Mittlerweile wird im Bund über die völlig unbrauchbare Schuldenbremse diskutiert, die das Land gerade in dem Moment zu lähmen droht, in dem dringend Investitionen in Zukunftsbranchen getätigt werden müssen. Aber auch Sachsen hat eine solche Schuldenbremse. Und die führt auch im Leipzig zu seltsamen Auswüchsen. Das war am 16. November in der Ratsversammlung freilich nicht nachzuverfolgen.

Eine Tonstörung machte die ganze Anfrage von Linke-Stadtrat Steffen Wehmann praktisch unhörbar.

Aber die Sorge darin war klar, wie es die Anfrage der Linksfraktion auch formulierte: „Vor dem Hintergrund von nicht umgesetzten Investitionen mit einem Rekordvolumen von 475,6 Mio. EUR in 2022 (VII-Ifo-08428) und der Priorisierung der Investitionsmaßnahmen auf Grundlage des Finanzberichtes vom 30.09.2023 mit der Aussicht, ‚dem Stadtrat im I. Quartal 2024 einen erneuten Priorisierungsvorschlag unter Beachtung der Zuordnung zu Maßnahmen der infrastrukturellen Grundversorgung‘ im Zuge des Genehmigungsbescheides der Landesdirektion zu den Haushaltsplänen 2024/25 (VII-Ifo-08974) vorzulegen.“

Denn schon den Doppelhaushalt 2023/2024 hat die Landesdirektion Sachsen nur mit jenem Tonfall genehmigt, der die Wirkung der Schuldenbremse bis in die Kommunen des Freistaats hinein zeigt.

Auf die Frage der Linksfraktion „Sind bezüglich des avisierten Priorisierungsvorschlages grundsätzlich (ggf. mit welchem finanziellen Gesamtvolumen) Kürzungen im Investitionshaushalt der Stadt für 2024 geplant?“ hin antwortete das Finanzdezernat so: „Mit Verweis auf vorangegangene Umsetzungsquoten hat die Landesdirektion Sachsen in ihrem Genehmigungsbescheid für den Doppelhaushalt 2023/2024 die Plausibilität der geplanten investiven Maßnahmen angezweifelt.

Als Alternative zur Versagung der Kreditgenehmigung hat die Stadt Leipzig die Möglichkeit erhalten, eigenständig eine Prüfung der Bedarfe und Realisierbarkeit der Investitionsmaßnahmen durchzuführen.“

Kontrolle ist gut, Ermahnung noch besser

Das darf man wohl „gnädig“ nennen. Es sind solche Stellen, die deutlich machen, wie sehr das feudale Denken die sächsischen Behörden durchzieht. Kommunen werden wie Bittsteller behandelt, die mit ihrem Geld nicht umgehen können. Obwohl die Finanzpraxis des Freistaats selbst dazu führt, dass sie seit Jahren nicht genug Geld für Investitionen zur Verfügung haben.

Die 475,6 Millionen Euro, die Leipzig 2022 nicht für geplante Investitionen ausgeben konnte, sind ja kein reales Geld. Es ist lediglich nicht ausgegebenes Geld, dem dann eine immer länger werdende Liste von nicht umgesetzten Investitionen gegenüber steht.

Und mittlerweile sind es nicht mehr fehlende Planer, welche die Umsetzung erschweren, sondern fehlende Baukapazitäten und rasant gestiegene Baupreise, die zu jeder Ratsversammlung zu einer langen Liste von Nachtragsfinanzierungen für Bauprojekte sorgen, die schon realisiert werden. Aktuell – wie Finanzbürgermeister Torsten Bonew feststellte – eben auch immer mehr Schulbauprojekte, die um Millionen Euro teurer werden als ursprünglich geplant und genehmigt.

Auch die fressen Geld aus dem Haushalt, das dafür eigentlich nicht vorgesehen war.

Priorität für das Machbare

Aber was soll mit der langen Liste von Investitionen passieren, die in den Haushaltsausgabenresten stecken? Sie sollen priorisiert werden, wie das Finanzdezernat feststellt: „Ziel des Priorisierungsvorschlages ist daher die vertiefende und kritische Auseinandersetzung der Fachämter mit den zugrundeliegenden Bedarfen in Auswertung aktueller Entwicklungen und die Ermittlung realistisch abfinanzierbarer Jahresscheiben im Zusammenhang mit dem tatsächlichen Umsetzungsstand der Einzelmaßnahmen.

Es sind somit im Sinne der Fragestellung grundsätzlich keine Kürzungen mit vorgegebenem finanziellen Gesamtvolumen vorgesehen. Veränderungen – wie sie z.B. in Planungs- oder Baubeschlüssen auch ausgewiesen werden – ergeben sich aus der aktuellen Betrachtung und Bewertung des jeweiligen Umsetzungsstandes.“

Aus Sicht des Finanzbürgermeisters erhalten also Investitionen hohe Priorität, deren Umsetzung mit den verfügbaren Geldern in nächster Zeit realistisch ist.

Die Stadt soll also das tun, was sie sowieso schon tut. Denn etwas anderes wird ja sowieso nicht gekauft oder gebaut.

Folgen noch unklar

Trotzdem stellte die Linksfraktion eine nahe liegende Nachfrage: „Welche zeitlichen Auswirkungen hat aktuell die durch die Ämter und Dezernate umzusetzende Priorisierung der Maßnahmen unterhalb der Leistungsphase 8 (HOAI) auf die schon geplanten Investitionen?“

Und da bestätigt das Finanzdezernat im Grunde, dass die Stadt genau so vorgeht.

„Grundsätzlich verhält es sich im Sinne der Fragestellung andersherum: Nicht die Priorisierung hat zeitliche Auswirkungen auf die Maßnahmen, sondern die Auswertung des tatsächlichen Umsetzungsstandes hat Auswirkungen auf die Priorität der Maßnahme. Mit der Auswertung erhalten die Fachbereiche aber die Möglichkeit, anhand der aktuellen Bewertung zugrundeliegender Bedarfe neu zu bewerten oder durch Umpriorisierung gegenzusteuern.“

Was ja wohl heißt: Gebaut wird, was umsetzungsreif ist und mit den verfügbaren Geldern auch umsetzbar ist. So wie es in den vergangenen Jahren auch geschah.

Denn das Denken der Landesdirektion ist an dieser Stelle etwas verquer: Der Investitionsstau entsteht ja nicht, weil Leipzig alle diese Investitionen in Schulen, Straßen, Brücken usw. nicht braucht, sondern weil sie beschlossene Bauprojekte nicht finanziert bekommt und nicht bauen kann.

Da kichert die schwäbische Hausfrau. Oder Fräulein Schuldenbremse. Oder beide. So kann man – mit falscher Finanzpolitik – einen regelrechten Investitionsstau erzeugen. Denn nichts anderes verbirgt sich hinter den Haushaltsausgabenresten: die Spitze des Eisbergs Investitionsstau.

„Mit welchem Anstieg der nicht umgesetzten Investitionen rechnet die Verwaltung u. a. durch die Neupriorisierung in 2023 und 2024?“, fragte die Linksfraktion darum auch ganz folgerichtig.

Und das Finanzdezernat vertröstete erst einmal: „Genau das ist Gegenstand der Prüfung und kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht bewertet werden.“

+++Leider kam es bei während dieses Tagesordnungspunktes „Anfragen an den Oberbürgermeister“ zu einer Tonstörung, sodass an dieser Stelle leider kein Video gefertigt werden konnte+++

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