Das ist auch eher selten, dass die mit einer Vorlage der Stadt verlinkten Ursprungsanträge gleich mal vier Jahre zurückreichen. Aber Verwaltungen sind schwerfällige Tanker. Sie brauchen Zeit, um sich aus alten Gewohnheiten herauszuarbeiten. Wie zum Beispiel beim Umgang mit Wasser. Noch 2018 erarbeitete die Stadt eine Wasserkonzeption, die nicht ansatzweise all die Probleme spiegelte, die mit den verschärften Klimaextremen auch auf Leipzigs Flüsse, Bäche und Teiche zukommen.
Sodass SPD-Stadtrat Andreas Geisler in der Ratsversammlung am 6. Juli noch einmal deutlich wurde, weil diese ungenügende Konzeption schon 2018 nicht ins Bild passte. Denn das war das Jahr, in dem Dürre und Hitze zum ersten Mal auch in Leipzig für alle folgenreich sichtbar wurden. Die Konzeption gehörte eindeutig einem vergangenen Zeitalter an – aber nicht dem der beginnenden Wetterextreme, in dem wir jetzt stecken.
Das sieht das Dezernat Umwelt, Klima, Ordnung und Sport inzwischen auch so und gesteht in seiner Vorlage zum Umsetzungsstand der neuen Wasserkonzeption zu: „Dem sich daraus ergebenden Handlungsdruck verlieh der Leipziger Stadtrat am 07.11.2019 mit einem wegweisenden Beschluss (VI-A-07938-NF-04) Ausdruck.“
Das darf man schon mal als Lob betrachten. Denn „wegweisend“ war hier der aufmüpfige Stadtrat, der eindeutig einen Wechsel in der Leipziger Wasserstrategie forderte.
Der Nordraum und der Flughafen
„Zunächst sollte dabei der Leipziger Nordraum fokussiert werden, auf den sich die Arbeiten bis Ende 2021 vornehmlich konzentrierten“, so das Umweltdezernat. „Hier treten wasserwirtschaftliche Konflikte ganz besonders in Folge von Versiegelungszunahme durch Gewerbe- und Industrieansiedlungen zutage, bspw. durch die Erweiterung des Flughafengeländes oder die Etablierung von Standorten der Automobilindustrie und angegliederter Betriebe. Auf den Fließgewässereinzugsgebieten und noch vorhandenen Gewässerläufen lastet hier ein besonders ausgeprägter Flächendruck inmitten verschiedener Nutzungskonkurrenzen.“
Auch das ist deutlich. Und die Stadt Leipzig sollte sich vielleicht doch überlegen, gegen die Flughafenerweiterung zu klagen, bei der weitere Böden versiegelt werden sollen, um Park-Platz für noch mehr Flugzeuge zu schaffen. Auch das beeinflusst den sensiblen Wasserhaushalt im Leipziger Norden. Denn Gräben, Bäche und Flüsse nehmen natürlich genauso wenig Rücksicht auf Stadtgrenzen wie Grundwasserkörper.
Weshalb das Umweltdezernat mit seiner der Vorlage beigegebenen Karte auch deutlich macht, welches Ausmaß eigentlich die Leipziger Gewässersysteme haben. Und die bringt man nun einmal nur in Ordnung, wen man sie komplett betrachtet.
Seit 2022 erfolgt also „die dezidierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den drängendsten wasserwirtschaftlichen Herausforderungen unter der Bezeichnung ‘Integrierte Wasserkonzeption (InWako) für die Stadt Leipzig und die angrenzende Region“, so das Umweltdezernat.
„Ein teileinzugsgebietsbezogener Ansatz wird weiterhin verfolgt, woraus das in Abbildung 01 dargestellte Bearbeitungsgebiet resultiert. Die knapp 500 km² große Fläche besitzt eine West-Ost-Ausdehnung von ca. 25 km und eine Nord-Süd-Ausdehnung von ca. 30 km. Innerhalb des Gebietsumgriffs können eine Gesamtfließgewässerstrecke von ca. 566 km in verschiedener Ausprägung und ca. 30 km² Standgewässerfläche verortet werden. In die Unterhaltungslast der Kommunen fallen davon ca. 411 km Fließgewässer 2. Ordnung.“
Unerreichte Ziele
Was für kaputte Wassersysteme die Stadt da vor der Haustür hat, stellt die Vorlage auch sehr deutlich fest: „Die Zielvorgaben der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) hinsichtlich der Wasserqualität, -struktur und -menge bleiben bisher unerreicht. Ein wesentlicher Faktor ist der immer noch aktive Braunkohlebergbau im Leipziger Südraum, der mitverantwortlich für erheblich gestörte Grundwasserverhältnisse ist.
Darüber hinaus belasten Stoffeinträge aus Industrie, Verkehr, Landwirtschaft und Mischwassereinleitungen die Qualität von Oberflächen- und Grundwasser. Die Zustandsverbesserung hinsichtlich der chemischen und ökologischen Güte, der Gewässermorphologie, aber auch des Wasserdargebots ist nicht nur gesetzliche Pflichtaufgabe, sondern auch ein Kernelement der InWako.“
Aber das sind die Probleme, die es schon 2018 gab und die – wie jeder sehen kann – nicht gelöst wurden. Da nahm man auch im Umweltdezernat noch nicht wirklich ernst, was eigentlich der Klimawandel mit seinen radikal veränderten Niederschlagsverhältnissen für die Leipziger Gewässer auch noch bedeuten würde.
Inzwischen weiß man es: „Ursache und Grund für die Schärfung gleich mehrerer wasserwirtschaftlicher Herausforderungen ist der Klimawandel mit steigenden Temperaturen und häufiger werdenden Dürrephasen. Ausbleibende Regenfälle, zeitgleich mit Hitzewellen, wie sie zuletzt in den Trockenjahren 2018, 2019, 2020 und 2022 auftraten, stellen nicht nur ein Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung dar oder schädigen Gehölz- und Baumbestände, sondern belasten auch die Gewässerökosysteme enorm.
In Teichen, Bächen und Flüssen sinken die Wasserstände durch Verdunstungsverluste und/oder fallende Grundwasserpegel oder sie trocknen gar vorübergehend komplett aus. Projiziert wird darüber hinaus eine Verschiebung relevanter Niederschlagsereignisse in das Winterhalbjahr, wie den Datenprodukten des Regionalen Klimainformationssystem (ReKIS) für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen entnommen werden kann. Klimatische Veränderungen wirken sich demnach gleich in mehrfacher Weise auf den lokalen Gebietswasserhaushalt aus und sind hinreichend durch die Analysen der InWako zu adressieren.“
Wie rettet man Teiche und Bäche?
Kein Wunder, dass selbst SPD-Stadtrat Andreas Geisler staunte über so deutliche Worte. Die Vorlage enthält auch einige Beispiele, an welchen Gewässern und Gräben die Stadt arbeitet, um vor allem den Rückhalt von Wasser in der Landschaft zu verbessern. Denn wie Geisler betonte, war die Strategie bis jetzt immer, das Regenwasser so schnell wie möglich in die Kanalisation der Wasserwerke abzuführen. Mit dem Ergebnis, dass selbst existierende Staubecken binnen weniger Stunden wieder leer laufen. Von Teichen und Gräben ganz zu schweigen.
So führt die Vorlage das Beispiel Hohenheidaer Dorfteiche an: „Durch das Anlegen der Druckleitung vom Kindergartenteich zur Überschusswasserüberleitung in den Hohenheidaer Dorfteich in 2021/22 wird das Ziel verfolgt, sämtliche vier Hohenheidaer Teiche dauerhaft mit Wasser zu füllen. Auf diese Weise sollen Ökosystemleistungen, wie die Kühlwirkung, die Lebensraumfunktion, die Erlebbarkeit sowie das Orts- und Landschaftsbild erhalten werden. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme kann aufgrund der geringen Niederschlagsmenge im Jahr 2022 und des kurzen Zeitraumes nach Fertigstellung noch nicht abschließend beurteilt werden. Sie wird daher im Rahmen eines mehrjährigen Monitorings nachverfolgt und überprüft. In Abhängigkeit der Ergebnisse können dann weitere Bedarfe und Lösungen ermittelt werden.“
Am Lützschenaer Grenzgraben muss dringend am Thema Regenwasserrückhalt gearbeitet werden – ein Thema, bei dem man eng mit dem benachbarten Schkeuditz zusammenarbeiten muss. Die Wiederherstellung des Zuflussgebietes der Nördlichen Rietzschke mit Retensionsflächen und Rückgewinnung der „natürlichen Geländestrukturen der ehemaligen Gewässeraue“ wird genauso angeführt wie die stückweise Renaturierung der Östlichen Rietzschke, wo im vergangenen Jahr ja schon ein Stück Aue wieder erlebbar gemacht wurde. Zwei weitere Projekte sind in Mölkau und Stünz geplant.
Und auch die Freilegung von Pleiße- und Elstermühlgraben gehört in diese Konzeption.
Jetzt müssen auch die Gewerbetreibenden mitziehen
Wobei Andreas Geisler aus gutem Grund mahnte, die Gewerbetreibenden stärker mit einzubinden. Denn die haben nicht nur riesige Flächen versiegelt, sodass das Wasser dort nicht einmal versickern kann. Sie haben auch kaum Strukturen geschaffen, die das Wasser auf ihrem Gelände halten. Weshalb es z. B. einfach über Grenz- und Heidegraben abfließe und damit für den Wasserhaushalt verloren sei.
Aber die Vorlage kündigt auch eine Maßnahme an, die für die Seehausener ein Stück Natur wieder erlebbar machen wird: „Der bisher verrohrte Gewässerabschnitt zwischen Hohenheida und Seehausen (ehem. Seehausener Mühlgraben) soll offengelegt werden.“
Die Vorlage macht freilich auch deutlich, worin die Aufgabe inzwischen besteht, nachdem eigentlich über 150 Jahre die Devise galt: „Weg mit dem Wasser“. Jetzt geht es um die „Stabilisierung des Gebietswasserhaushalts“. Denn gerade die Jahre ab 2018 haben deutlich gemacht, dass es dabei eben nicht nur um Flüsse und Teiche geht, sondern auch um Grundwasserstände und die Rettung der oberirdischen Vegetation, die unter dem zunehmenden Wassermangel immer sichtbarer leidet.
Wahrscheinlich rannte Andreas Geisler mit seinen Wünschen inzwischen offene Türen ein.
Abstimmen musste der Stadtrat über diesen Umsetzungsstand für die neue Wasserkonzeption nicht, denn es war eine reine Informationsvorlage, mit der das Umweltdezernat jetzt zeigt, wie es künftig – auch mit den angrenzenden Kommunen – daran gehen will, das Wasserangebot in Leipzig zu stabilisieren.
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