Es war eine schwere Geburt. Vielleicht nicht ganz so dramatisch, wie es Piraten-Stadträtin Ute Elisabeth Gabelmann in ihrer Rede zum Stadtplatzprogramm am 13. März in der Ratsversammlung schilderte. Aber man merkte schon, dass Stadt-, Dorf- und Gartenplätze in Leipzig in den vergangenen Jahrzehnten immer die Stiefkinder der Stadtpolitik gewesen sind. Und wenn mal ein Platz neu gebaut wurde, ging es fast immer schief.
Weshalb die Grünen-Fraktion 2020 erstmals den Antrag für ein Stadtplatzprogramm stellte. Aus sehr aktuellen Gründen, denn seit 2018 machten die Hitzesommer vielen Stadtbewohnern klar, dass es künftig in Leipzig kaum noch auszuhalten sein wird, wenn die Stadt nicht grüner und klimaangepasster wird. Weshalb viele versiegelte Stadtplätze entsiegelt und mit viel mehr Grün besetzt werden müssen.
Aber auch auf die zunehmenden Wasserprobleme muss reagiert werden. Und die Plätze brauchen Aufenthaltsqualitäten, wie sie viele Parks und Grünanlagen schon haben.
Nur zeigte sich ausgerechnet bei der Arbeit am Stadtplatzprogramm, dass viele Ämter in der Verwaltung in unterschiedliche Richtungen ziehen. Selbst in den Ausschüssen des Stadtrates müssen die Wortmeldungen der Verwaltung geradezu widersprüchlich ausgefallen sein, wie SPD-Stadtrat Andres Geisler in der Debatte am 13. März anmerkte.
Und mit kritischen Worten hielt auch Linke-Stadtrat Oliver Gebhardt nicht hinterm Berg, denn letztlich beauftragt hat die Ratsversammlung die Stadt im Jahr 2022, ein solches Stadtplatzprogramm zu erarbeiten. 2023 soll es sogar schon vorgelegen haben und in den Fachausschüssen massive Kritik geerntet haben, weil es sich letztlich nur auf innerstädtische Plätze fokussierte, die Dorf- und Gartenplätze aber hinten herunterfielen.
138 Plätze in der Pipeline
Die wichtigsten Streitpunkte wurden am 13. März in der Debatte noch einmal deutlich. Immerhin hatte das federführende Baudezernat eingelenkt und inzwischen auch die Dorf- und Gartenplätze mit aufgenommen, sodass Baubürgermeister Thomas Dienberg ankündigen konnte, dass jetzt auch 33 Gartenplätze und 13 Dorfplätze mit untersucht werden.
Womit die Zahl der Plätze, die die Stadt unbedingt aufwerten muss, jetzt auf 138 gestiegen ist. Wobei gerade bei Dorf- und Gartenplätzen oft geringe Investitionen reichen, um den Platz wieder nutzbar zu machen.
22 Plätze hat die Vorlage der Stadt priorisiert. Die sollen alle bis 2030 bearbeitet werden. Dass der Rest dann bis 2070 dauern könnte, fand dann Grünen-Stadtrat Dr. Tobias Peter zumindest kritisch zu bedenken. Neun Plätze sollen sogar schon bis 2026 überarbeitet werden. Aber dann wird’s dünn. Denn wann dann die nächsten in die Planung kommen, ist der städtischen Vorlage nicht zu entnehmen.
Die Fraktionen von Linken, Grünen und SPD schrieben deshalb im Vorfeld einen ganzen Packen Änderungsanträge. Weil sie sich aber im Wesentlichen einig waren, haben sie ihre Wünsche dann in einen gemeinsamen Antrag gepackt, der dann am 13. März auch zur Abstimmung kam. Auf Wunsch der CDU-Fraktion in punktweiser Abstimmung. Was aber am Gesamtergebnis nichts änderte. Das gesamte Antragspaket von Linken, Grünen und SPD bekam Zustimmung.
Womit dann auch das komplette Stadtplatzprogramm beschlossen war.
Klimaschutz ist keine Ideologie
Der CDU-Antrag hatte es etwas schwerer. Einen Teil des Antrags zum Verfahren konnte OBM Burkhard Jung übernehmen. Die gewünschte Trennung von Stadtplatz- und Dorfplatzprogramm aber fand keine Mehrheit.
Beides soll – so wollten es ja auch Linke, Grüne und SPD – künftig aus einer Hand gesteuert werden, auch wenn – wie OBM Jung betonte – zwei verschiedene Fachämter ja nach Anliegen die Federführung haben: für Stadtplätze das Stadtplanungsamt, für Gartenplätze das Amt für Stadtgrün und Gewässer.
Dass der AfD-Änderungsantrag mit seinem Versuch, die Klimabelastung der Stadt einfach zu „Ideologie“ (Udo Bütow) zu erklären, von der demokratischen Mehrheit im Stadtrat abgelehnt wurde, versteht sich eigentlich von selbst. Scheinbar lebt kein einziger AfD-Stadtrat in der im Sommer völlig überhitzten Stadt.
Eine gewisse Erleichterung, obwohl es am Ende doch wieder eine Rumpeltour wurde, war dann aus den Fraktionen von Grünen, Linken und SPD zu vernehmen, die froh waren, dass in der Ratsversammlung am 13. März das Stadtplatzprogramm 2030+ inklusive des Änderungsantrags der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und SPD beschlossen wurde. Damit gehe die Stadt einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der öffentlichen Plätze als ökologisch wertvolle Aufenthalts- und Begegnungsorte für die Bürgerinnen und Bürger.
Die Ortschaften gucken nicht in die Röhre
Linken-Stadtrat Oliver Gebhardt, Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Klima und Ordnung, erklärte dazu: „Jede Leipzigerin und jeder Leipziger verdient ein lebenswertes Wohnumfeld. Dazu gehören zweifelsohne auch einladende Plätze mit vielfältigen Angeboten für die Einwohnerinnen und Einwohner. Mit dem fraktionsübergreifenden Änderungsantrag haben wir erfolgreich dafür gesorgt, dass die Ortschaften in der Stadtentwicklung nicht zum wiederholten Male in die Röhren gucken müssen.
So waren in der ursprünglichen Vorlage der Verwaltung fast ausschließlich innerstädtische Plätze zur Umgestaltung aufgelistet. Durch die nun beschlossenen Änderungen wird es uns gelingen, mindestens zwei Garten- und Dorfplätze pro Jahr aufzuwerten. Als Linke sind wir davon überzeugt: Wir müssen die Stadt als Ganzes sehen.“
Und auch Tobias Peter, wohnungs- und stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, zeigte sich erleichtert: „Das von uns bereits 2020 mit einem Haushaltsantrag initiierte Stadtplatzprogramm ist uns ein Herzensanliegen. Durch Neuaufteilung des öffentlichen Raums, mehr Begrünung, Sitzmöglichkeiten und anderem mehr können Stadtplätze zu Begegnungsorten mit hoher Aufenthaltsqualität werden.
Mit den vorgeschlagenen Komplett- und Teilumbaumaßnahmen von Stadtplätzen wird sich in den nächsten zehn Jahren das Gesicht unserer Stadt spürbar und sichtbar verändern. Mit der Umsetzung der verbleibenden Stadtplätze wollen wir die Bürgerinnen und Bürger nicht Jahrzehnte warten lassen. Deshalb haben wir die Verwaltung beauftragt, sogenannte Pop-up-Stadtplätze als Kurzfristmaßnahmen auf den Weg zu bringen.
Ein weiterer wichtiger Punkt aus unserer Sicht: Klimaanpassung hat bei der Umsetzung von Stadtplätzen höchste Priorität. Daher haben wir per Ratsbeschluss ein klares Rahmenwerk für Klimaanpassung von Stadtplätzen beauftragt. Stadtplatzumbau mit Entsiegelung und Begrünung einhergeht.“
Und Anja Feichtinger, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, erklärte: „Die Vorlage eines Stadtplatzprogrammes für Leipzig begrüßt die SPD-Fraktion grundsätzlich, auch wenn der Weg der Verwaltung zur Vorlage ziemlich kompliziert und lang war.
Die Neuaufnahme von Pop-up-Plätzen in die Umsetzung versetzt die Stadt Leipzig zudem in die Lage, kurzfristig in Quartieren neue Formen der Straßenraumgestaltung durch Aufbringen von Farbe und Möblierungen auszuprobieren, Flächen an den Klimawandel anzupassen und somit schnell nutzbar zu machen.
Die Federführung für die weitere Bearbeitung und Umsetzung soll beim Stadtplanungsamt liegen, damit die Bürgerinnen und Bürger hoffentlich zeitnah auch erste Verbesserungen sehen können.“
Es gibt 2 Kommentare
Wohin zieht dann eigentlich der wöchentlich 2x stattfindende Wochenmarkt am Bayrischen Platz? Wertungsfreie Frage, die vielleicht noch auf andere Stadtplätze zutrifft und somit die Nahversorgung von Anwohnern beeinträchtigen könnte.
Wissen Sie, lieber Autor, genauer, in welcher Art und Weise nun der “Plagwitzer Rathausplatz” seiner Begrünung im nicht mehr ganz fernen Jahr 2026 entgegensieht? Bäume, zum Teil steinalte, hat der Platz, Gebüsch ebenfalls. Ein Mittelteil um etliche Bänke ist seit Menschengedenken befestigt. Daß man den Platz nach Jahrzehnten auch mal wieder verschönern könnte ist offensichtlich. Daß dort aber nun ein Kiezgewimmel aufblühen würde, sobald hier eine Renovation stattgefunden haben wird, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Hingegen für außerst wahrscheinlich halte ich, daß ab 2026 rund um den Platz ein generelles Halteverbot für Kfz erlassen werden wird. So geht Begrünung! Weil es sonst “künftig in Leipzig kaum noch auszuhalten sein wird, wenn die Stadt nicht grüner und klimaangepasster wird”, wie Sie, lieber Autor, schreiben.
Zudem frage ich mich, ob Oliver Gebhardt seinen Satz “Jede Leipzigerin und jeder Leipziger verdient ein lebenswertes Wohnumfeld.” nicht auch etwas zu dramatisiert empfindet, lauschte er seinen Worten einmal selbst nach? Ähnlich beim weiteren Satz “Als Linke sind wir davon überzeugt: Wir müssen die Stadt als Ganzes sehen.” “Was sonst?!” möchte man ihn zurückfragen.
Was allerdings, lieber Autor, der von Ihnen besonders geschätzte Dr. Tobias Peter mit “Pop-up-Stadtplätzen” überhaupt meint, die er “als Kurzfristmaßnahmen auf den Weg bringen” will, ist Ihnen keine eigene Silbe wert. Dafür lassen Sie die Sozialdemokratin Anja Feichtinger zu Wort kommen: die spricht plötzlich von “Pop-up-Plätzen”, in denen es gelte, “kurzfristig in Quartieren neue Formen der Straßenraumgestaltung durch Aufbringen von Farbe und Möblierungen auszuprobieren, Flächen an den Klimawandel anzupassen und somit schnell nutzbar zu machen.”
Unter Begrünung hatte ich mir weder Farbe noch Möblierungen vorgestellt, und wie “Flächen an den Klimawandel anzupassen” gingen, bleibt eigener Phantasie überlassen. Derlei Seltsam- und Schwammigkeit stört aber weder die Rednerin noch Sie, lieber Autor. Und genau das macht mir Angst: Es wird ein nur unzureichend logisches Szenarium aufgebaut, in dem es den Protagonisten reicht, Effekthascherei auszuleben: Hauptsache bunt, Parklets am Bordstein, und außerdem Halteverbote. Dann bleibt Hitze fort? Ãœberlegen wir nochmal.
Ja, es gibt todtraurige steinerne Plätze in Leipzig. Und es nicht meine Schuld, daß “Am Brühl” alles steinern ist. Aber wenn die von Ihnen gebrachten Zitate das argumentative Niveau im Stadtrat tatsächlich widerspiegeln, woran zu zweifeln ich keinen Anlaß sehe, dann geht es dem Stadtrat nicht gut. Und uns Großstädtern bald auch nicht besser als jetzt.