Am 20. Juni kam wohl das wichtigste Papier zur Beschlussfassung in den Stadtrat, mit dem sich der alte Stadtrat noch beschäftigen musste: das neue Wohnungspolitische Konzept, das das Konzept von 2015 fortschreibt. Und entsprechend ausführlich wurde diskutiert insbesondere über die Ziele, die jetzt der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft LWB ins Hausaufgabenheft geschrieben wurden. Ziele, die wahrscheinlich die Möglichkeiten der LWB weit übersteigen.

Aber dieser Druck, den inbesondere ein gemeinsamer Antrag von SPD, Linken und Grünen erzeugte, hat Gründe. Und an diesen Gründen ist auch die Stadt nicht ganz unschuldig, die – das betonte speziell Linke-Stadtrat Mathias Weber – jahrelang das Abschmelzen der Wohnungsmarktreserve auf die leichte Schulter nahm.

Und es stimmt ja: Bis vor 15 Jahren hatte Leipzig tatsächlich noch einen rechnerischen Wohnungsleerstand von bis zu 5 Prozent, Erbe aus den 1990er Jahren, als die Stadt 20 Prozent ihrer Einwohner verlor. Da war dann ab 2000, als die Bevölkerung wieder wuchs, genug Puffer, dass sich ein vernachlässigter Ortsteil nach dem anderen wieder füllen konnte. Und das zu relativ niedrigen Mieten. Wo „Luft“ ist auf dem Wohnungsmarkt, da findet nicht nur jeder eine Wohnung, da sind auch die Mieten niedrig.

Aber das änderte sich ab 2015 dramatisch. Das damals verabschiedete Wohnungspolitische Konzept bildete das in Teilen schon ab, zeigte aber nicht die wirkliche Dramatik der Entwicklung. Auch wenn es die LWB schon fleißig zum Bau neuer Wohnungen verpflichtete. Doch schon im Herbst 2023 wurde klar, dass vor allem private Bauherren nicht ansatzweise die Wohnungszahl bauen, die Leipzig dringend braucht. Die Stadt verbuchte einen Überhang von 10.000 Wohnungen, die zwar genehmigt waren, aber nicht gebaut wurden.

Schafft die LWB noch mehr?

Und mit den massiv gestiegenen Baukosten hat sich die Lage verschärft. Und gerade die Fraktionen von SPD, Grünen und Linken sahen den Ausweg darin, über die Eigentümerziele die LWB zu verpflichten, ihr Wohnungsbauprogramm deutlich zu forcieren. Die Stadt hatte für die LWB als Ziel gesetzt, bis 2035 die Zahl von 40.000 Wohnungen zu erreichen. Denn faktisch schafft es das Wohnungsunternehmen, pro Jahr rund 400 bis 450 neue Wohnungen fertigzustellen. Das ist selbst im Deutschlandvergleich noch auffällig viel.

Die drei Fraktionen – für die unter anderem Dr. Tobias Peter (Grüne) und Mathias Weber (Linke) sprachen – wollen diese Zahl aber schon 2030 erreichen, um die Wohnungsmarktlage in Leipzig wenigstens ein bisschen zu entschärfen. Denn das viel zu späte Reagieren auf das Verschwinden der Wohnungsmarktreserve (und das Knausern des Freistaats bei der Förderung des sozialen Wohnungsmarktes) hat inzwischen deutlich spürbare Folgen, wie auch Baubürgermeister Thomas Dienberg feststellte: Verzeichnete Leipzig vor vier Jahren noch 500 Fälle von Haushalten, die keine Wohnung finden konnten, ist diese Zahl inzwischen auf 4.500 gestiegen.

Mathias Weber sprach sogar von über 5.000 Wohnungsnotfällen. Und wie bedrängend die Lage für viele Wohnungssuchende ist, sähe man auch täglich vor dem Sozialamt in der Prager Straße 21, wo sich regelmäßig eine lange Schlange bilde.

Hilft vielleicht ein Wohnungsamt?

Was Grüne, Linke und SPD unter anderem dazu brachte, auch die Schaffung eines eigenen Wohnungsamtes zu beantragen. Das gehört zwar in die Hoheit des OBM und er muss dem nicht folgen. Aber es ist trotzdem eins der vielen Signale, die der Stadtrat an diesem Tag sendete, dass die Stadt dringend mehr tun muss, um das gravierende Wohnungsproblem in Leipzig in den Griff zu bekommen. Auch das In-die-Pflicht-Nehmen großer Unternehmen gehört dazu, dass sie selbst sich beteiligen an der Wohnraumschaffung für ihre Mitarbeiter.

Das empfand dann zwar insbesondere CDU-Stadträtin Sabine Heymann als Vorstoß, die Unternehmen aus Leipzig zu vergraulen. Aber Mathias Weber hat auch recht damit, dass die Unternehmen ja auch gerade deshalb nach Leipzig kommen, weil hier ihre Rahmenbedingungen besonders gut sind – von Infrastruktur bis Kultur. Und in vergangenen Zeiten haben Unternehmen auch in Leipzig sehr wohl eigene Wohnungen gebaut. Das nannte man damals Werkswohnungen.

Und natürlich taucht die Frage auf, ob dieses Denken, dass Unternehmen nicht alle sozialen Fragen auf die Stadt – und damit die Gemeinschaft – abwälzen, eigentlich völlig verschwunden ist.

Kann die Stadt der LWB finanziell helfen?

Denn das schafft eben auch die Probleme, die Städte wie Leipzig auf einmal mit ihrem Haushalt bekommen. Ein Thema, auf das vor allem FDP-Stadtrat Sascha Matzke einging, der mit seinen jüngsten Erlebnissen im Finanzausschuss davon ausgeht, dass die Haushaltsverhandlungen für die Jahre 2025/2026 richtig hart werden. Da sei dann auch kein finanzieller Spielraum, die LWB mit zusätzlichen Finanzbeihilfen dabei zu unterstützen, mehr Wohnungen zu bauen.

Mehr als die 400 bis 450 Wohnungen, die die LWB jährlich schafft, seien schlichtweg nicht drin, sagte auch OBM Burkhard Jung. Es fehle dafür schlicht auch an Planungspersonal und Planungsvorlauf.

Sodass die rot-rot-grüne Mehrheit im Stadtrat an diesem Tag wahrscheinlich viele Dinge mit ihrer Mehrheit zum Beschluss brachte, die das kommunale Unternehmen gar nicht leisten kann, die sowohl die LWB überfordern als auch den städtischen Haushalt.

Womit auch wieder deutlich wurde, dass ein Satz eben nicht stimmt, egal, wie oft er wiederholt wird: Der Markt wird das schon richten. Die Warteschlangen vorm Sozialamt zeigen, dass der Markt gar nichts richtet, sondern davon profitiert, wenn sich ein Angebot derart drastisch reduziert wie eben gerade die Wohnungen in der wachsenden Stadt Leipzig.

Das sorgt nicht nur für fehlendes Angebot und Verteuerung von Grund und Boden (ein im Allgemeininteresse völlig kontraproduktiver Vorgang), es sorgt eben auch dafür, dass die Mieten nun seit Jahren kontinuierlich steigen. Denn Vermieter ignorieren – anders als städtische Ämter oder gar sture Ministerien – nicht, wann ein Wohnungsmarkt „dicht“ ist und sich die Ware Wohnung zum raren Gut verknappt hat.

Netto-Null ist nicht machbar

Was die Stadt jetzt natürlich auch zwingt, dort zu bauen, wo sie eigentlich nicht bauen wollte – im sogenannten Außenbereich. Dafür ist das geplante Wohngebiet in Heiterblick das aktuellste Beispiel. Inzwischen rücken auch die einstigen Baufelder in Grünau wieder in den Blick, wo vor 15 Jahren noch eifrig Wohnblöcke abgerissen wurden, weil in den Köpfen der Entscheider immer noch das Gespenst der schrumpfenden Bevölkerung spukte.

Eine Folge davon: Auch de von Linken, Grünen und SPD geäußerte Wunsch, beim Wohnungsbau eine Netto-Null-Versiegelung zu schaffen, ist nicht umsetzbar, so Dienberg. Stattdessen kommen bisher grüne Bereiche unter den Bagger.

So betrachtet, zahlt die Stadt Leipzig heute teuer für einige Fehler und Versäumnisse der jüngeren Vergangenheit. Ohne die Scharte wirklich auswetzen zu können. Sie kann die Effekte des leergefegten Wohnungsmarktes nur dämpfen, wie Tobias Peter feststellte. Und sie kann sich vor allem jener Haushalte annehmen, die sich die hohen Mieten im (privaten) Neubau nicht leisten können.

Und vielleicht auch ein bisschen helfen, wenn es zum Beispiel um Wohnungstausch geht, wenn ältere Mieter aus einer zu groß gewordenen Wohnung in eine kleinere umziehen wollen, ohne dann von den neuen Mietkosten erschlagen zu werden.

Leipzig hat es mit einem Marktversagen zu tun

Die Diskussion war eben nicht nur ein scheinbar „linkes“ Agieren gegen die armen Investoren und Vermieter, sondern auch ein Blick in die sozialen Konflikte, die gerade dort heranreifen, wo die Menschen nicht ausweichen können. Sabine Heymann meinte zwar, die Wünsche der Fraktionen SPD, Linke und Grüne würden den Populismus befeuern, weil sie am Ende nicht realisierbar wären.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Wohnungsprobleme der ärmeren Stadtbewohner viele der tatsächlichen Konflikte befeuern, die die gutverdienende Mehrheit gar nicht sehen will. Da wird dann gern auf „den Markt“ verwiesen.

Aber die Zahlen sprechen eine klare Sprache: „Der Markt“ regelt das nicht, sondern verschärft die Konflikte. Das am 20. Juni beschlossene Wohnungspolitische Konzept und die neuen Eigentümerziele für die LWB beschreiben im Grunde nur den engen, sehr engen Handlungsspielraum, den die Stadt noch hat, um die Wohnungsfrage irgendwie in den Griff zu bekommen.

Und das – wie Mathias Weber betonte – vor dem Hintergrund weiteren Bevölkerungswachstums. Denn gleichzeitig entstehen in Leipzig die neuen Arbeitsplätze, die Menschen eben auch dazu zwingen, nach Leipzig oder in sein direktes Umland zu ziehen – wenn sie da eine Wohnung finden.

Was wieder heißt, dass die Arbeitskräftenachfrage der Unternehmen direkt an das Wohnungsangebot in Leipzig gekoppelt ist. Und an Leipzigs Rolle als wachsende Großstadt.

Da klang die Diskussion am 20. Juni dann teilweise wie ein Schlagabtausch zwischen Marktverfechtern und sozialen Mahnern. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Wer die Probleme der Habenichtse, die eine bezahlbare Wohnung brauchen, ignoriert, schürt den gesellschaftlichen Unfrieden. Auch deswegen muss Leipzig handeln – und hat doch viel zu wenige Ressourcen dafür.

Weshalb es eher ein politisches Signal war, dass beide Vorlagen der Stadt mit einer Menge Änderungen gerade aus den Anträgen von Linken, Grünen und SPD mehrheitlich beschlossen wurden.

Das Wohnungspolitische Konzept mit 35:21 Stimmen und die Eigentümerziele der LWB ebenfalls mit 35:21 Stimmen. Dagegen stimmte auch die CDU-Fraktion, für deren Abstimmverhalten Sabine Heymann am Ende darauf verwies, dass die beschlossenen 40.000 Wohnungen als Ziel für die LWB bis 2030 schlicht unrealistisch sind.

Ein Dilemma, in dem Leipzig nun einmal steckt. Und das umso deutlicher zeigt, dass auf „den Markt“ bei dieser drängenden Frage schlicht nicht zu rechnen ist.

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Keine Kommentare bisher

Das beschlossene Ziel von 40.000 Wohnungen im Jahr 2030 ist richtig. Man hätte schon viel früher die Eigentümerziele ändern sollen. Man hat hier sehr viel Zeit verloren.
Ob man die 40.000 Wohnungen nun 2030 oder 2032 erreicht, ist hierbei gar nicht so entscheidend, wichtig ist, dass die LWB beginnt in großem Maßstab wieder zum Bauherren zu werden. Von den gut 36.500 Wohneinheiten sind nicht mal 1.000 Wohneinheiten in einem Neubau. Das ist eine sehr schlechte Quote. Die LWB hat in den letzten 20 Jahren sehr viel Geld in den Bestandserhalt gesteckt. Das war bis ca. 2017 auch richtig, seitdem hätte man aber den Fokus auf Neubau legen sollen, denn die Sanierung schafft keinen zusätzlichen Wohnraum, erhöht aber die Bestandsmieten.
Und klar steht am Ende auch die Angst, dass man nun für sehr viel Geld Wohnraum schafft, der am Ende nicht vermietbar ist.

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