Seit Wochen ruft die Stadtverwaltung die Leipzigerinnen und Leipziger dazu auf, sich als Wahlhelfer*innen für die in diesem Jahr anstehenden Wahlen zu melden. Einer, für den das inzwischen Routine ist, ist Michael Ernst, einigen sicher bekannt aus der TV-Serie „Elefant, Tiger & Co.“ Der Leipziger Tierpfleger hat schon einige Einsätze als Helfer im Wahlbüro hinter sich. Auch bei der kommenden Kommunal- und Europawahl am 9. Juni wird Ernst wieder als Wahlhelfer dabei sein, ebenso wie zur sächsischen Landtagswahl im Herbst.
Michael, du hast dich in diesem Jahr wieder als Wahlhelfer angemeldet, es wird bereits das fünfte Mal sein, dass du die Stadt am Wahltag unterstützt. Was ist deine Motivation, dich immer wieder anzumelden?
Diese Entscheidung hat eigentlich mehrere Gründe. Der erste war schlichtweg praktischer Natur: Mich hat damals, im Vorfeld der Kommunalwahlen vor fünf Jahren, ein Kollege angesprochen. Er erzählte mir, dass Personen als Wahlhelfer*innen gesucht würden. Er erzählte auch, dass die Stadt immer weniger Menschen fände, die sich bei den Wahlen engagieren würden. Also beschloss ich, selbst mitzumachen.
Ein weiterer Grund ist sicher auch meine Sozialisierung: Zur Zeit der Wende war ich 18 Jahre alt. Zur berühmten Volkskammerwahl, der letzten in der DDR, war ich gerade wahlberechtigt geworden. Man hat ja damals mitbekommen, dass diese Wahlen eigentlich eine Farce waren. Das hat etwas in mir ausgelöst. Ich bin seitdem überzeugt davon: Wenn man die Möglichkeit hat, eine gerechte und ehrliche Wahl zu unterstützen, sollte man das auch tun.
Wahlhelfer oder Wahlhelferin sein – das ist kein leichter „Job“, oder?
Ich war bisher nie Wahlvorstand. Personen, die diesen Posten oder auch die Schreibführung übernehmen, werden explizit geschult. Bisher war ich immer Beisitzer, das heißt, ich begrüße die Menschen, prüfe die Stimmzettel auf ihre Korrektheit und schaue, dass das „Kreuzchensetzen“ den Vorschriften entsprechend abläuft. Das ist schon jede Menge Arbeit. Ich denke, man muss das aus Überzeugung tun. Zum Geldverdienen jedenfalls bewirbt sich niemand als Wahlhelfer (lacht).
Das Interessante ist: Es gibt einige Menschen, die sich oft beschweren darüber, dass Wahlen nichts nützen würden und die Politiker*innen ein abgekartetes Spiel treiben würden. Genau jene finden sich allerdings selten als Helfer*innen in den Wahlbüros ein, wo sie sozusagen mit eigenen Augen beobachten könnten, dass die Wahl gerecht vonstattengeht.
Sprichst du mit Freund*innen oder Kolleg*innen darüber, versuchst sie ebenfalls zu motivieren, sich zu bewerben?
Ja, auf jeden Fall. Die Stadt sucht ja auch immer noch händeringend nach Personen, die sich beteiligen. Städtische Mitarbeiter*innen können das sogar als einen Arbeitstag abrechnen. In einer Großstadt wie Leipzig ist es nicht leicht, so viele Menschen zu „rekrutieren“. Das merke ich allein daran, dass mich immer, wenn es wieder einmal so weit ist und eine Wahl ansteht, nette E-Mails erreichen mit der Erinnerung, dass ich nicht vergessen solle, mich wieder als Wahlhelfer zu melden.
Ich glaube, manche Menschen haben ein wenig Angst davor, dass die Aufgaben zu kompliziert sind. Aber das kann ich wirklich entkräften. Natürlich – man muss mit Konzentration dabei sein und man muss sorgfältig sein. Aber am Ende geht es darum, aufzupassen, dass das Wahlgeheimnis gewahrt bleibt und beispielsweise nicht mehrere Personen gleichzeitig in die Kabine gehen.
Aber natürlich ist es eine verantwortungsvolle Aufgabe. Vor allem, weil Fehler, die eventuell passieren, schnell politisch instrumentalisiert werden. Das sollte natürlich nicht passieren.
Gerade in den letzten Jahren waren die Wahlen immer polarisierender, auch durch das Aufkommen verschiedener neuer Parteien. Außerdem gibt es einige Menschen, die sozusagen als selbst ernannte „Wahlbeobachter“ den Helfer*innen ganz genau über die Schulter schauen – um sicherzugehen, dass nichts manipuliert wird. Natürlich gibt es auch dabei Regeln, beispielsweise, dass nicht fotografiert werden darf.
Ich selbst habe die Erfahrung bisher nicht gemacht, aber ich weiß aus Erzählungen, dass es manchmal zu schwierigen Situationen kommen kann, in welcher Personen ihre Freiheit zur Beobachtung eingeschränkt sehen. Im äußersten Fall müssen sie auch des Raumes verwiesen werden. Aber man muss unbedingt neutral sein, das ist oberste Prämisse.
Bezeichnest du dich generell als Bürger, der sich in die Geschicke seiner Stadt einbringt?
Ich denke, dass es schon sinnvoll ist, in seinem persönlichen Umfeld zu beginnen. Allein schon, die Menschen dazu zu motivieren, sich wirklich mit den Programmen von Parteien auseinanderzusetzen. Ich denke, dass es unheimlich wichtig ist, nicht immer nur zu meckern, sondern etwas zu tun, um Veränderung herbeizuführen. Aber natürlich könnte man immer mehr machen. Es gibt in Leipzig viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Man muss sie allerdings auch kennen und sich dazu entsprechend informieren. Wer die Möglichkeiten nicht nutzt, die ihm oder ihr gegeben sind, sollte sich nicht im Nachhinein beschweren.
Wie ist deine Einschätzung – sind die Bürgerinnen und Bürger heutzutage weniger daran interessiert, sich einzubringen in die Demokratie?
Ich glaube nicht, dass die Menschen weniger bereit sind, sich einzubringen. Ich glaube aber, dass Politikverdrossenheit nicht einfach nur ein Wort ist. Die Menschen haben Vertrauen verloren. Das nützt allerdings meistens den Falschen.
Was müsste sich deiner Meinung nach ändern?
Mir fehlen die Ecken und Kanten der Politiker*innen. Viele halten sich Hintertüren auf, legen sich nicht fest. Es gibt da keine feste Substanz. Ich sage damit nicht, dass es keine stark engagierten Lokalpolitiker*innen gibt und sicher gibt es die auch in den hören Ebenen. Ein Beispiel sind die Abstimmungen über flächendeckende Gesichtserkennung im EU-Parlament, die erst vor Kurzem stattfanden. Gerade die Parteien, die am lautesten unsere Freiheit in Gefahr sehen, haben sich enthalten. Die Linke hat abgelehnt. Und die Parteien, bei welchen man davon ausging, dass sie dagegen seien, haben positiv votiert. Und das ist alles einsehbar. Darüber muss ich mich als Bürger dann aber auch informieren.
Dennoch: Was den Bürgerinnen und Bürgern über die Medien „serviert“ wird, trägt nicht dazu bei, Vertrauen zu schaffen. Es gibt Personen, die sind überrepräsentiert, sitzen in jeder Talkshow und äußern sich zu Themen, über die sie gar keine Expertise haben. Und dann gibt es die anderen, die durch Schweigen glänzen. Es muss etwas passieren. Und da hilft es auch nicht, zunächst bei anderen zu schauen und zu warten, dass die andere anfangen.
Den Menschen ist das Haus, Auto etc. nun mal wichtig. Wenn man sie nicht mitnimmt in Prozessen, die das in Gefahr bringen könnten, werden sie ungemütlich. Aber Veränderungen sind notwendig. Die werden mit persönlichen Einschnitten einhergehen, die im ersten Moment vielleicht wehtun, sich auf langfristige Sicht aber auszahlen. Dass es trotzdem Personen gibt, die behaupten, dass alles bleiben kann, wie es ist, ist fahrlässig. Auch die Debatten im Bundestag scheinen inzwischen weniger sachliche Diskussionen zu sein, als vielmehr Plattformen für gute Witze, zum Austeilen gegen politische Konkurrent*innen und um Macht zu demonstrieren.
Wirst du dich auch in Zukunft als Wahlhelfer beteiligen?
Definitiv. Ich bin fest überzeugt von unserem demokratischen Wahlsystem. Und wenn es dabei bleibt, werde ich das auch weiterhin unterstützen.
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