Im Vorfeld der Stadtratswahlen in Leipzig werden wahrscheinlich viele Wahlkampf-Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien geführt. Wir fanden es interessant, bei einigen Stadträtinnen und Stadträten, die ihre erste Legislaturperiode im Stadtrat hatten, nachzufragen, wie sie diese Jahre erlebt haben.
Olga, schön, dass wir uns hier treffen können. Ja, du bist ja 2019 in den Stadtrat gekommen. Hast du auch noch einen richtigen Beruf? Erzähl uns einfach mal ein bisschen was über dich.
Ja, erstmal vielen Dank für die Einladung, Thomas. Wer bin ich? Ich bin Olga, ich bin 34 Jahre alt, ich habe Physik studiert und aktuell arbeite ich bei den Leipziger Stadtwerken und bin zuständig für alle Technologieprojekte, die wir als ein zukünftiges Marktsegment sehen, wie zum Beispiel Wasserstoffprojekte, Batterieprojekte und alles, was auch Kooperation mit Universitäten anbelangt.
Du hast dich ja 2019 zur Wahl zum Stadtrat aufstellen lassen. Was hat dich damals dazu bewogen? Was waren deine Gründe?
Ja, lange Geschichte. Ich war während meiner Promotion Stipendiatin. Und als Stipendiat, das klingt erstmal so schön, ist man aber tatsächlich mit einem recht geringen Brutto abgespeist und ist auch nicht sozialversicherungspflichtig irgendwo angestellt. Und es hat mich damals schon sehr, sehr gestört. Ich habe an einem Leibniz-Institut promoviert und dann kamen andere Doktoranden aus der Max-Planck und vom Helmholtz zu uns und haben gesagt: Mensch, wollt ihr nicht mal ein Doktorandennetzwerk aufbauen, mit uns gemeinsam?
Und ich hatte dann eine recht gute, tolle Zeit mit anderen Doktoranden, wo wir, wie gesagt, für die Leibniz-Gemeinschaft ein Doktorandennetzwerk aufgebaut haben und dann noch gemeinsam mit Helmholtz und Max-Planck nicht nur dafür sorgen konnten, dass Doktoranden einfach mal die Möglichkeit haben, sich besser untereinander zu vernetzen.
Und auch immer nicht nur festzustellen: Wie sind denn eigentlich normale Arbeitsbedingungen, sondern wir haben es auch geschafft, teilweise bei gewissen Instituten die Arbeitsbedingungen, also sprich die Arbeitsverträge für die Doktoranden, zu verbessern.
Beispiel bei mir: Ich hatte während meiner Promotionszeit elf 3-Monatsverträge, das betrifft sehr viele Wissenschaftler und das wollte ich ändern. Und im Doktorandennetzwerk konnte ich da auch ganz gut wirksam sein. Und als dann meine Promotionszeit vorbei war, brauchte ich ein neues Projekt. Ja, das Projekt war Stadtrat.
Du bist also praktisch über den Vorgänger von „Ich Bin Hanna“ dahingekommen?
Ja, genau, richtig. Ja, das war ein guter Weg.
Als du in den Stadtrat gekommen bist, hattest du bestimmt ein paar Pläne, was du für Leipzig machen könntest. Jetzt wurdest du gewählt und wurdest mit der Stadtratsrealität konfrontiert. Was machst du im Stadtrat? Was sind deine Hauptgebiete und wie sieht es mit Realität und damaliger Vorstellung aus?
Ja, ich glaube, ich spreche da auch für andere Stadträte, wenn ich sage, dass ich mir den Aufwand deutlich geringer vorgestellt habe und auch die Komplexität des Stadtrats. Also sprich, wie funktioniert die Verwaltung, wie funktionieren die Ausschüsse, was sind diese ganzen Geschäftsordnungen, wer redet mit wem, wer hat was wo zu sagen, welche Schraube kann man überhaupt drehen?
Das ist glaube ich das, was man erst mal herausfinden muss, und das hat mich auch einige Zeit gekostet, herauszubekommen, welche Schraube überhaupt drehbar ist in der Verwaltung oder in der Stadt. Ich bin im Stadtrat bei uns in der Fraktion zuständig für Wirtschaftspolitik, sitze im Wirtschaftsausschuss, im Finanzausschuss und auch im Betriebsausschuss der Stadtreinigung.
Was hattest du eigentlich für Pläne?
Genau, was hatte ich für Pläne? Tatsächlich waren meine Pläne damals, wie soll ich sagen, sie haben nicht ganz die Ebene der Kommune getroffen. Ich kam aus dem Thema Arbeitnehmerrechte und Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler.
Ich wollte mich auch im Bereich der Bildung und Forschung stärker engagieren und habe dann festgestellt, dass Bildung und Forschung ja überhaupt kein kommunales Thema ist.
Weshalb ich mich dann auch aufgrund meiner Tätigkeit, damals in der Automobilindustrie, sehr stark in das Thema Wirtschaftspolitik vertieft habe, weil mich dieses nach wie vor bestehende Problem zwischen Ost und West beschäftigt: dass hier die Löhne geringer sind, dass es hier nicht ausreichend Konzernsitze gibt, dass hier nach wie vor Fachkräfte abwandern, weil es hier nicht ausreichend Arbeitsplätze gibt, beziehungsweise keine Arbeitsplätze, die Entwicklung für junge Talente bieten. Und das ist auch das, womit ich mich seit einiger Zeit beschäftige.
Aus eigener Erfahrung weiß ich ja noch: Stadtratsarbeit ist ganz viel Papierarbeit, sprich Akten, eigene Vorschläge, Verwaltungsstandpunkte und so weiter und so fort. Wenn man es in Papier machen würde, würde man einen riesigen Berg vor sich herschieben. Wie viel Zeit wendest du denn so wöchentlich für die Stadtratsarbeit auf?
Ich würde sagen, ein guter Durchschnitt sind 20 Stunden die Woche. Also, es ist ein umfangreiches Hobby. Ja, sehr umfangreich.
Jetzt hast du ja noch einen Beruf, du bist bei einem kommunalen Betrieb. Trotzdem ein Unternehmen, welches am freien Markt wirkt. Wie steht denn die Firmenleitung, wie stehen Kollegen und Kolleginnen und wie steht deine Familie zu deiner Stadtratstätigkeit? Wie äußern die sich dazu, dass du dich überhaupt politisch engagierst, egal für welche Partei?
Also zunächst einmal kann ich sagen, meine Familie und mein Partner unterstützen mich sehr. Ja, da habe ich ganz, ganz großes Glück. Mein Freund hängt sogar mit mir Plakate auf, zu Parteiversammlungen geht er noch nicht. Ich würde sagen, im Freundeskreis, in dem Umfeld sehen das eigentlich alle ganz entspannt.
Wobei ich schon merke, dass häufig Verwunderung darüber herrscht, bei der Linken zu sein. Und es wird häufig unterschätzt, wie viele Linke es in der Stadt Leipzig gibt. Im Beruf ist es so, dass ich meine Stelle angetreten habe, als ich bereits Stadträtin war. Das heißt, meine Chefs wussten, was sie bekommen. Sie haben also keine Katze im Sack gekauft.
Du bist nicht aus der Vollberufstätigkeit heraus gewählt worden, sondern wurdest schon als Stadträtin eingestellt.
Richtig. Wobei, davor hatte ich tatsächlich einen anderen Beruf, der teilweise auch in Niedersachsen war. Und das war dort natürlich schwer zu vermitteln. Also die haben das verstanden und akzeptiert, aber es war schon so, dass es deutlich schwerer in Einklang zu bringen war.
In meinem jetzigen Job geht es nicht darum, Stunden zu schreiben, sondern eine gewisse Leistung zu erbringen, ein gewisses Arbeitsergebnis. Wann ich dieses Arbeitsergebnis erbringe und ob ich 17 Uhr dann in der Stadtratssitzung sitze, das spielt keine Rolle. Hauptsache, ich mache meinen Job und das erfordert dann aber auch teilweise, dass man bis sehr spät in den Abend arbeitet oder halt auch am Wochenende.
Letzte Frage: Es stellen sich jetzt viele Neue zur Stadtratswahl auf. Menschen, die keine Erfahrungen damit haben. Was würdest du denen mit auf den Weg geben? Was sollen sie beachten und welche Illusionen können sie sich vielleicht von vornherein abschminken?
Also die Illusionen, die sie sich abschminken können, glaube ich, das ist, dass jede Sitzung spannend ist. Worauf man sich schon mal vorbereiten kann ist, dass man sehr, sehr viel sitzen wird. Also wirklich sitzen im wahrsten Sinne des Wortes.
Und was ich ihnen als Rat mit auf den Weg gebe: Alle Informationsversammlungen und Schulungen, die ja am Anfang vorhanden sind, wirklich mitzunehmen, weil die Verwaltung kompliziert ist und wenn man die Geschäftsordnungen gut versteht, dann hat man schon einen großen Vorteil.
Ansonsten: Der beste Tipp ist, mit allen reden, parteiübergreifend, Freundschaften schließen, Allianzen bilden. Stadtrat ist auch eine coole Sache und man wird dort auch Freunde, nicht nur in der eigenen Partei, finden und Spaß haben. Also es nicht als Belastung empfinden. Wenn es eine Belastung ist irgendwann, dann ist es wahrscheinlich nicht das richtige Hobby.
Olga, ich danke dir für das Gespräch.
Transparenzhinweis: Transparenzhinweis: Der Autor dieses Textes und Interviewer war von 2019 bis zu seinem Rücktritt 2022 selbst für die Piraten Mitglied im Leipziger Stadtrat. Für diese Interview-Reihe fragte er sämtliche dortigen Fraktionen bis auf die AfD an. Die CDU hat bisher auf seine Anfrage nicht geantwortet.
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