Wen meinte Linke-Stadtrat Marco Götze da eigentlich, als er in seiner Rede zum Linke-Antrag „Kultureigenbetriebe Leipzigs dauerhaft sichern“ von Fraktionen sprach, die gar keinen Wahlkampf betreiben? Denn keine Wahlkampfrede war das, was er hielt, ganz bestimmt nicht. Und auch am Ende war nicht wirklich klar, worüber er eigentlich geredet hatte. Über eine Gefahr für Leipzigs Kulturbetriebe oder über die Wandelbarkeit der Zeiten?
Das Selbstverständliche bleibe nicht selbstverständlich, das Parteiensystem sei im Fluss. Keiner wisse, wer demnächst hier im Stadtrat sitze.
Die Rede hatte Saft und Hintern, das kann man wohl sagen. So schöne Sätze hat man in Stadtratsreden lange nicht gehört. So philosophische auch nicht.
Aber auch seinen Nachfolge-Rednern war nicht wirklich klar, was er eigentlich mit seiner Rede bezweckte. Obwohl es natürlich stimmt: Vor zehn Jahren hat der Leipziger Stadtrat noch intensiv über mögliche Kürzungen bei den Eigenbetrieben der Kultur debattiert. Da steckte Leipzig noch in einem intensiven Sparkurs und man überlegte, vielleicht das eine Haus zu schließen, Sparten zusammenzulegen, vielleicht auch nur die Werkstätten und die Leitungen. Was alles nicht kam. Denn am Ende bekannten sich alle Ratsfraktionen dazu, dass alle Häuser der Hochkultur erhalten bleiben sollen. Sie machen einen wesentlichen Teil der Attraktion der Stadt Leipzig aus. Gamma-Weltstadt nannte Götze sie in seiner Rede.
Gamma ist der dritte Buchstabe im griechischen Alphabet. Und die dritte Liga ist manchmal durchaus geschmeichelt. Bei der Kultur aber könnte es für Leipzig stimmen. Viele Touristen kommen genau der Kultur wegen nach Leipzig. Man denke nur ans Bachfest, das in diesem Jahr vom 7. bis 16. Juni stattfindet.
Wer hat Angst vor 2035?
Aber müssen die Leipziger jetzt schon wieder Angst haben, dass eines der großen Häuser von Schließung bedroht ist?
Kein Mitglied des aktuellen Stadtrates denke auch nur daran, das betonten mehr oder weniger Sascha Matzke (FDP), Annette Körner (Grüne) und Michael Weickert (CDU), der dann auch erklärte, dass es bei der Finanzierung der Hochkultur schlicht ums Wollen gehe: Wenn man die Hochkultur in Leipzig wolle, müsse man auch für ihre Finanzierung sorgen.
Der eigentliche Kern des Antrags der Linksfraktion ging nicht nur in Götzes Rede unter. Denn der wesentliche Beschlusspunkt war lediglich plakativ: „Die Stadt Leipzig sichert den Bestand der Eigenbetriebe Kultur mindestens für die nächsten 12 Jahre, bis zum 31.12.2035 dauerhaft ab. Das schließt den vollständigen Erhalt der künstlerischen Sparten sowie die Verpflichtung zum qualitativ hochwertigen Erhalt und Ausbau der Gebäudeinfrastruktur ein. Die künstlerische Eigenständigkeit der Häuser bleibt ebenso gesichert wie sich die Stadt Leipzig zur Freiheit der Kunst bekennt.“
Wobei Grünen-Stadträtin Annete Körner zu recht anmerkte, dass ihr das hier aufgeführte Datum 31.12.2035 Angst mache. Denn solche Zeitlimits hat Leipzigs Stadtrat für die Kulturbetriebe noch nie gesetzt. Werde damit nicht suggeriert, dass dann nach 2035 Kulturbetriebe verkauft werden sollen? Und von wem eigentlich, denn dass die jetzt noch amtierenden Stadträtinnen und Stadträte dann auch noch amtieren, ist ja völlig unsicher. Alles ist im Fluss, da hat Marco Götze schon recht.
Aber man bremst den Fluss nicht, indem man auf einmal Bestandsmarken setzt und scheinbare Sicherheiten für zwölf Jahre beschließt. Denn damit steht eben trotzdem ein Datum im Raum. Und dann? Wodurch entsteht da das, was Marco Götze betont hatte: „Stabilität und Planbarkeit“?
Das Geld für Investitionen ist knapp
Dabei hat der Linke-Antrag selbst angemerkt, dass es in wesentlichen Punkten gar keine Planbarkeit gibt. Das stand aber eben nur in der Begründung: „Dabei bleibt auch schon heute die Sanierung und Instandhaltung eines Teils der Kultureigenbetriebe zur Sicherung des Spielbetriebs, wie des Theaters der Jungen Welt und der Musikschule, zum Teil ‘auf der Strecke’“, las man da, nachdem der Antrag betont hatte: „Bei der wahrscheinlich auch zukünftig angespannten Haushaltssituation, der schwierigen Lage mindestens eines Beteiligungsunternehmens (St. Georg gGmbH) mit erheblichem Liquiditätsbedarf in dreistelliger Millionenhöhe sowie dem grundsätzlich unterfinanzierten ÖPNV – nicht nur in Leipzig -sowie der Umsetzung eines zukünftigen kommunalen Wärmeplanes in einstelliger Milliardenhöhe ist ein Bekenntnis zu den kulturellen Eigenbetrieben wichtig.“
Darum geht es nämlich: um eine Stadt, deren Budgets für die „freiwilligen Aufgaben“ immer denkbar knapp ist. Und wo dennoch eine Stadtratsmehrheit über eine Senkung der Hebesätze für die Gewerbesteuer zumindest nachdenkt.
Es ist also nicht ganz so eindeutig, wie es etwa Michael Weickert darstellte. Denn sinkende Gewerbesteuereinnahmen bedeuten nun einmal, dass wieder weniger Spielraum für Investitionen da ist – auch für dringend nötige Sanierungen in den Kulturbetrieben. Davon lenkte Götzes Rede leider ab, so schön formuliert sie auch war.
Eigenbetriebe sind essentieller Bestandteil der Leipziger Kultur
Der Linke-Antrag war sowieso vom Tisch, nachdem sowohl Sascha Matzke als auch Annette Körner den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung haben wollten.
Der hatte in drei Beschlusspunkten formuliert, worum es eigentlich geht – und wozu sich jeder Stadtrat in jeder Haushaltsdebatte positionieren muss.
„Die Ratsversammlung beschließt, dass
1. der Oberbürgermeister auch zukünftig die Rahmenbedingungen bereitstellt, damit sich die Kultureigenbetriebe der Stadt Leipzig: Gewandhaus, Oper, Schauspiel, Theater der Jungen Welt sowie Musikschule als essentieller Bestandteil der Kulturlandschaft der Stadt Leipzig in ihrer je eigenen Spezifik weiter entwickeln können. Sie gehören zum Selbstverständnis der Kulturstadt Leipzig.
2. zur Sicherung der künstlerischen Eigenständigkeit innerbetriebliche strukturelle Veränderungen regelhaft vorgenommen werden, insofern sie der wirtschaftlichen und künstlerischen Stabilität sowie der Leistungsfähigkeit der je fünf Eigenbetriebe Kultur dienen.
3. für die Kultureigenbetriebe zum Zweck des Erhalts und der ggf. notwendigen Ertüchtigung der Gebäudeinfrastruktur im Rahmen der Haushaltsplanung die notwendigen Mittel für Instandhaltungs-/ bzw. Investitionsbedarfe verhandelt werden.“
Es sind nicht Bekenntnisse, die die Kulturbetriebe am Laufen halten, sondern ganz konkrete Finanzierungsbeschlüsse.
Und dass sich alle Parteien jetzt vor unseren Augen in ihre Bestandteile auflösen, werden wir wohl auch nicht erleben. Sie stehen nur allesamt vor neuen Herausforderungen und müssen immer wieder neu lernen, die richtigen Themen auch mit den richtigen Worten anzusprechen.
Panikmachen ist nicht, befand denn auch die Mehrheit in der Ratsversammlung am 22. Mai und votierte den Verwaltungsstandpunkt mit 39 „Ja“-Stimmen bei 22 Enthaltungen. Und vielleicht hätte die Linksfraktion sogar gut daran getan, dem Vorschlag aus dem Kulturdezernat ebenfalls zuzustimmen. Denn dann wäre deutlicher geworden, wo die eigentlichen Kulturskeptiker im Ratssaal sitzen: ganz rechts.
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