Der Antrag war nicht neu. Die Grünen hatten ihn schon vor über einem Jahr gestellt: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, in Kooperation mit Leipziger Kulturakteur/-innen zum 4. Quartal 2024 das Konzept für ein familienfreundliches Leipziger Literaturstipendium zu entwickeln, mit dem Ziel, es 2026 erstmals auszuloben.“ Also so etwas wie ein Stadtschreiber-Stipendium. Am 2. Mai kam der Antrag zum Aufruf, weil es auch eine Petition zum Thema gab.
Beide eigentlich aktuell, denn beschlossen, dass Leipzig ein Literaturstipendium bekommt, hat der Stadtrat schon 2021. Doch umgesetzt ist es (noch) nicht. Also holten die Grünen ihren Antrag wieder hervor, setzten eine Neufassung ins System und beherzt warb am 22. Mai in der Ratsversammlung Anna Schneider-Kaleri für den Antrag der Grünen: „Mir will sich nicht erschließen, warum ausgerechnet Leipzig keinen Stadtschreiber hat.
Ich mag berufsbedingt einen speziellen Blick auf unsere Stadt haben – aus meiner Sicht sind wir Verlagsstadt, Buchstadt, Buchmessestadt und nicht zuletzt die Stadt, in der die erste universitäre Autorenausbildung im deutschsprachigen Bereich gegründet wurde.
Was lege also näher, Schriftsteller/-innen in unsere Literaturstadt einzuladen, damit sie sich direkt oder indirekt mit ihr auseinandersetzen und zu einem hochstehenden künstlerischen Austausch beitragen – so wie wir es mit dem Hanns Eisler Stipendium im Bereich Musik und Caroline Neuber Stipendium im Bereich Theater haben.“
Doch auch die Petition hatte die Verwaltung abgelehnt und der Petitionsausschuss war dem gefolgt: „Der Stadtrat hat bereits 2023 beschlossen (VII-HP-08924), eine Stipendienförderung für alle Förderbereiche des Kulturamts zu etablieren. Dabei sind Stipendien auch für den Bereich Literatur geplant. Als stetiges Förderinstrument sollen jährlich Stipendien in Höhe von insgesamt 250.000 Euro ausgereicht werden. Ein Teil der jährlichen Stipendienförderung wird sich damit direkt an hier ansässige Autorinnen und Autoren und deren ‚literarische Strahlkraft‘ richten.
Die Stipendien orientieren sich an den ‚Leipziger Arbeitsstipendien‘, die bereits 2020 und 2021 als Corona-Nothilfe-Instrument ausgereicht worden, werden aber konzeptionell noch in diesem Jahr neu aufgelegt und auch ausgereicht. Dabei fließen auch Überlegungen mit ein, die ein Aufenthaltsstipendium bzw. Residenzstipendium für den Bereich Literatur vorsehen.
Ein Stadtschreiber-Stipendium ist nur ein mögliches Instrument, um Autorinnen und Autoren zu fördern. Erfolgreich sind Stadtschreiberinnen häufig in kleineren Städten mit kleinerem Kulturangebot bzw. Kulturszene. In Leipzig ist bereits eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren ansässig, die auch Themen rund um die Stadt und ihre Geschichte immer wieder literarisch verarbeiten. Ein zusätzliches Stadtschreiber-Stipendium ist nicht nötig.“
Arbeitsstipendien sollen es richten
Ganz ähnlich kritisch, aber deutlich ausführlicher lehnte das Kulturdezernat den Grünen-Antrag ab und verwies dort ebenfalls auf das Arbeitsstipendienprogramm. Nur: Die ablehnende Stellungnahme stammte schon von Februar 2023. Was Anna Schneider-Kaleri dann doch verwunderte. Damals stellte das Kulturamt ein fertiges Konzept zur Stipendienvergabe noch für 2023 in Aussicht, nach dem pro Jahr 250.000 Euro an Arbeitsstipendien für Leipziger Kunstschaffende ausgereicht werden sollten.
Das aber klappte nicht. Auch 2024 ist noch kein Geld geflossen, sodass jetzt sogar 500.000 Euro zur Verfügung stehen, wie Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke sagte.
Dass sich gerade im Literaturbereich so eine Förderung ohne Lösung hinzog, lag auch daran, dass die Stadt schon seit 2018 mit der Wolfgang Hilbig Gesellschaft darüber verhandelte, wie so ein Stipendium eigentlich gestrickt sein könnte. „Die WHG ging in ihrem Konzept davon aus, dass die Stadt Leipzig die gesamte Verantwortung für alle in diesem Zusammenhang entstehenden organisatorischen Aufgaben übernimmt.
Alternativ wurde im Kulturamt (KA) erwogen, dass sich aus dem Kreis der Leipziger Literaturszene eine Arbeitsgruppe bildet oder ein Verein sich bereit erklärt, für die Organisation (Ausschreibung, Auswahl, Veranstaltung zur Preisvergabe, Betreuung der Stipendiaten während des Aufenthalts in Leipzig und Vorbereitung und Durchführung der öffentlichen Veranstaltungen) zu sorgen“, heißt es in der Stellungnahme von 2023.
Aber daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch wenn ein prestigeträchtiges Literaturstipendium für Leipzig – so Jennicke – wohl wirklich mit dem Namen von Wolfgang Hilbig (1941–2007) verbunden werden könnte.
Prestige oder echte Unterstützung?
Weiter heißt es aber in der Stellungnahme: „Leipzig sollte mit dem Preis oder dem Stipendium eine überregionale Wirkung anstreben und keine geografischen oder biografischen Einschränkungen bei den Ausschreibungsbedingungen setzen.“
Womit dann wieder einmal damit zu rechnen ist, dass auch dieser „Preis“ nicht an Autorinnen und Autoren geht, die in Leipzig leben und arbeiten. Das ist ein völlig anderes Thema als ein familienfreundliches Literaturstipendium, betonte Schneider-Kaleri, die als Autorin selbst weiß, wie schwer es meist ist, Familie und Schreiben unter einen Hut zu bekommen.
Da das Kulturamt mit der Konzepterstellung so lange brauchte, läuft gerade das Bewerbungsverfahren für die 50 Arbeitsstipendien für „Künstlerinnen und Künstler sowie Kunst- und Kulturvermittlerinnen und -vermittler“ (noch bis zum 3. Juni), bei dem die Bewerber/-innen zwischen 8.000 und 10.000 Euro zur Unterstützung ihrer Arbeit bekommen können. Schwerpunkt, so Skadi Jennicke: Diversität.
Ein Stadtschreiber-Stipendium, so Jennicke, sei vor diesem Hintergrund nachrangig.
Es gibt also eine Art Förderung, auch wenn ganz und gar nicht gewährleistet wird, dass davon auch Autorinnen und Autoren profitieren. Die Ratsversammlung lehnte anschließend den Antrag der Grünen auf ein spezielles Literaturstipendium mit 13:42 Stimmen ab. Die Petition selbst wurde mit 51 Stimmen bei sechs Enthaltungen abgelehnt.
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