Dass Leipzigs CDU-Fraktion mit einer radikalen Kehrtwende in Sachen Mobilitätsstrategie, die sie 2018 noch mitbeschlossen hat, derzeit Wahlkampf macht für die Stadtratswahl 2024, ist schon länger offenkundig. Lautstark polemisiert sie insbesondere gegen den überfälligen Ausbau des Radnetzes. Aber der aktuelle Fraktionsvorsitzende Michael Weickert ging mit einer Stadtratsanfrage noch weiter.

Denn seit geraumer Zeit hat sich die bürgerliche Fraktion auf Leipzigs Baubürgemeister Thomas Dienberg eingeschossen, der natürlich dafür verantwortlich ist, dass unter anderem das Aktionsprogramm Radverkehr und der Radverkehrsentwicklungsplan in Leipzig auch umgesetzt werden.

Aber wie sieht so eine Arbeit aus, wenn eine auf Wahlkampf gepolte Fraktion jetzt anfängt zu orakeln und der Öffentlichkeit suggeriert, die Mobilitätswende in Leipzig sei vor allem durch persönliche und familiäre Verquickungen vorangetrieben?

Denn so klang Weickerts Frage: „Bestehen verwandtschaftliche oder ähnliche Beziehungen zwischen Mitarbeitern der Stadtverwaltung, ihrer Eigenbetriebe und Beteiligungsunternehmen zu Unternehmen und Vereinen sowie Initiativen des Mobilitätssektors?“

Augenscheinlich war er zu dieser Frage durch die Diskussion um den Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Patrick Graichen angeregt, der bis 2021 Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende war und im Mai aufgrund der sogenannten Trauzeugenaffäre sein Amt im Wirtschaftsministerium niederlegen musste.

Einfach mal so ins Blaue …

Also mutmaßte Weickert so etwas auch gleich mal im ungeliebten Leipziger Verkehrsdezernat.

Die Antwort erhielt er dann freilich aus dem Verwaltungsdezernat. Und mit amtlicher Strenge erklärt ihm Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning, dass ein derart unbegründetes Verdächtigmachen völlig sinnfrei ist. Und dass die Stadt überhaupt nicht befugt ist, einfach so alle verwandtschaftlichen Beziehungen ihrer Mitarbeiter zu erheben. Das ist simpler Persönlichkeitsschutz und Schutz der Privatsphäre von Angestellten.

Erstaunlich, dass Weickert das überhaupt für möglich hielt.

„Die Beantwortung der Frage setzt eine Verarbeitung personenbezogener Daten voraus, die den Grundsätzen gem. Art. 5 Abs. 1 DSGVO entsprechen muss (u.a. Rechtmäßigkeit, Datenminimierung, Zweckbindung). Die Erhebung und die weitere Verarbeitung solcher Angaben ist nur zulässig, wenn diese zur Erreichung eines legitimen Zwecks erforderlich ist. Verwandtschaftsbeziehungen städtischer Beschäftigter sind grundsätzlich nicht bekannt und dürfen auch nicht erhoben werden. Dies gilt ebenso für Ehen und Lebenspartnerschaften, die rechtlich keine Verwandtschaft darstellen“, erklärt ihm der Verwaltungsbürgermeister.

„In bestimmten Fällen werden derartige Beziehungen städtischer Beschäftigter ausdrücklich geprüft, wenn sich dies aus rechtlichen Vorgaben ergibt. Beispielhaft zu nennen ist hier die Regelung in § 57 Abs. 2 SächsGemO, wonach Beigeordnete nicht miteinander oder mit dem Bürgermeister in einem die Befangenheit begründenden Verhältnis nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SächsGemO stehen dürfen. Auch in § 86 Abs. 4 SächsGemO sind vergleichbare Regelungen in Bezug auf Bedienstete der Gemeindekasse getroffen. Die Prüfung erfolgt bei Einstellung in ein solches Amt bzw. bei entsprechendem Anlass.“

Für die Rathausmitarbeiter gilt, so das Verwaltungsdezernat: „Die Beschäftigten sind bei ihrer Aufgabenerfüllung an Recht und Gesetz gebunden. Mit der förmlichen Verpflichtung bzw. Vereidigung und entsprechenden dienstlichen Anweisungen werden sie zur unparteiischen und uneigennützigen Diensterfüllung und Einhaltung der Rechtsvorschriften, die das Tätigwerden in bestimmten Angelegenheiten wegen Befangenheit untersagen, ausdrücklich verpflichtet. Es ist die Verantwortung der Beschäftigten und der Führungskräfte, diese Vorgaben umzusetzen.“

Breitseite gegen Energie- und Mobilitätswende

Dass es dabei ausgerechnet um die Dezernate geht, die in Leipzig für die Themen Mobilitätswende, Klimaschutz und Energiewende zuständig sind, wurde deutlich, als Michael Weickert gezielt nach betroffenen Mitarbeiter aus den Dezernaten III, VI und dem Geschäftsbereich des Oberbürgermeisters fragte. Dezernat III ist das von Heiko Rosenthal (Die Linke) geleitete Dezernat Umwelt, Klima, Ordnung und Sport; Dezernat VI das von seinem Kollegen Thomas Dienberg (Grüne) geleitete Dezernat Stadtentwicklung und Bau.

Aber Weickerts Anfrage zielte besonders auf die Führungskräfte in den drei Fachbereichen.

Aber auch da steht es dem CDU-Stadtrat nicht zu, einfach Verdächtigungen auszusprechen, erklärt ihm der Verwaltungsbürgermeister: „Sollte bei einer Führungskraft ein Grund nach § 20 VwVfG und/oder § 20 SächsGemO vorliegen, nach der eine Mitwirkung an einem Verwaltungsverfahren ausgeschlossen sein soll, haben Beschäftigte die Pflicht, potenzielle Interessenskonflikte aktiv gegenüber ihren Vorgesetzten zu melden.“

Und selbst in Eigenbetrieben und Beteiligungsunternehmen vermutete Weickert familiäre Verstrickungen. Aber auch dafür gibt es seit langem betriebsinterne Strukturen, erklärt ihm das Verwaltungsdezernat: „In Bezug auf rechtlich eigenständige städtische Beteiligungsunternehmen oder Eigenbetriebe obliegen alle relevanten Angelegenheiten dem jeweiligen Unternehmen oder Eigenbetrieb, sowie den dafür unternehmensintern im Einzelnen dafür zuständigen Stellen, wie z.B. der internen Revision, dem Compliance-Beauftragten usw., sowie den Unternehmensorganen Geschäftsführung und Aufsichtsrat als Kontrollinstanzen. Die einschlägigen Grundsätze sind in den Satzungen, Geschäftsordnungen und möglichen Einzelanweisungen der Unternehmen (z.B. Compliance-Richtlinien/Unternehmenskodices) festgelegt.“

Mutmaßungen über den Mobilitätssektor

Aber die fünfte Frage von Michael Weickert offenbarte dann endgültig, dass er einfach ins Blaue orakelte und keine Belege für seine Mutmaßungen hat. Da fragte er nämlich: „Wenn es zu Frage 1–4 konkrete Fälle gibt, zu welchen Unternehmen, Vereinen und Initiativen des Mobilitätssektors bestehen verwandtschaftliche oder ähnliche Beziehungen?“

Wieder geht es ins Persönlichkeitsrecht. Was ihm der Verwaltungsbürgermeister auch hierfür haarklein erläutert: „Bei der Leipziger Gruppe, als Verbund kommunaler Unternehmen, muss davon ausgegangen werden, dass bei rd. 5.000 Mitarbeitern und einer Tochtergesellschaft im Mobilitätssektor auch verwandtschaftliche oder ähnliche Beziehungen zu Mitarbeitern von Unternehmen, Vereinen oder Initiativen des Mobilitätssektors bestehen.

Jedoch handelt es sich auch hierbei um personenbezogene Daten der Mitarbeiter, sodass eine entsprechende Erhebung und Auswertung im Einzelfall nicht vorgenommen werden darf. Ein Mitwirken für die Leipziger Gruppe wird durch den konzernweit verbindlichen Verhaltenskodex bei Geschäftsführern, Führungskräften und Mitarbeitern ausgeschlossen, wenn entsprechende Leistungen durch Angehörige erbracht werden. So werden Personen in Vorgänge, von denen sie persönlich betroffen sind, nicht involviert. Für die Geschäftsführer besteht aufgrund des Gesellschaftsvertrages zudem eine besondere Transparenzpflicht gegenüber dem Aufsichtsrat.“

Aber dass es Weickert gar nicht darum ging, überhaupt irgendwelche Verstrickungen im Rathaus aufzudecken, sondern ganz konkret um die Umsetzung der Mobilitätsstrategie, die der Autolobby in Leipzig so gewaltig gegen den Strich geht, macht seine letzte Frage deutlich: „Garantiert der Oberbürgermeister, dass bei jeglichen Maßnahmen der Stadtverwaltung im Mobilitätsbereich sämtliche Regelungen des § 20 VwVfG umfassend beachtet wurden?“

Eine in eine Frage gegossene Vermutung, Leipzigs Mobilitätspolitik sei durch familiäre Abhängigkeiten korrumpiert. Als hätte die Stadtratsmehrheit nicht genau diese Strategie beschlossen.

Doch auch hierzu erwidert das Verwaltungsdezernat trocken: „Mit den benannten klaren Anweisungen zum dienstlichen Verhalten hat der Oberbürgermeister die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, ebenso wie in den städtischen Eigenbetrieben und Beteiligungsunternehmen entsprechende Compliance-Regelungen bestehen, damit keine Beschäftigten an Verwaltungsverfahren mitwirken, bei denen potenzielle Interessenskonflikte bestehen. In der Allgemeinen Dienst- und Geschäftsanweisung werden Bedienstete explizit auf die Einhaltung des § 20 VwVfG hingewiesen.

Eine vollkommene Garantie zu jederzeitigem rechtskonformem Handeln von Beschäftigten kann nicht abgegeben werden. Die Stadtverwaltung kann aber versichern, dass alle Beschäftigten regelmäßig zur Einhaltung der Compliance-Regeln belehrt werden und auch eine stetige Prüfung und Überwachung dieser Einhaltung vollzogen wird.“

Und wie ist nun der richtige Weg, da das öffentliche Verdächtigmachen in der Ratsversammlung nun sichtlich der falsche ist? – „Wann immer sich dennoch Verdachtsfälle zu einem Verstoß ergeben, können sich die Beschäftigten jederzeit an den Anti-Korruptions-Koordinator und die Verwaltungsspitze wenden“, erklärt das Verwaltungsdezernat.

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