Im Vorfeld der Stadtratswahlen in Leipzig werden wahrscheinlich viele Wahlkampf-Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien geführt. Wir fanden es interessant, bei einigen Stadträtinnen und Stadträten, die ihre erste Legislaturperiode im Stadtrat hatten, nachzufragen, wie sie diese erlebt haben.
Fangen wir mal an. Die erste Frage, du bist Stadtrat und, soweit ich weiß, Krankenpfleger. Erzähl ein bisschen was über dich.
Ja, mein Name ist Sascha Matzke, ich bin Stadtrat für die FDP seit 2020. Ich bin Krankenpfleger und pflegerischer Wundexperte. Ich arbeite in einem großen Krankenhaus in Leipzig. Und ich bin 2020 nachgerückt. Nachdem ich damit überhaupt nicht gerechnet habe, habe ich aber trotzdem dann die Verpflichtung angenommen, eben dieses Mandat auch auszuführen und dann auch wirklich in der Zeit zu machen.
Mir war wichtig: Bei Patienten lege ich den Finger nicht in die Wunde. Bei der Stadtpolitik hatte ich die Gelegenheit dazu, den Finger in die Wunde zu legen. Und das ist auch mein Grund, weswegen ich kandidiere und weiterhin aktiv den Finger in die Wunde legen möchte in der Stadtpolitik. Und da braucht es eben die Mitte der Parteien und nicht die Ränder.
Du hast gar nicht damit gerechnet, in den Stadtrat zu kommen. Du bist damals nachgerückt für Franziska Rudolf. Aber du hast dich ja aufstellen lassen. Was bewog dich dazu?
Bewogen hat mich damals eigentlich schon immer, dass ich ein politischer Mensch bin. Und als dann Anfang 2020, Ende 2019 die Partei auf mich zukam, war die Bereitschaft natürlich sofort da. Ohne überhaupt abzusehen, dass es zum Mandat kommen würde, habe ich aber trotzdem damals entschieden: Ich stehe für meine Partei, ich stehe für Freiheit, für Bürgerrechte, für Frieden in Europa. Und wenn ich dann die Chance habe, in der Kommunalpolitik eine kleine Stimme auch als Zählkandidat einer Liste zu sein, dann würde ich das machen.
Jetzt wurdest du Stadtrat, wahrscheinlich hattest du ein paar Pläne, was man so machen könnte in Leipzig. Du bist mit der Realität konfrontiert worden. Bürgerinnen und Bürger sehen ja nur die Stadtratssitzungen. Was machst du eigentlich, wo liegt der Schwerpunkt deiner Arbeit?
Meine Arbeit im Stadtrat besteht aus der Mitgliedschaft in den Ausschüssen. Das sind aktuell der Fachausschuss Kultur, der Fachausschuss Wirtschaft und auch der Fachausschuss Allgemeine Verwaltung. Das heißt, ich kümmere mich um Wirtschaftsthemen, um arbeitsmarktpolitische Themen, um Kulturthemen, aber auch um interne Verwaltungsthemen.
Das klingt erstmal ziemlich trocken, aber wie mein Interviewer ja gerade gefragt hatte, hat man mir damals schon gesagt: Also wenn du dieses Mandat übernimmst, dann siehst du deine Stadt mit anderen Augen. Und das ist definitiv in den vier Jahren passiert. Man bekommt als Stadtrat einen ganz anderen Blick auf seine Stadt und in seine Stadt. Man hat die Gelegenheit, wenn auch nur im Kleinen, als einer von 70 oder 71 mit Oberbürgermeister seine Stadt aktiv zu gestalten.
Und dann ist es auch sehr spannend, diese Aufgabe wahrzunehmen.
Ich weiß es aus eigener Erfahrung, Stadtratsarbeit ist ganz viel Papierarbeit, sprich Akten, eigene Vorschläge, Verwaltungsstandpunkte. Wenn man es in Papier machen würde, wäre es ein Papierberg. Wie viel Zeit setzt du ungefähr für diese Arbeit ein?
Also ich möchte ein Stück weit vorgreifen. Es gibt ja aktuell die Thematik, dass die viele Bürgerinnen und Bürger sich beschweren, dass sie die Politik und die Politiker nicht mehr richtig verstehen. Wenn sie auf ihre Stadträtinnen und Stadträte zugehen, dann sind diese in der Regel immer bereit, ihre Arbeit zu erklären.
Wir haben sehr viel zu lesen. Wir haben Stadtratsvorlagen, die wir durchzuarbeiten haben. Das sind meistens sehr viele Seiten, wo sich das Detail nur in ein, zwei Sätzen versteckt, was dann aber durchaus für die Entscheidung wichtig ist.
Wir machen originäre Fraktionsarbeit, das heißt, wir bringen eigene Ideen in den Stadtrat ein, fragen den gesamten Stadtrat: Was haltet ihr davon? Stimmt ihr dem zu oder stimmt ihr dem nicht zu? Und häufig haben wir als Fraktion Freibeuter, auch wenn wir die kleinste Fraktion sind, durchaus Erfolg.
Ja, und Zeitaufwand für dich persönlich?
Für mich persönlich liegt der Zeitaufwand bei ungefähr 10 bis 15 Stunden die Woche, wobei man nicht pauschal darauf antworten kann. Es gibt eine sogenannte Ratswoche, die ist proppevoll. Da gibt es durchaus zwei Sitzungen, die über circa acht, bzw. wenn es weniger ist, sechs Stunden gehen. Es gibt aber auch Wochen, wo ich mich auf meine Hauptarbeit als Krankenpfleger eben konzentriere und dann nicht so viel Zeit für den Stadtrat habe.
Aber das ist genau der Unterschied. Ich habe sehr viele stadträtliche Kollegen, die bei Abgeordneten angestellt sind und keinen richtigen Job mehr machen.
Kommen wir zum eigentlichen Beruf. Du sagst, du bist Krankenpfleger in einem großen Krankenhaus. Wie stehen denn deine Führungsetage und vor allem deine Kollegen und Kolleginnen dazu, dass du dich, unabhängig von welcher Partei, politisch engagierst, dass du überhaupt dieses Ehrenamt machst?
Als ich die Gelegenheit hatte nachzurücken, bin ich zuerst zu meiner Abteilungsleiterin gegangen und habe sie gefragt, ob das überhaupt mit meiner Arbeit vereinbar wäre. Das hat damals mein Team, mein Arbeitsteam auch mitgetragen, weil sie auch vielleicht sogar ein Stück weit stolz darauf waren, dass ich das jetzt machen kann und dass ich das jetzt vertreten kann. Für meine Kollegen und für meine Arbeit kann ich sagen, dass wir ein sehr politisches Team sind.
Das heißt, wir haben die verschiedensten politischen Meinungen in meinem Arbeitsteam. Von links über rechts bis Mitte bis ökologisch sehr engagiert. Und ich habe eine Geschäftsführung, die zu Anfang wenig, später aber doch Kontakt zu mir gesucht hat.
Allerdings versuche ich das streng zu trennen. Das heißt also, wenn es um Stadtratsarbeit geht und mein Arbeitgeber unterhält sich dann mit mir auch nur über die Stadtratsarbeit und nicht über Betriebsinterna.
Letzte Frage: Es bewerben sich jetzt sehr viele zum ersten Mal. Was würdest du denen mit auf den Weg geben? Was sollen sie machen? Woran sollen sie denken? Was erwartet sie?
Sie sollten ihre Ziele, die sie sich vorab gesetzt haben, nicht aus dem Blick verlieren. Sie sollten bei sich selbst bleiben. Das heißt also, der Mensch, der sie vorher waren, der sollten sie auch bleiben. Das ist ganz wichtig. Und sie sollten ihre Ziele nicht zu hochschrauben. Sie sollten sich vor allem die fünf Jahre, die sie dann von den Leipzigerinnen und Leipzigern gewählt sind, diese Zeit nehmen.
Und das ist auch der Grund für meine Wiederbewerbung. Leider mahlen die Mühlen der Verwaltung sehr langsam. Und wenn man etwas umsetzen will, dann schafft man das selten in einer Wahlperiode. Wenn man weiter Ziele verfolgen will, so wie ich das auch vorhabe, bewirbt man sich wieder.
Das war’s schon, ich bedanke mich.
Transparenzhinweis: Der Autor dieses Textes und Interviewer war von 2019 bis zu seinem Rücktritt 2022 selbst für die Piraten Mitglied im Leipziger Stadtrat. Für diese Interview-Reihe fragte er sämtliche dortigen Fraktionen bis auf die AfD an. Die CDU hat bisher auf seine Anfrage nicht geantwortet.
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