Mit ihrem Amtsantritt im Oktober 2020 übernahm Vicki Felthaus ein schweres – und vor allem teures – Erbe. Die Bürgermeisterin für Jugend, Schule und Demokratie stand vor stetig wachsenden Kosten im Bereich der Jugendhilfe. Damals hieß es: Wir müssen das anpacken. Im Gespräch erklärt Vicki Felthaus, wie Verbesserungen gelingen sollen.
Sorgenkind sind hier die Hilfen zur Erziehung, die Wohngruppen, Erziehungsbeistände und andere Formen der ambulanten und stationären Jugendhilfe umfassen. Zu schnell seien Leipziger Familien im Hilfesystem gelandet, so Felthaus im Gespräch mit der Leipziger Zeitung (LZ). Die Rechnung kam, zuletzt 2020 in Form von 37 Millionen Euro Mehrkosten. Auch im Stadtrat wurde das Thema mehrmals intensiv besprochen. 2021 stiegen die Kosten das erste Mal nicht weiter an.
Eine Untersuchung der Organisationsstrukturen beim ASD im Bereich der HzE hat nun Vorschläge gemacht, wie die Arbeitsweise verbessert werden kann. Das soll direkte positive Auswirkungen auf die Klient*innen, die Mitarbeitenden und die Zusammenarbeit mit der Jugendarbeit, Schulen und Kitas in den Stadtteilen haben. Der Fokus der HzE soll sich hin zu besserer Prävention, Rückführung in Herkunftsfamilien, Pflegefamilien und Verselbständigung der Jugendlichen entwickeln. Auch das Personal im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) soll weniger Überlastung ausgesetzt sein.
Worin liegt das Problem?
Mehr als 4.000 Fälle im Bereich HzE werden pro Jahr in Leipzig bearbeitet. 2015 lag man noch bei knapp über 3.000 Fällen. Der Anstieg lässt sich laut Felthaus auch mit dem Inkrafttreten des Kinderschutzgesetzes im Jahr 2012 erklären. Diese habe dazu geführt, dass deutlich mehr Fälle dem ASD gemeldet wurden.
„Ich sage dazu immer: Unsere Gesellschaft wollte hinschauen und wir haben hingeschaut. Und dann sind uns deutlich mehr Fälle bekannt geworden, auch sehr viele Fälle von Vernachlässigung, Gewalt oder Folgen psychischer Erkrankung der Eltern.“
200 Millionen Euro kosten die Hilfen zur Erziehung jährlich. Diese werden ausschließlich aus der kommunalen Kasse bezahlt.
Nicht nur externe Faktoren spielen bei der Kostensteigerung eine Rolle. Als Felthaus ihr Amt im Oktober 2020 übernahm, war der Leiter des Jugendamts noch Nicolas Tsapos. Bei seiner Kündigung 2022 wurde ihm vorgeworfen, dass ein koordiniertes Vorgehen bei den Hilfen zur Erziehung fehlte. Die Zusammenarbeit zwischen Tsapos und Felthaus soll schwierig gewesen sein.
Ein Jahr nach ihrem Antritt, im Herbst 2021, startete dann die Organisations-Untersuchung im ASD. Schon in der ersten Mitarbeiter-Befragung habe sich herausgestellt, dass es große Wünsche nach Veränderung gibt.
„Es ging weit über eine klassische Stichprobenziehung hinaus. Wir haben alle Mitarbeitenden befragt. Wir haben tausende Akten und alle Prozesse analysieren lassen. Die Mitarbeitenden waren in Workshops aktiv. Es war nicht so, dass wir sie nur einmal befragt haben, es war ein Prozess, der immer wieder zu den Mitarbeitenden zurückging.“
Neuaufteilung der Sozialbezirke
Das Ergebnis liegt nun vor: In Form von 21 Arbeitspaketen, deren Umsetzung bis Ende des Jahres begonnen werden soll. Eine der großen Änderungen ist die Zusammenführung von Eingangs- und Fallmanagement. Bisher landeten Familien trotz Betreuung durch Sozialarbeitende als Fall im ASD, allerdings oft zu spät. Dann musste eine interne Übergabe in das Fallmanagement gemacht werden. Viele „Reibungsverluste“ ein hoher Zeitaufwand seien dadurch entstanden. Im ASD soll es jetzt nur noch eine Ansprechperson für die Familien geben.
Dieser soll sich im Quartier gut auskennen. So soll das Andocken an bestehende Strukturen wie Kita oder Schule leichter fallen. Dadurch soll auch präventiv besser gearbeitet werden können. Um das zu ermöglichen, braucht es Mitarbeitende im ASD, die nur für das Quartier zuständig sind.
„Für die Kolleginnen und Kollegen ist wichtig: Was kann ich tun, bevor eine Familie bei uns im ASD ankommt? Sie müssen eine breite und gute Kenntnis dessen haben, welche Angebote es im Sozialraum gibt. Die erhalte ich meist nur, indem ich die Menschen und Angebote kenne und weiß, was sie machen.“
„Wenn zum Beispiel eine Familie mit kleinen Kindern überfordert ist – das kann passieren, das heißt noch nicht, dass es ein Fall für den ASD werden muss. Dann muss man schauen, ob man in der Kita eine Unterstützung findet, ob man im Sozialraum Unterstützung findet, bevor man eine Unterstützung durch den ASD braucht.“
Dabei soll eine Neuaufteilung der sogenannten Sozialbezirke helfen. Diese legen die Zuständigkeit des ASD fest. Bisher wurde bei den Hilfen zur Erziehung mit anderen Bezirken gearbeitet als beispielsweise in der Jugendarbeit. Durch eine Anpassung der Bezirke müssen die Mitarbeitenden des ASD nicht mehr „durch viele Gremien“ laufen. Die Vernetzung im Quartier soll dadurch erleichtert werden.
Härtere Verhandlungen mit Trägern der Jugendhilfe
„Wir werden deutlich härter verhandeln, was die Qualitätsansprüche betrifft, zum Beispiel bei den Themen Rückführung und Verselbständigung. Wie bereite ich die jungen Leute auf ihr eigenes Leben vor? Das kommt momentan viel zu kurz“, so Felthaus.
Man können natürlich nicht alles steuern: Wenn eine Kindeswohlgefährdung besteht, dann muss das Kind raus aus der Familie, da könne man nicht warten. Jedoch arbeitet Felthaus seit ihrem Amtsantritt daran, dass der Fokus der HzE neu gesetzt werden muss.
„Mal auf den Punkt gebracht: Es darf kein lukratives Geschäftsmodell sein, stationäre Einrichtungen zu betreiben.“
Es dürfe nicht das Ziel sein, Jugendliche aufgrund des Geldes so lange wie möglich in den Einrichtungen zu halten. Momentan haben Betreuer*innen in Wohngruppen oder Einzelwohnen nur wenige Stunden für die Arbeit zur Verselbständigung mit den Jugendlichen, das heißt für Wohnungsfindung, Hilfe bei Formularen und mit Ämtern. Gerade für Jugendliche, die wenig bis keine Unterstützung aus den Herkunftsfamilien erhalten, ist das ein Problem. Oft stehen sie nach der Jugendhilfe komplett alleine da.
Dabei sind stationäre Hilfen, bei denen die Kinder- und Jugendlichen aus den Herkunftsfamilien herausgenommen werden, die weitaus teuersten für die Stadt. Rückführungen in Familie sollen deshalb gestärkt werden. Das bedeutet: nicht nur Arbeit mit den Jugendlichen, sondern auch mit ihren Familien. Bei jüngeren Kindern soll der Fokus auf Pflegefamilien wachsen.
„Große Veränderungsbereitschaft“
Digitalisierung muss auch im ASD ankommen. Digitale Gesprächsnotizen sollen Übergaben erleichtern. Dafür sollen einheitliche Systeme geschaffen werden. Die Praktikabilität für die Mitarbeitenden wird hier eine große Rolle spielen: Denn wer momentan mit den vorgeschriebenen Papierakten und dem Programm WebFM nicht klarkommt, legt sich einfach noch eine eigene Excel-Tabelle an.
Unter den Mitarbeitenden, so Felthaus, gebe es eine „große Veränderungsbereitschaft“. Auch als im Jugendhilfeausschuss die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt wurden, waren einige von ihnen anwesend. Das müsse man am Laufen halten.
„Verbesserungen der „Hilfen zur Erziehung“: Im Gespräch mit Leipzigs Jugend- und Schulbürgermeisterin“ erschien erstmals in der Juli-Ausgabe, ePaper LZ 115, der LEIPZIGER ZEITUNG.
Sie wollen zukünftig einmal im Monat unser neues ePaper erhalten? Hier können Sie es buchen.
Keine Kommentare bisher