An diesem Abend des 16. November hatte sich Leipzigs Ratsversammlung schon gewaltig ausgedรผnnt. Das sind Momente, an denen man merkt, dass Stadtratsarbeit ehrenamtliche Arbeit ist und fast alle Ratsmitglieder noch einen ganz normalen Vollzeitjob und familiรคre Verpflichtungen haben. Ganz kurz schien deshalb die notwendige Zahl fรผr regulรคre Abstimmungen abhandenzukommen. Aber fรผr die Vorlagen fรผr bauliche Standards fรผr Sporthallen und Schulen reichte es dann doch noch.
Beide Vorlagen โ die zu Schulen und die zu Sporthallen โ wurden gemeinsam aufgerufen, denn im Grunde ist es derselbe Baukomplex. Neue Sporthallen entstehen fast ausschlieรlich im Zusammenhang mit neuen Schulbauten. Und fรผr beide Arten Bauobjekte zeigten die vergangenen sechs Jahre, dass sich die Ansprรผche deutlich gewandelt haben, wie auch Baubรผrgermeister Thomas Dienberg bei der Vorstellung der Vorlagen feststellte.
Gerade die neuen Schulbauten, sie seitdem entstanden sind, sind eindrucksvoll und nehmen auch Stadtrรคtinnen und Stadtrรคten, die sie besuchen, immer wieder den Atem. Mancher wird sicher auch neidisch dreingeschaut haben, denn รผber solche Bedingungen zum Lernen hรคtte man sich in der eigenen Schulzeit, die in der Regel in den kasernenรคhnlich angelegten Schulbauten der Grรผnderzeit vonstattenging, selbst gefreut.
In der Diskussion an diesem 16. November fiel dann auch die Formel vom Schulgebรคude als โdritte pรคdagogischer Kraftโ. Jeder weiร das: In gut gebauten Gebรคuden arbeitet man lieber und lernt es sich besser. Sie sind wie ein Signal an unser Gehirn, dass wir hier โ frei nach Goethe โ Mensch sind und es sein dรผrfen. Was eigentlich auch ein Grundmotiv in der Diskussion an diesem Abend war, in der es eigentlich nur um die beiden Informationsvorlagen von Baudezernat und Schuldezernat ging, in denen sie ihre neuen Leitlinien zum Bauen von Schulen und Sporthallen in Leipzig niederlegten.
Klimawandel und Artensterben endlich ernst nehmen
Die letzten Standardsetzungen waren noch gar nicht so alt, wurden erst 2017 vom Stadtrat verabschiedet. Aber seitdem hat auch der Klimawandel zu neuen Extremen auch in Leipzig gefรผhrt (Hitze und Dรผrre) und die Zivilgesellschaft hat immer รถfter Alarm geschlagen, weil beim Bauen in Leipzig immer mehr Grรผn und wertvolle Biotope verschwunden sind.
Die Vorlagen fassen das Ziel kurz so zusammen: โDie Stadt Leipzig hat sich zum Ziel gesetzt, Planungsgrundsรคtze fรผr รถffentliche Gebรคude zu entwickeln, die Planern als Grundlage fรผr Ihren Entwurf dienen sollen. Funktionalitรคt, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit stehen an vorderster Stelle. Ein wichtiges Ziel ist die Optimierung der Bewirtschaftungskosten. Die Fassung von 2017 wurde aktualisiert und um zwei weitere Anlagen ergรคnzt: zum einen um die Anlage zur Barrierefreiheit in Schulen und Sporthallen und zum anderen um die Anlage zur Freianlagenplanung fรผr Schulen und Sporthallen.โ
Grรผne, Linke und SPD hatten trotzdem noch einen Berg von รnderungsantrรคgen geschrieben, weil ihnen die Vorlagen nicht weit genug gingen.
So wie bei den Sporthallen, die die Stadt eigentlich gern weiter eingeschossig bauen wollte und eine Stapelbauweise lieber nur bei Bedarf prรผfen wรผrde. Ein Denken, das nach Ansicht der Linksfraktion so nicht mehr zeitgemรคร ist, wo die Stadt sowieso schon kaum noch freie Flรคchen zum Bauen findet. Da sollte bei neuen Sporthallen die Mehrgeschossigkeit eigentlich Pflicht sein.
Im Antrag der Linksfraktion so formuliert: โSporthallen sind vorzugsweise in mehrgeschossigen Gebรคuden oder als gestapelte Hallen zu planen, um den Flรคchenverbrauch mรถglichst gering zu halten. Sportflรคchen kรถnnen entweder gestapelt oder in einem Geschossbau geplant werden. Das Erdgeschoss kann beispielsweise zur Unterbringung der Funktionalflรคchen und ggf. auch Technikflรคchen oder einer Mobilitรคtsflรคche fรผr Stellplรคtze dienen.โ
Ein Antrag, der dann in dieser abendlichen Stunde auch mit 22:12 Stimmen scheinbar zu wenige Stimmen bekam. Denn Abstimmergebnisse im Stadtrat sind nur gรผltig, wenn mindestens 36 der 70 Ratsmitglieder anwesend sind. Zu diesem Zeitpunkt waren es โ OBM Burkhard Jung lieร extra nachzรคhlen โ tatsรคchlich noch 36, auch wenn zwei dann an der Abstimmung nicht teilnahmen.
Ergebnis also: Die Stadt muss Sporthallen kรผnftig vorzugsweise mehrgeschossig planen.
Dรผrfen Pausenhรถfe grรผner werden?
Viele andere รnderungsantrรคge wurden von der Stadt รผbernommen oder von den Fraktionen zurรผckgezogen.
Aber bei der Informationsvorlage zum Schulbau wurde es noch einmal spannend, weil insbesondere die Grรผnen auf mehr Grรผn drรคngten. Auch und gerade auf Schulhรถfen, wie Grรผnen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft warb. Diese sind heutzutage oft riesige gepflasterte Flรคchen mit ein paar Bรคumen als Alibi โ aber keine Begegnung der Schรผler mit der Natur.
Doch dieser Vorstoร kam dann wohl doch wieder ein paar Jahre zu frรผh. Nicht nur die Verwaltung tut sich immer noch gewaltig schwer mit Freirรคumen fรผr Natur in der Stadt, die Mehrheit der Ratsmitglieder ebenso. Das klang letztlich an, als insbesondere CDU-Stadtrat Karsten Albrecht sich beklagte, dass die anderen Fraktionen nun schon wieder so kleinteilige Antrรคge stellten. Das Entscheidende sei doch alles schon in der Bauordnung niedergelegt.
Nur sind Bauordnungen und Baugesetze meist Jahrzehnte alt. Und selbst die Vorlagen der Verwaltung zeigten, das Leipzig schon lรคngst รผber diese alten Gesetzesvorgaben hinausgeht, um auch wesentliche Ziele der Stadt bei Klima und Umwelt zu erreichen. Die Tragik der deutschen Politik ist nun einmal, dass die wichtigsten Gesetze โ gerade im Baurecht โ der Wirklichkeit um Jahrzehnte hinterherhinken.
Doch die Grรผnen fanden an diesem Abend trotzdem keine Gunst. Sie hatten ja tatsรคchlich eine Menge gefordert, wie Schulhรถfe kรผnftig ausgestaltet werden sollten: โBei der Gestaltung der Freianlagen sind die Herausforderungen des Klimawandels mit den notwendigen Anpassungsmaรnahmen zu beruฬcksichtigen wie Verdunstung, Versickerung und Regenwasserbewirtschaftung, Dach- und Fassadenbegruฬnung, klimaangepasste Pflanzkonzepte und Maรnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der biologischen Vielfalt. Freiflรคchen sind grundsรคtzlich begrรผnt und wasserdurchlรคssig zu gestalten. Bei der Planung und Gestaltung sind vorzugsweise Umwelt- und Naturschutzvereine zu beteiligen. Sofern eine Versiegelung von Flรคchen notwendig ist, ist deren Unabweisbarkeit gesondert nachzuweisen. Regenwasserspeichersysteme sind baulich vorzusehen. Die Nutzung von Dachflรคchen als Freianlage ist in der Planung grundsรคtzlich zu prรผfen und projektabhรคngig zu entscheiden.โ
Es stimmt schon: Da wird immer wieder รผber bedrohte Artenvielfalt, Aufheizung der Stadt und das Thema Schwammstadt diskutiert โ wenn es aber konkret wird, wird gekniffen.
Auch an diesem Abend: Mit 11:19 Stimmen bei sieben Enthaltungen wurde dieser Grรผnen-Antrag abgelehnt.
Wรคrmeversorgung und Barrierefreiheit
Mehr Glรผck hatten sie mit einem zweiten Antrag, aus dem sie zwar die Sache mit den Kochkรผchen in allen Schulneubauten zurรผckzogen. Aber die Sache mit der Berรผcksichtigung der erneuerbaren Energien fand dann eine Mehrheit.
Im Antrag hieร es dazu: โFรผr die energetische Ausstattung der Schulgebรคude ist die Betrachtung nicht ausschlieรlich auf Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Effizienz des Gebรคudes zu beschrรคnken. Die Quartiersumgebung ist einzubeziehen u.a. fรผr die Nutzung erneuerbar erzeugter Energie auf dem Gebรคudedach durch Verbraucher in der Nรคhe ebenso wie fรผr die Wรคrmeversorgung z.B. durch eine Heizstation im Quartier. Diese Erweiterung der Planungskonzeption und -mรถglichkeiten trรคgt dem Anspruch einer Quartiersschule auch in energiepolitischer Hinsicht Rechnung. Auch ist eine zugรคngliche und anschauliche Darstellung des Ertrags erneuerbarer Energie ein Gewinn fรผr das non-formale Lernen im Bereich der Umwelterziehung.โ
Das fand dann eine Zustimmung von 21:17 Stimmen.
Und auch ein รnderungsantrag der Linksfraktion griff ganz und gar kein kleinteiliges Thema auf, wie Karsten Albrecht gemeint hatte, sondern ein ganz groรes. Und Linke-Stadtrรคtin Franziska Riekewald nutzte die Gelegenheit auch noch einmal, um der Verwaltung ordentlich ins Gewissen zu reden. Denn nach EU-Recht ist Leipzig verpflichtet, in allen รถffentlichen Gebรคuden Barrierefreiheit herzustellen. Dazu gehรถren auch alle Schulen.
Weshalb die Linksfraktion formulierte: โBei Neubauprojekten sind Schulen barrierefrei, also frei von Barrieren fรผr Menschen mit kรถrperlicher Behinderung/ Sinnesbehinderung, wie z.B. motorischen Einschrรคnkungen, Beeintrรคchtigungen der Seh-, Hรถr- und Sprachfรคhigkeit, sowie mit psychischer und geistiger Behinderung, zu planen, die die Aufnahme aller Kinder bzw. aller Lehrenden und weiteren Beschรคftigten ermรถglichen. Insbesondere der Fรถrderbedarf emotionale und soziale Entwicklung ist in jeder Schule zu berรผcksichtigen.
Auch in Bestandsgebรคuden, Schulgebรคuden in Modulbauweise und Interim-Schulen sind die Anforderungen an inklusive Nutzung umzusetzen.โ
Das Wรถrtchen โweitgehendโ, das die Verwaltung benutzt hatte, wurde gestrichen. Denn bei Barrierefreiheit ist nun einmal wie jeder Kompromiss ein fauler Kompromiss: Es werden immer Menschen ausgegrenzt und behindert. Das geht so nicht. Das sah auch die Mehrheit der Ratsversammlung an diesem Abend so und stimmte dem Linke-Antrag mit 22:17 Stimmen zu.
Was nun einmal in der Summe das Anliegen, das die Verwaltung mit den neuen baulichen Standards fรผr Schulen und fรผr Sporthallen in Leipzig gesetzt hat, noch verstรคrkte. Karsten Albrecht beklagte zwar solche โMaximalforderungenโ. Aber bei genauerem Betrachten sind es keine, sondern selbstverstรคndliche Standards in einer Zeit des Klimawandels und der grundlegenden Akzeptanz menschenwรผrdiger Gebรคude fรผr Bildung und Sport.
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Dem Menschen gerecht. Also nicht etwa den Fenstern, Lรผftern oder Treppen. Es ist immer gut, wenn es gut gemeint istโฆ :-/
โ
Flรคchen sind rar, also kommt der Gedanke der Stapelsporthalle auf. Gab es frรผher schon (Nachbarschaftsschule Lindenau) und gibt es heute (Bernhard Gรถring Straรe). Kann man ja machen, aber wirds dann besser fรผr die Nutzer der Hallen, als auf einer Etage?
Es muss in heutigen Zeiten dann definitiv ein Fahrstuhl rein. Kostet Invest, Flรคche, Strom und Wartung auf Jahrzehnte. Was ist, wenn er kaputt ist? Wird dann die Halle geschlossen, weil ein zentraler Anforderungsbestandteil nicht erfรผllt ist? Natรผrlich nicht! Wer dort Sport macht, kann meistens auch Treppen laufen, es geht also auch ohne. Oder ist das menschenungerecht, wenn die Halle wรคhrend der Auรerbetriebnahme offen bleibt?
Die Deckenhรถhe ist meist niedriger als in eingeschossigen Hallen, was Volleyball oder Badminton, beides sehr populรคre Vereinssportarten, enorm einschrรคnkt und Leute daran hindert, ihren Sport auf hohem Niveau zu betreiben oder zu erlernen.
Und der Ablauf von Turnieren ist richtig beschissen, wenn man nur ein Volleyballfeld / drei Badmintonfelder pro Etage hat. Spieler, Orga-Team und Besucher dรผrfen dann zwecks Umziehen, Klo, Verpflegung oder Zuschauen stรคndig die Etagen wechseln, auch fรผr Durchsagen zum Spielablauf ist der Aufwand hรถher fรผr die, die das Turnier ausrichten.
Ich kรถnnte mir auch vorstellen, dass der Invest in Beton hรถher ist, weil die Statik das obere Geschoss ja mittragen muss.
Auf Grundstรผcken, wo eben nicht mehr Flรคche vorhanden ist, dort ist es eben nicht anders umsetzbar. Aber bitte, lernt doch aus den Fehlern der Vergangenheit. Die Hallen bleiben fรผr Jahrzehnte, also baut sie bitte gleich richtig. Mindestens 2 m Platz um die Felder drumherum, keine blendenden, nach unten gerichteten grellen Rรถhren als Beleuchtungsbรคnder, und bitte eine Geschosshรถhe, die auch Ballsportarten sinnvoll spielbar machen.
โ
> โDas Wรถrtchen โweitgehendโ, das die Verwaltung benutzt hatte, wurde gestrichen. Denn bei Barrierefreiheit ist nun einmal wie jeder Kompromiss ein fauler Kompromiss: Es werden immer Menschen ausgegrenzt und behindert.โ
Dann wird es halt teurer, als es eh schon ist bei den heutigen Standards.
Es sind Maximalforderungen, wie es eine 100 % durchgรคngig niederflurige Straรenbahn ist. In meiner gesamten Schulzeit gab es nicht ein Kind, was im Rollstuhl saร oder an Krรผcken gehen musste. Beim Klassentreffen im Sommer sagte mir eine Lehrerin, dass sich seit der Sanierung der Schule daran auch nichts geรคndert hat, und die seitdem eingebauten Fahrstรผhle nur von โden Faulenโ, wie sie sagte, benutzt werden.
Ein โweitgehendโ in der Formulierung lรคsst Raum fรผr sinnvolles Ermessen im Sinne der Frage โwie oft kommt das vor?โ.
Solches Ermessen wรคre angebracht gewesen bei der Sanierung meiner ehemaligen Schule: Ein vorhandener Anbau am Hauptgebรคude wurde abgerissen, weil die dorthin zu begehenden Treppen von den Schรผlern nicht barrierefrei hรคtten passiert / umgangen werden kรถnnen. Es wurde, statt den Anbau mit zu sanieren, dieser abgerissen und ein neues Gebรคude neben der Schule gebaut. Das eine Kind, was denn vielleicht einmal in zehn Jahren auf den Rollstuhl angewiesen gewesen wรคre, hรคtte auch einfach mit seiner Klasse einen Stundenplan bekommen kรถnnen, der die Klassenrรคume im Anbau nicht benรถtigt hรคtte. Aber jetzt ist es eben menschengerecht.
Die Bauten werden teurer, die Vorschriften immenser, die Forderungen hรถher. Benรถtigte Bauten verzรถgern sich, weil alles nach solchen Maximalforderungen durchsucht werden muss. Es ist wie beim Gendern: Beschlossen von einigen besonders Engagierten, wรคhrend man diejenigen, denen es nรผtzt, erst mal suchen muss.