Das Artensterben ist auch längst in Leipzig nachweisbar. Das zeigte eine ausführliche Antwort des Amtes für Umweltschutz auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Dezember. Einer kurzen Liste über Verbesserung von Beständen steht eine lange Liste zunehmender Verluste und Gefährdungen gegenüber. Und das Amt sagt auch deutlich, was helfen könnte: Es muss neue Schutzgebiete geben und bestehende Schutzgebiete müssten erweitert werden.

Denn wo der Mensch alles in Anspruch nimmt und alles übernutzt, haben die meisten Tier- und Pflanzenarten nur eine Chance, wenn sie Schutzräume bekommen, in denen der Mensch sie einfach mal in Ruhe lässt. Oder mit den Worten des Amtes für Umweltschutz: „Ein Mittel, dieser Entwicklung zu begegnen, ist die Ausweisung neuer oder die Erweiterung bestehender Schutzgebiete. So sind die Ausweisung eines neuen Naturschutzgebietes‚ Bläulingswiese und Vorholz bei Holzhausen‘ und die Erweiterung und Neuausweisung weiterer Landschaftsschutzgebiete in Vorbereitung.

Aufgrund der durch die untere Naturschutzbehörde prioritär zu bearbeitenden Genehmigungs- und Wiederherstellungsverfahren kommt es hierbei allerdings immer wieder zu Verzögerungen dieser zeitintensiven Prozesse, die im Vergleich zu den anderen, mit hohem Termindruck versehenen gesetzlichen Pflichtaufgaben regelmäßig nur nachrangig vorangetrieben werden können.“

Das klingt nicht gut. Erst recht nicht, wenn man auf die beiden Listen schaut, die das Amt für Naturschutz mitgegeben hat.

Die positive und negative Entwicklungen aus Sicht des Amtes für Naturschutz

Die positiven:

– Etablierung eines Vorkommens der Europäischen Wildkatze (Felis silvestris) im nördlichen Auwald

– Etablierung einer Population des Fischotters

– Etablierung einer Biberpopulation auf dem Stadtgebiet

– Neuetablierung einer Population Baummarder in den Leipziger Wäldern

– Verbesserung der Fließgewässerqualität und daraus resultierend die Erholung zahlreicher Fischbestände und Libellenarten

Und daneben die negativen Entwicklungen:

– Aussterben des Feldhamsters in freier Natur auf dem Stadtgebiet sowie mutmaßlich vieler weiterer Arten

– Der Arten- und Individuenschwund ist unter den Wirbeltieren aktuell bei den Amphibien am stärksten wahrzunehmen: Hier haben sich die Individuenzahl sowie die Artenzahl seit dem Hitzesommer 2018 enorm verringert. Viele Arten aus dieser Gruppe sind nur noch mit wenigen Einzelindividuen im Stadtgebiet nachweisbar und stehen voraussichtlich kurz vor dem Aussterben. Schutzbemühungen zielen daher bereits auf den Erhalt und die Förderung der bis vor wenigen Jahren noch als „Allerweltsarten“ bekannten Arten wie z.B. „Erdkröte“ und „Grasfrosch“ ab.

– Der Schutz von Amphibiengewässern stellt sich jedoch schwierig dar. So fehlt häufig bereits schlichtweg Niederschlag. Ebenso stellt sich die zunehmende Eutrophierung der wenig verbleibenden Standgewässer als wenig hilfreich dar. Im Gegenteil stellen die daraus resultierenden notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen den Amphibienschutz abermals vor Herausforderungen.

– Für viele Arten besteht zudem das Risiko der Einschleppung und Ausbreitung von bisher hier nicht verbreitenden Krankheitserregern, auf die die Lokalpopulationen keine Anpassung vorweisen können. Dies kann zu erheblichen Bestandseinbrüchen bei den betroffenen Arten führen. (z.B. Chitridpilz/Batrachochytrium dendrobatidis, Batrachochytrium salamandrivorans).

– Durch die zunehmende Landschaftszerschneidung und Isolation von Teilpopulationen ist auch von einer Reduktion an genetischer Diversität innerhalb vieler Arten auszugehen. Des Weiteren wird durch die Zerschneidungseffekte die Wiederbesiedlung potenziell geeigneter Habitate erschwert. Dies macht sich bei der Artengruppe der Amphibien auch zunehmend besonders bemerkbar. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wird aktuell eine Biotopverbundplanung durch die Stadt durchgeführt.

– Zunehmende Eutrophierung und daraus resultierend eine Gefährdung zahlreicher geschützter Biotopstandorte.

– Zunehmender Nutzungsdruck auf die städtischen Grünflächen (z.B. Sport- und Kulturveranstaltungen)

– Zunehmende Gefährdung des Leipziger Gewässersystems durch erhöhten Nutzungsdruck sowie die Gefährdung vormals isolierter Ökosysteme durch die Herstellung von Gewässerverbindungen mit Gefahr der Ausbreitungsbegünstigung invasiver Arten

– Ausbreitung und Einfluss invasiver Arten auf die bestehenden Ökosysteme

Daten gibt es nur zu wenigen Arten

Ein Problem, das das Amt für Umweltschutz hat: Es hat nur ganz wenige im Stadtgebiet vorkommende Arten überhaupt valide Daten. Auf die Frage der Grünen-Fraktion, wie das Amt den Rückgang der Vogelbestände in der Stadt einschätzt, kann das Amt nur mit den Schultern zucken. Es gibt keine verlässlichen Daten.

Und das trifft auf die meisten der im Stadtgebiet nachgewiesenen Arten zu: „Derzeit existiert kein umfassendes Monitoring von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten im Stadtgebiet von Leipzig. So liegen z.B. bei den über 10.000 in Leipzig vorkommenden Insektenarten nur bei einzelnen Gruppen (u. a. den Tagfaltern, Libellen, Heuschrecken und Wildbienen) Daten zur Bestandssituation vor.“

Dabei werden in einzelnen Insektengruppen auch durchaus Arten nachgewiesen, die neu nach Leipzig eingewandert sind, aber nicht als invasiv gelten. Denn natürlich besetzen auch heimische Arten Nischen, die neu entstanden sind oder in denen andere Arten verloren gegangen sind.

Aber auch Arten, die nach EU-Einordnung als invasiv gelten, wurden in Leipzig inzwischen nachgewiesen. Diese Liste ist schon erstaunlich lang:

– Waschbär (Procyon lotor)
– Marderhund (Nyctereutes procyonoides)
– Nutria (Myocastor coypus)
– Bisam (Ondatra zibethicus)
– Schwarzkopf-Ruderente (Oxyura jamaicensis)
– Nilgans (Alopochen aegyptiacus)
– Blaubandbärbling (Pseudorasbora parva)
– Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus)
– Kamberkrebs (Faxonius limosusi)
– Marmorkrebs (Procambarus virginalisiii)
– Roter Amerikanischer Sumpfkrebs (Procambarus clarkii)
– Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera)
– Gewöhnliche Seidenpflanze (Asclepias syriaca)
– Götterbaum (Ailanthus altissima)
– Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum)
– Rundblättriger Baumwürger (Celastrus orbiculatus)
– Schmalblättrige Wasserpest (Elodea nuttallii)
– Wassersalat (Pistia stratiote)
– Verschiedenblättriges Tausendblatt (Myriophyllum heterophyllum)

Dazu kommen noch der Japanische Staudenknöterich (Fallopia japonica), die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) und die Armenische Brombeere (Rubus armeniacus), die in der Liste der invasiven Arten der EU nicht gelistet sind.

Insbesondere Amphibien sind bedroht

Aber einige der invasiven Arten sind längst zu einem massiven Problem für die heimische Artenvielfalt geworden, wie das Amt für Umweltschutz erläutert: „Unter den invasiven Tierarten stellen für die Leipziger Stadtfauna der Waschbär und die Nilgans die bislang größten Gefahren dar. So werden die durch die anhaltende und besonders im Frühjahr problematische Trockenheit ohnehin zusammengebrochenen Amphibienbestände durch den Waschbären gezielt bejagt und an der Reproduktion gehindert.

Dies beschleunigt das Aussterben von Amphibien-Arten im Stadtgebiet deutlich. Auch für die verbleibenden Amphibienarten sieht die Prognose düster aus. Aber auch für Vögel und Fledermäuse stellt der Waschbär eine große, anhaltende Bedrohung dar. So ist es für ihn ein Leichtes, Nist- und Quartierhöhlen auszuräumen und somit in kürzester Zeit enorme Bestandseinbrüche bei Vogel- und Fledermausarten einzuleiten.

Horste, die mittels Baum-Manschette vor dem begabten Kletterer bewahrt werden können, lassen sich jedoch nicht gegen ein Anlanden der Nilgans sichern. Aber auch weniger sichtbare Arten, wie z.B. der Mink, bereiten der städtischen Fauna sehr wahrscheinlich große Probleme.“

Bei all diesen Entwicklungen ist aber die Stadt auf die Zuarbeit der Umweltverbände angewiesen. Denn: „Die Stadt Leipzig betreibt aufgrund insoweit nicht vorhandener Ressourcen kein eigenes regelmäßiges und flächendeckendes Monitoring der Biodiversität im Stadtgebiet.“

Bitte, gebt uns Daten!

Die Erfassung bedrohter Arten erfolgt nur anlassbezogen. Fast wie ein Hilferuf klingt es, wenn das Amt schreibt: „In diesem Zusammenhang gelang es der unteren Naturschutzbehörde der Stadt Leipzig im Jahre 2023, alle wesentlichen städtischen Planungsträger zu überzeugen, künftig im Rahmen von beauftragten Gutachten gewonnene Artdaten der unteren Naturschutzbehörde und der Zentralen Artdatenbank Sachsens bereitzustellen. Dies wird langfristig dazu beitragen, bessere Kenntnis des Artenbestands im Stadtgebiet zu erhalten.“

Was einmal mehr zeigt, wie lückenhaft die Kenntnisse über die im Stadtgebiet vorkommenden Arten tatsächlich sind. Kein Wunder, dass sich viele Bauträger nicht einmal darum kümmern und ihre Baugrundstücke auch mitten in der Vegetationsperiode abholzen lassen. Nur ja nicht riskieren, dass hier irgendwelche geschützten Arten nachgewiesen werden könnten.

Dass die Stadt mit einzelnen Artenschutzmaßnahmen dabei auf einige konzertierte Aktionen Leipziger Umweltverbände reagiert, wird deutlich, wenn das Amt für Umweltschutz anmerkt: „Auf Basis der bisherigen Daten und den zugrunde liegenden Bestandsentwicklungen werden durch die untere Naturschutzbehörde aktuell zielgerichtete, konkrete Artenschutzmaßnahmen geplant. So ist beispielsweise aktuell eine neue Allgemeinverfügung zum Schutz gefährdeter Brutvogelarten in Arbeit.

Darüber hinaus kooperiert die untere Naturschutzbehörde mit dem Amt für Stadtgrün und Gewässer bei der Entwicklung gezielter Maßnahmen zur Aufwertung ausgewählter Standgewässer zum Schutz und zur Förderung von Insekten und Amphibien. Ebenso kooperiert die untere Naturschutzbehörde aktuell mit dem Verkehrs- und Tiefbauamt bei der Etablierung neuer bzw. der Aufwertung bestehender Fledermausquartiere sowie beim Monitoring bestehender Quartiere in städtischen Infrastrukturobjekten.“

Das klingt so einfach, scheitert aber immer wieder im bürokratischen Dickicht: „Aufgrund der durch die untere Naturschutzbehörde prioritär zu bearbeitenden Genehmigungs- und Wiederherstellungsverfahren kommt es hierbei allerdings immer wieder zu Verzögerungen dieser zeitintensiven Prozesse, die im Vergleich zu den anderen, mit hohem Termindruck versehenen gesetzlichen Pflichtaufgaben regelmäßig nur nachrangig vorangetrieben werden können.“

Wie sensibilisiert man die Leipziger für die bedrohte Biodiversität?

Aktuell arbeite die Stadtverwaltung an einer Aktualisierung der Biotoptypenkartierung, bei der dann auch einzelne Artengruppen berücksichtigt werden sollen.

Denn schützen kann man nur, was sichtbar gemacht wurde. Und was auch den Bewohnern der Stadt als lebendige Umwelt bekannt ist.

„Eine grundsätzliche Strategie, bzw. ein grundsätzliches Konzept für die Sensibilisierung der Bevölkerung zur Biodiversitätskrise existiert in der Stadt Leipzig bisher nicht“, schreibt das Amt für Umweltschutz, listet dann aber eine ganze Reihe Projekte auf, mit denen die Stadtbewohner für einzelne Aspekte der Biodiversität im Stadtgebiet sensibilisiert werden – von der Naturschutzwoche über die Auwaldstation, Blühstreifen und Blühwiesen und das Kommunikations- und Bildungsprojekt „VielFalterGarten“ bis zur Mitgliedschaft bei den „Kommunen für Biologische Vielfalt e.V.“

Aber am Ende bleibt die Feststellung der Grünen-Fraktion stehen: „Der Naturschutzbund sieht für Leipzig beispielsweise einen deutlichen Rückgang der Population der ‚Allerweltsart‘ der Feldsperlinge und spricht insgesamt durch das Verschwinden von ökologischen Nischen und verändernden Lebensbedingungen von einer schrumpfenden Stadt.

Auch wenn die Stadt mit einzelnen Programmen wie der Biotopverbundplanung und dem Maßnahmenkatalog Bienenschutz versucht gegenzusteuern, zeichnet sich ein weiterer Verlust an biologischer Vielfalt ab.“

Viele einzelne Projekte ersetzen kein Gesamtbild der Biodiversität in Leipzig. Und gerade das Monitoring wichtiger Allerweltsarten wie der Sperlinge fehlt. Genauso wie ein tragender Ansatz für einen Schutz der Biodiversität mitten in der Stadt, wo eben auch der Verlust wichtiger Biotope und Grünstrukturen immer weiter geht.

Oft eben leider – wie am Ufer der Weißen Elster – mit Zustimmung des Amtes für Umweltschutz. Da kann man sich dann mit Personalmangel nicht mehr herausreden.

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Das Amt für Umweltschutz hat keine Daten und keine Ahnung was Sie in ihren Büros überhaupt machen sollen. Großes Kino.

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