Vitali Klitschko, Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, hat im Leipziger Stadtrat den Wunsch der Ukraine bekräftigt, Teil der europäischen Gemeinschaft zu werden, und sich bei der deutschen Politik und Zivilgesellschaft für jegliche Art von Unterstützung bedankt. Zudem berichtete er anekdotenhaft von seinen Erlebnissen in den ersten Wochen nach Ausbruch des Krieges im Februar 2022, den er als eine „sinnlose, große Tragödie“ bezeichnete.
„Ohne die Hilfe unserer Partnerstadt Leipzig könnten wir nicht überleben“
Klitschko bedankte sich ausdrücklich auch für die humanitäre und technische Hilfe, die Leipzig – eine von Kiews Partnerstädten – seit Beginn des Krieges geleistet hat. „Ohne die 14 Feuerwehrlöschfahrzeuge, die wir aus Leipzig bekommen haben, hätten wir den letzten Winter nicht überlebt“, berichtete Klitschko. Krankenwagen und Ersatzteile für Kraftwerke, die ebenfalls aus Leipzig kamen, seien „notwendig und lebenswichtig“ für Kiew und die Ukraine.
Der ehemalige Profiboxer ist zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in Leipzig. Bereits im April 2022 hatte er live im Stadtrat gesprochen, damals aber per Videoschalte aus der Ukraine.
In seiner Rede am heutigen Mittwoch, 15. November 2023, erklärte Klitschko, dass die Ukrainer*innen ein „freies, demokratisches Land bauen“ wollen, wofür sie weiterhin auf die Unterstützung von Deutschland und den restlichen EU-Staaten angewiesen seien. Mit Blick auf andere ehemalige Ostblockstaaten wie Polen, Tschechien und die Slowakei – die seit 2004 Teil der Europäischen Union sind – empfinde Klitschko Neid, da die Ukraine nach dem Fall des eisernen Vorhangs fast dieselbe Position wie diese Länder gehabt habe, seine Potentiale aber nicht ausgeschöpft habe.
Seit 2022 ist die Ukraine EU-Beitrittskandidatin.
„Ukraine gehört zu Europa“, bekräftigte Klitschko. „Mit unserer Geschichte sind wir Europäer, geografisch sind wir Europäer.“
Er selbst sei 1995 erstmals nach Deutschland gekommen. „Damals hat man den großen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland gespürt“, erinnerte sich Klitschko in seiner heutigen Rede. Damals hätten die Ostdeutschen nach der Lebensqualität und den Werten der demokratischen Länder gestrebt – so, wie es die Ukrainer*innen heute mit Blick auf die EU machten.
„Putin braucht die Ukraine nicht“
Den andauernden Krieg bezeichnete Kiews Stadtoberhaupt als „große Tragödie“. Neben den vielen getöteten ukrainischen Soldat*innen und Zivilist*innen spiele sich mit der Flucht von Millionen Menschen ein weiteres Drama ab. „Wer in den Osten der Ukraine fährt, kann stundenlang durch leere Dörfer und Städte fahren, da ist kein einziger Mensch“, bedauerte Klitschko. Hinter jedem leeren Fenster verberge sich die Geschichte einer Familie ohne Perspektive.
Mit dem Blick auf die Angriffe auf Zivilist*innen urteilte Klitschko: „Putin braucht die Ukraine nicht, er braucht nur das Territorium. Grund dieses sinnlosen Krieges ist es, wieder ein Imperium aufzubauen.“
Klitschko berichtet von seinen Erlebnissen in Kiew und Butscha
In seiner rund 25-minütigen Rede berichtete Klitschko außerdem von seinen Erfahrungen aus den ersten Monaten, nachdem Russland die Ukraine im Februar 2022 angegriffen hatte. Er sprach vom „Rauch von toten Menschen“, die er in Butscha auf der Straße liegen sah, darunter „alte Männer, Frauen, Kinder.“ Er werde diese Bilder nie vergessen.
Er habe kurz nach dem Angriff Russlands mit Männern und Frauen aus Kiew gesprochen, die sich für die Zivilverteidigung melden wollten. Sie standen rund eineinhalb Stunden lang bei Wind und Schnee Schlange, um Waffen zu bekommen. „Man brauchte mit ihnen nicht viel zu sprechen, man musste ihnen einfach in die Augen schauen und hat verstanden: Sie sind bereit, zu sterben.“
Am Bahnhof von Kiew habe er etwa zur selben Zeit inmitten tausender Menschen, die auf Evakuierungszüge warteten, mit einem kleinen Jungen gesprochen. Der Junge, circa fünf bis sechs Jahre alt, habe geweint und nach seinen Eltern gerufen. Bei seinem Versuch, das Kind aufzuheitern, flüsterte eine Frau Klitschko zu, dass die Eltern des Jungen erschossen worden seien, und niemand wissen würde, wie man es dem Kind sagen solle.
Leipzigs OB Jung verspricht Klitschko weiterhin Hilfe aus Leipzig
Zum Schluss appellierte Klitschko an die anwesenden Stadträtinnen und Stadträte: Die ukrainischen Soldat*innen würden in diesem Krieg „jeden von euch“ verteidigen, denn man wisse nicht, wie weit Russland bereit ist, zu gehen. „Je stärker dein Freund, desto stärker bist du“, so das Kiewer Stadtoberhaupt.
In diesem Zusammenhang wiederholte Klitschko seine Forderung nach Waffen zur Verteidigung der Ukraine gegen Russland. „Es handelt sich um Verteidigungswaffen, das möchte ich betonen, denn wir verteidigen unser Land.“ Die Ukraine sei immer ein friedliches Land gewesen.
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung versprach Klitschko nach dessen Rede, dass Leipzig alles „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ tun werde, um Kiew und die Ukraine weiterhin „bei ihrem Weg zu unterstützen“. „Du hast in uns Freundinnen und Freunde, die alles dafür tun werden, humanitäre und technische Hilfe zu leisten und kommunale Selbstverwaltungsaufgaben zu unterstützen.“
„Ich bin mir sicher, dass viele Menschen in dieser Stadt mit ganz heißem Herzen dafür kämpfen, diese Brücken weiter zu bauen“, sagte Jung mit Blick auf die Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Kiew. Eine solche Partnerschaft ermöglicht es Leipzig, Kiew in einigen Bereichen schnell Hilfe zu leisten, ohne den hoch-bürokratischen Weg über die Bundesregierung gehen zu müssen.
Klitschko wegen deutsch-ukrainischer Konferenz in Leipzig
Anlass für Klitschkos Leipzig-Besuch ist eine dreitägige Konferenz in der Leipziger Kongresshalle, die bestehenden knapp 190 Partnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Kommunen stärken soll. Die Partnerschaftskonferenz ging am heutigen Mittwoch, 15. November, zu Ende und fand bereits zum sechsten Mal statt. Unter anderem nahm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Konferenz teil. Steinmeier ist Schirmherr des deutsch-ukrainischen kommunalen Partnerschaftsnetzwerks.
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