Dass die AfD eine Partei des polternden Populismus ist, hat sie schon mehrfach bewiesen. Dass sie auch nicht lernfähig ist oder sein will, wurde am 20. September in der Ratsversammlung einmal mehr deutlich, als die Beantwortung einer AfD-Anfrage auf der Tagesordnung stand. Thema: die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in der Stadt Leipzig. Eigentlich ein sinnvolles Ersuchen. Aber die AfD-Fraktion spickte schon die Anfrage mit Unterstellungen und Verdächtigungen.

Das klang dann so: „Seit Mitte März 2020 waren im Freistaat Sachsen Maßnahmen verhängt worden, die die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 verhindern sollten. Verbunden damit waren bisher in der BRD nie gekannte Einschränkungen von über Jahrhunderte zum Teil blutig erkämpften Grund- und Bürgerrechten. Wie sich bereits seit längerer Zeit herausgestellt hat, geschah dies auf bestenfalls fragwürdiger verfassungsrechtlicher, wissenschaftlicher und seuchenpolitischer Basis.

Vielmehr muss konstatiert werden, dass zahlreiche politisch, administrativ und wissenschaftlich Verantwortliche offenbar Gefallen an Restriktionen und Autoritarismus gefunden hatten. Die Einschränkung der Handlungs- und Bewegungsfreiheit freier Bürger kam vielen Verantwortungsträgern durchaus zupass – auch mit Blick auf möglicherweise zukünftig auf Basis anderer Begründungen geplante Einschränkungen.“

Es sind im Grunde dieselben Verdächtigungen und Unterstellungen, mit denen vor allem die AfD auch während der Corona-Zeit gegen die verordneten Maßnahmen polemisiert hat und damit immer wieder den Eindruck verstärkt hat, die Maßnahmen seien unrechtmäßig und auch noch wirkungslos.

Und AfD-Stadtrat Siegbert Droese ging in seinen Nachfragen am 20. September wieder genauso undifferenziert vor und unterstellte gar Leitungspersonen in der Stadtverwaltung Kompetenzüberschreitung und unverantwortliches Handeln.

Lernen, wie man mit einem neuen Virus umgehen muss

Logisch, dass sich dagegen nicht nur Sozialbürgermeisterin Dr. Martina Münch gegen derlei Unterstellungen verwahrte, sondern auch OBM Burkhard Jung. Sie bescheinigten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung im Gegenteil sehr verantwortungsvolles Handeln. Und Leipzig habe gerade deshalb, weil so viele die Maßnahmen unterstützen, eine deutlich geringere Übersterblichkeit aufgewiesen als andere Regionen in Sachsen, so Jung, Regionen, in denen der Widerstand gegen die Maßnahmen wesentlich stärker war.

Die AfD hat das Corona-Thema zwar als ein Thema für sich entdeckt, in dem man den Leuten einreden konnte, es sei eigentlich immer um die Einschränkung von Grundrechten gegangen.

Aber dabei geht völlig unter, dass es zuallererst um den Schutz der Bevölkerung ging – und insbesondere den von besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Und dass 2020 weltweit noch niemand wusste, wie man diesem neuen und gefährlichen Virus tatsächlich am besten begegnen sollte, das betonte auch Martina Münch.

Auch in der Antwort ihres Dezernats wurde das eigentlich sehr deutlich formuliert: „Das Gesundheitsamt als Einrichtung des öffentlichen Gesundheitsdienstes bewertet alle Maßnahmen als positiv, die nachweislich dazu geführt haben, menschliche Leben zu bewahren bzw. wesentliches menschliches Leid abzumildern.

Als ärztlich geleitete Einrichtung ist das Gesundheitsamt dabei dem Ansatz verpflichtet, bei dieser Bewertung wissenschaftliche Belege (Evidenz) heranzuziehen, um einen Nutzen oder aber einen fehlenden Nutzen einer Maßnahme oder eines Maßnahmenbündels festzustellen.

Im Abschlussbericht des Robert-Koch-Instituts zur Wirksamkeit und Wirkung von anti-epidemischen Maßnahmen auf die COVID-19-Pandemie in Deutschland (StopptCOVID-Studie, RKI, 2023) wird festgestellt, ‚dass die nicht pharmazeutischen Infektionsschutzmaßnahmen in Deutschland mit einer deutlichen Reduktion der COVID-19 Ausbreitung assoziiert waren‘ (RKI, 2023, S. 5).

Eine Einzelbewertung von spezifischen Maßnahmen, so die Studie, müsse jedoch im Kontext mit anderen, parallel bestehenden Maßnahmen durchgeführt werden; eine Abgrenzung von Einzeleffekten gegenüber dem Gesamteffekt sei somit nicht möglich.

Im Ergebnis kommt das RKI zu dem Schluss, dass die angewandten nicht pharmazeutischen Infektionsschutzmaßnahmen ‚wesentlich zur Bekämpfung der Pandemie [beitrugen] und (…) in der Zeit bis zur Entwicklung wirksamer Impfstoffe eine starke Überlastung des Gesundheitssystems‘ verhinderten (RKI, 2023, S. 6). Wissenschaftliche Untersuchungen in anderen Ländern kommen zu vergleichbaren Ergebnissen.“

Lernen für die nächste Pandemie

Die nichtpharmazeutischen Maßnahmen waren zum Beispiel die verhängten Lockdowns, die lange Schließzeit für Schulen, Gaststätten und Kitas und das Vorschreiben von Masken in geschlossenen Räumen und im ÖPNV. Und Münch deutete es auch an, dass der Umgang mit dem neuartigen Virus auch ein wichtiger Lernprozess war.

Denn es ist absehbar, dass es in Zukunft noch weitere Epidemien mit bislang unbekannten Erregern geben wird. Dann aber weiß nicht nur das RKI, sondern auch das Leipziger Gesundheitsamt genauer, welche Maßnahmen wirklich wichtig sind und auf welche man besser verzichtet.

Aber dass Droese auch in der Nachfrage Verwaltungsmitarbeitern unterstellte, „maßgeblich an der Durchsetzung widerrechtlicher Corona-Maßnahmen“ beteiligt gewesen zu sein, das ließ OBM Jung dann ganz und gar nicht auf sich und seiner Verwaltung sitzen, deren Mitarbeitern er attestierte, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben.

„Ich bin dankbar für die Leistung dieser Verwaltung“, sagte er. Und erklärte Droese auch gleich noch das Präventionsparadox. Denn welche Folgen die Pandemie für Leipzig gehabt hätte, hätte die Stadt die Schutzmaßnahmen nicht umgesetzt, kann niemand sagen. Alles deutet darauf hin, dass die Maßnahmen viele Menschenleben gerettet haben.

In zwei Punkten – so Jung – wäre natürlich rückwirkend zu attestieren, dass sie so vielleicht überzogen waren: Das war die Schließung der Schulen und Kitas, die besonders zulasten der Kinder und der Eltern gingen.

Von wegen rechtswidrig

Und wie war das mit den gerichtlichen Niederlagen der Stadt, auf die Droese auch in seiner Nachfrage wieder zu sprechen kam?

Das hatte schon die Antwort aus dem Gesundheitsamt sehr klar formuliert: „Die in der Frage zum Ausdruck kommende Unterstellung, dass ein Großteil der Corona-Schutzmaßnahmen rechtswidrig gewesen wäre, ist falsch.

Von den insgesamt 30 Gerichtsverfahren, die im Rechtsamt mit Bezug zu Corona-Schutzmaßnahmen (Anordnung von häuslicher Quarantäne, Einreisesperre, Alkoholverbot, Ausgangssperren etc.) geführt wurden, wurden lediglich in drei Fällen die Bescheide der Stadt Leipzig vom Gericht aufgehoben.

In allen anderen Fällen wurden die städtischen Maßnahmen von den Gerichten für rechtmäßig erachtet bzw. erledigten sich die Verfahren auf andere Weise, in der Regel durch Aufhebung der entsprechenden Maßnahmen in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen.“

Da erstaunt es schon, wie Droese dann mit der Ursprungs-Unterstellung wieder ans Mikro ging. Doch was Burkhard Jung ihm antwortete, war dann deutlich.

Eine kluge Gesellschaft lernt aus ihren Fehlern, analysiert sie und versucht es beim nächsten Mal besser zu machen. Und sie gesteht auch ihren Verwaltungsmenschen zu, in völlig unbekannten Situationen, wie es die Corona-Pandemie nun einmal war, dazuzulernen und die dem aktuellen Wissensstand entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Und dabei möglicherweise auch übers Ziel hinauszuschießen.

Oder mit den Worten aus dem Gesundheitsdezernat: „Personelle Konsequenzen wurden nicht gezogen und sind auch nicht geplant. Sämtliche Mitarbeiter/-innen handelten auf Anweisung ihrer entsprechenden Vorgesetzten, sie kann demzufolge auch kein persönliches Verschulden treffen.

Die Stadtverwaltung Leipzig schätzt den besonderen Einsatz ihrer Mitarbeiter/-innen zur Sicherung des Dienstbetriebs und zur Arbeitssicherheit sehr.“

Manchmal geht es einfach um menschlichen Respekt.

Aber das ist wohl eher fremdes Terrain für die Leipziger AfD-Fraktion.

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