellung des natรผrlichen Wasserkreislaufs vor Ort mit naturbasierten Lรถsungen abzielen, sind einzuplanen. Es wird angestrebt, den Anteil unversiegelter und teilversiegelter Flรคchen in Bestandsstraรen zu erhรถhen.
6. Der Einsatz von hellerem Asphalt wird im Zuge der Entwurfsplanung geprรผft, insbesondere in Straรenabschnitten mit ausgewiesener Hitzebelastung.
7. Im Rahmen von Bau- und Finanzierungsbeschlรผssen werden diese allgemeinen Planungsgrundsรคtze in geeigneter Form dargestellt, sodass eine Evaluierung der Maรnahmen mรถglich wird.
Autofahrer mรถgen keine Verkehrsberuhigung
Aber das Stichwort โVerkehrsberuhigungโ lรถste dann auch umgehend die alten Reflexe in den beiden Autofahrer-Fraktionen im Stadtrat aus, wie in der Abstimmung รผber beide Antrรคge dann zu erleben war. Tobias Peter hatte in beiden Fรคllen die Stellungnahmen der Stadt zur Abstimmung gestellt, denn sie zeigen ja, dass die Verwaltung beide Themen inzwischen ernst nimmt. Trotzdem oder gerade deshalb stimmten AfD- und CDU-Fraktion bei beiden Vorlagen dagegen โ ohne das genauer zu begrรผnden.
Aber damit machten beide eben auch wieder deutlich, dass ihnen eine bessere Aufenthaltsqualitรคt auf den Straรen in der Stadt herzlich egal ist. Nur ein Punkt fand auch ihre Zustimmung: die Beteiligung der Bรผrger an den Umgestaltungen.
Nur: Was wรผnschen sich die Menschen in der betroffenen Straรe tatsรคchlich? Ist wirklich der Autostellplatz vorm Haus ihr wichtigstes Anliegen?
Die 7-Punkte-Formel jedenfalls wendet das VTA inzwischen bei jรผngeren Straรenbauprojekten an: โDiese Grundsรคtze gelten bei allen Anliegerstraรen und Plรคtzen und werden bei Bedarf und entsprechend der weiteren Erfahrungen konkretisiert und erweitert.
Im Februar wurde mit der Stรผnzer Straรe (Mobi2030_II-10_S_48) bereits die erste Anliegerstraรe auf Grundlage der Prรคmissen geplant und von der DB OBM (VII-DS-08952) beschlossen. Im Weiteren sind folgende Anliegerstraรen im Arbeitsplan vorgesehen:
Reichpietschstraรe (Mobi2030_II-10_S_18)
Stichstraรen der Dieskaustraรe (Mobi2030_II-10_S_123)
Gottschedstraรe (Mobi2030_II-10_S_36)
Die Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner ist weiter zu qualifizieren. Regulรคr werden die Planungen in den Sitzungen des zustรคndigen Stadtbezirksbeirats bzw. Ortschaftsrat vorgestellt. Vorab sind gezielt die Anwohnerinnen und Anwohner รผber geeignete Wege zu informieren. Die formelle Beteiligung wird dabei ergรคnzt um informelle Beteiligungsbausteine mit Informations- und Beteiligungsformaten vor Ort.โ
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher