Im Vorfeld der Stadtratswahlen in Leipzig werden wahrscheinlich viele Wahlkampf-Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien geführt. Wir fanden es interessant, bei einigen Stadträtinnen und Stadträten, die ihre erste Legislaturperiode im Stadtrat hatten, nachzufragen, wie sie diese erlebt haben.

Schön, dass wir uns hier treffen können, Kuno! Erste Frage: Du bist Stadtrat und berufstätig. Magst du uns ein bisschen was über dich erzählen?

Da muss ich mal ganz kurz meine Brille aufsetzen für die vorgefertigten Antworten. Danke. Sorry dafür. Ich bin im Stadtrat seit 2019. Eine sehr, sehr wichtige Aufgabe, ein Ehrenamt. Das heißt, ich muss noch irgendwie anders meine Brötchen verdienen. Und darum arbeite ich als Bestatter in einem kleinen Bestattungsunternehmen. Das bedeutet, wir machen Haustransporte, wir holen Verstorbene von zu Hause ab, Heimtransporte und machen Beisetzungen.

Ich bin dazu noch vormittags in einem größeren Krankenhaus in Leipzig und gebe Verstorbene für andere Bestatter heraus. Und ich habe alle zwei Wochen eine Radiosendung hier bei einem lokalen Radiosender in Leipzig. Gehe total gerne auf Konzerte, warum ich ein bisschen taub bin wieder. Ich dachte, es wäre eine coole Idee, sich direkt vor die Box zu stellen in der ersten Reihe.

2019 hast du dich zur Stadtratswahl aufstellen lassen. Was hat dich damals dazu bewogen?

Ich mache ja nicht nur eine Metal-Sendung bei einem lokalen Radiosender. Ich habe da auch schon vorher darüber berichtet, über den Leipziger Stadtrat und habe da mitbekommen, wie der Leipziger Stadtrat funktioniert. Und mir ist da zum Teil eine extrem hohe Inkompetenz aufgefallen, wo ich mir am Ende des Tages gesagt habe, wenn die das können, kann ich das auch. Und sogar besser!

Und das war dann auch eine Motivation, mich aufstellen zu lassen. Zudem waren wir seit mindestens Mitte der 2010er sehr stark außerparlamentarisch vertreten.

Also wir als die Partei Die PARTEI haben dort sehr hohe Werte an Zustimmung erfahren. Wo wir dann auch immer wieder angesprochen worden sind, ja, tretet doch wieder an zur Kommunalwahl und macht da mit. Wir brauchen euch. Ursprünglich dachte ich, dass ich da ein bisschen mehr Farbe und ein bisschen mehr Spaß reinbringen kann. Aber der Spaß ist mir relativ schnell vergangen, als ich mitbekommen habe, wie wenig Sachverstand dort herrscht und auch wie wenig Empathie.

Als du dich hast aufstellen lassen und in den Stadtrat gewählt wurdest, hattest du bestimmt ein paar Pläne, was du gerne in Leipzig verändert hättest. Jetzt bist du mit der Realität im Stadtrat konfrontiert worden. Was ist aus deinen Plänen geworden? Was machst du im Stadtrat konkret und was sind deine Schwerpunkte?

Leipzig ist immer noch ein Teil von Sachsen, was wir nach wie vor nicht so gerne sehen. Der Lexit ist nach wie vor ganz oben auf der Agenda. Leipzig raus aus Sachsen! Wir werden versuchen, da noch mal in den nächsten Wochen was im Stadtrat einzubringen und damit auch bei den nächsten Wahlen zu werben. Logisch, denn wir sind das Original. Was mir noch sehr, sehr wichtig war, ist Stadtentwicklung, Wohnungsbau und die freie Szene. Ist auch verständlich. Ich war früher auch mal Hausbesetzer, ich höre gerne Punk und Heavy Metal. Das heißt, da sind Stadtentwicklung, Bau und Kultur sehr naheliegend.

Das Cover ePaper 123
Cover Leipziger Zeitung Nr. 123, VÖ 05.04.2024. Foto: LZ

Ich glaube, ich habe ein bisschen was entwickelt. Ich habe mich eingesetzt für den Erhalt von sozialen Räumen, was auch zum Teil geklappt hat, gerade im Leipziger Westen. Ich bin immer noch daran interessiert, bezahlbaren Wohnraum in Leipzig zu erhalten und auch neuen zu bekommen und auch ökologisches Bauen voranzutreiben.

Das sind zwei Sachen, die mir sehr, sehr wichtig sind. In der Kultur natürlich der Erhalt der freien Szene. Es gibt dermaßen viele verschiedene Sparten, die total fit sind, die total viele Programme haben.

Und es wundert mich immer wieder, warum die freie Szene, meiner Meinung nach, immer noch ein bisschen stiefmütterlich behandelt wird, obwohl es dort jedes Jahr immer mehr finanzielle Aufwüchse gibt. Aber ich verstehe nicht, warum tote Musik von toten Musikern nach wie vor hofiert wird im Leipziger Zentrum, aber die freie Szene nicht. Das finde ich schade.

Aus eigener Erfahrung weiß ich ja noch: Stadtratsarbeit ist ganz viel Papierarbeit, sprich Akten, eigene Anträge, Verwaltungsstandpunkte und so weiter. Wenn man das wirklich in Papier machen würde, heute ist es ja digital, wäre es ein Riesenberg, den man vor sich herträgt. Wie viel Zeit setzt du ungefähr im Stadtrat für deine Stadtratsarbeit ein?

Pro Woche sind es bestimmt 20, 30 Stunden. Gerade der Bauausschuss ist ja sehr arbeitsintensiv, das kennst du wahrscheinlich auch noch. Alleine die Ausschusssitzungen dauern in der Regel vier Stunden. Es gibt noch andere Ausschüsse, wo ich zum Teil wegen meiner Anträge drin bin, also die besuchen kann. Manchmal auch, weil es mich interessiert, der Kulturschuss natürlich, dann die ganzen Ratsversammlungen, die Gespräche mit Wählerinnen, mit Initiativen, mit Trägerinnen der freien Szene.

Das sind 20, 30 Stunden, da haben wir das total schnell beisammen. Und dass das so intensiv ist, habe ich wahrscheinlich nicht gedacht.

Das ist es aber, wenn man das seriös machen möchte. Ich meine, viele haben uns gewählt, weil sie Spaß haben wollen. Aber in dem Moment, wo du eine Chance hast, in der Stadt zu wirken, mit Politik einzuwirken, dann hast du auch irgendwo eine soziale Verantwortung gegenüber den Leuten, die dich gewählt haben.

Okay, gegenüber den anderen natürlich auch. Aber wenn man diese Verantwortung, also auch dieses Vertrauen wirklich wahrnehmen und wirklich zurückgeben möchte, dann sollte man das schon seriös gestalten.

Jetzt hast du ja, wie du vorhin schon sagtest, noch einen „richtigen Beruf“ als Bestatter. Wie stehen denn deine Firmenleitung, deine Kolleginnen und Kollegen dazu, dass du dich, unabhängig von welcher Partei, überhaupt politisch engagierst, dass du dieses Ehrenamt machst?

Die fanden das eher kurios, haben sich daran gewöhnt. Ich glaube aber nicht, dass denen das so viel bedeutet. Also mir bedeutet das wahrscheinlich sogar ein bisschen mehr. Ich habe aber mitbekommen, weil ich auch viel Kontakt mit anderen Bestattungsunternehmen habe, dass da zuerst Interesse war und ich denen auch ab und zu etwas erklären konnte und sie dadurch auch mitbekommen haben, wie Stadtpolitik funktioniert.

Und alles in allem glaube ich, dass meine Arbeit da wohlwollend aufgenommen wird, zum Teil auch sympathisch durch mein Auftreten. Und auch weil sie mitbekommen haben: Da ist jemand, der weiß, wovon er redet.

Das klingt doch gut. Also du hast jetzt keine negativen Erfahrungen auf der Arbeit oder im Familienkreis?

Auf der Arbeit nicht. Das passiert mir höchstens auf der Straße. Das ist auch eine sehr negative Belastung, die die Stadtratsarbeit mit sich bringt. Ich meine, ich bin ja schon ein bisschen auffällig durch mein Äußeres. Und Beleidigungen auf offener Straße, das ist eine Sache, die selbstverständlich passieren kann. Und zum Teil trage ich dann beim Fahrradfahren Kopfhörer – ich weiß, das ist verboten – zum Selbstschutz, damit ich nicht mehr alles mitbekomme, weil dich das zu sehr auffrisst.

Ja, noch eine letzte Frage: Jetzt bewerben sich ja viele zum ersten Mal für den Stadtrat. Was würdest du denen mit auf den Weg geben? Was sollen sie machen? Woran sollen sie denken? Was erwartet sie?

Sie sollen nie vergessen, warum sie das machen wollten und warum sie gewählt worden sind. Ich glaube, das ist eine Geschichte, die unabhängig von der Partei oder von irgendwelchen Wählerinnenvereinigungen sehr wichtig ist: Dafür zu sagen, dass man nie vergisst, warum wollte ich das machen? Wollte ich das nur zum Spaß machen oder will ich wirklich was erreichen? Und man sollte sich auch sehr genau angucken, mit wem man zusammenarbeitet. Das sind glaube ich die Sachen, die ich den Menschen mitgeben möchte, könnte, wollte.

Kuno, ich danke dir für das Gespräch.

Transparenzhinweis: Der Autor dieses Textes und Interviewer war von 2019 bis zu seinem Rücktritt 2022 selbst für die Piraten Mitglied im Leipziger Stadtrat. Für diese Interview-Reihe fragte er sämtliche dortigen Fraktionen bis auf die AfD an. Die CDU hat bisher auf seine Anfrage nicht geantwortet.

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