Natürlich ist die AfD eine Partei von Vorgestern. Egal, wie oft ein Siegbert Droese behauptet, die Parteien in Berlin würden ausgerechnet aus dem AfD-Programm ihre Rezepte für die Asylpolitik abschreiben und die AfD zum Vordenker erklärt. Die Frage ist nur: für was? Ein abgeschottetes Deutschland mit Grenzen drumherum? Eine Festung Europa, die sich abriegelt gegen die Welt und innerlich so vergreist, wie die AfD-Fraktion im Leipziger Stadtrat? Am 31. Mai jedenfalls zog er alle Register der blauen Menschenverachtung.

Und das völlig vorbei an den Tatsachen, wie ihm hernach Grünen-Stadträtin Katharina Krefft bestätigte.

Nicht einmal die Tatsache, dass die Unterbringung von Asylsuchenden in Deutschland Weisungsaufgabe ist, hat Droese begriffen. Oder tat jedenfalls so, als hätte er es nicht begriffen. Denn das Thema ist ja nicht neu und wurde immer wieder in Bürgersammlungen, in Ortschaftsräten, in der Ratsversammlung geduldigst erklärt – doch wenn es darum geht, Menschen auf der Flucht zu markieren und zu diskriminieren, dann fängt die AfD immer wieder beim Urschleim an. Ihre Argumentation kennt seit 2015 nichts Neues.

Die Klimaflüchtlinge sind längst da

Und dass eine Ratsversammlung die Wahlfreiheit hätte, den Bau einer neuen Unterkunft für Geflüchtete in der Diezmannstraße zu verhindern, ist schlicht Augenwischerei. Natürlich hätte das der Stadtrat am 31. Mai tun können, als die Vorlage dazu zur Abstimmung kam. Aber dann hätte Leipzig wieder das Problem gehabt, eine andere Stelle finden zu müssen, wo eine Unterkunft für weitere 360 Menschen gebaut werden könnte.

Denn weltweit nehmen die Fluchtbewegungen zu. Im Himmel der AfD alles lauter Migranten, die nur der schönen deutschen Steuergroschen wegen ausgerechnet nach Deutschland kommen. Im Kosmos der AfD gibt es ja keinen Klimawandel, keine Diktaturen und Bürgerkriege, keine Länder, die unter Verwüstung und Zerstörung leiden und von wo Menschen aufbrechen in der Hoffnung, irgendwo einen friedlichen Hafen zu finden.

Und Weisungsaufgabe heißt eben nicht, dass die Stadtverwaltung anweist, die nötigen Asylunterkünfte zu bauen, weil sämtliche Kapazitäten erschöpft sind. Weisungsaufgabe heißt, dass alle Kommunen angewiesen sind, genügend Kapazitäten zur Unterbringung von Geflüchteten zu schaffen. Sie können sich der Aufgabe nicht verweigern.

Und natürlich kostet das Geld. Deshalb haben ja Sachsens Städte und Gemeinden beim sächsischen Finanzminister so viel Druck gemacht, damit Sachsen mehr Geld zur Schaffung von Flüchtlingsunterkünften bereitstellt. Sachsen ist keine Insel. Und wenn die Welt gerade in den vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen immer unbewohnbarer wird, dann kommen auch nach Sachsen immer mehr Menschen.

2028 soll die neue Unterkunft öffnen

An einem einzigen Punkt hat der wie ein selbstgerechter Patriarch auftretende Siegbert Droese recht: An den Fluchtursachen müsste was getan werden. Aber da passiert eben nichts. Denn die Hauptursache dafür, dass immer mehr Länder unbewohnbar werden, ist der durch den Lebensstil des bequem gewordenen Nordens verursachte Klimawandel.

Was also tun? Bis 2028 will die Stadt an der Diezmannstraße eine neue Flüchtlingsunterkunft für über 360 Menschen schaffen. Das einzige Problem ist, dass dort ein ausgewiesenes Gewerbegebiet liegt, also der Bebauungsplan geändert werden müsste, damit hier auch Wohnbebauung oder andere Nutzungen möglich werden.

Darüber diskutierten die anderen Fraktionen am 31. Mai, bevor – als die Diskussion längst beendet war – Siegbert Droese ans Rednerpult schritt, um den alten Sermon der ausländerfeindlichen AfD von sich zu geben. Völlig am Thema vorbei. Nur die Gelegenheit passte augenscheinlich bestens, um wieder um Wählergunst für Abschottungsideen aus der Klamottenkiste des 19. Jahrhunderts zu werben. Genau so klang diese Rede.

Und weil die Stadt zur Planung der Wohnanlage 3 Millionen Euro aus einem Schulprojekt umwidmete, damit überhaupt rechtzeitig Planungen beauftragt werden können, behauptete Droese gleich mal, die Mittel würden zweckentfremdet, dem Schulbau quasi entzogen.

Und außerdem – da knirschte es dann regelrecht in seiner Rede – seien das „deutsche Steuerzahlergelder“. Ein Topos, den er mehrfach wiederholte, ganz so, als wäre das ein ganz besonderes Verdienst der AfD, dass für Flüchtlingshilfe in Deutschland Geld bereitgestellt wird.

Übrigens immer mehr Geld bereitgestellt werden muss. Denn an den Fluchtursachen ändert sich ja nichts, außer dass die Verhältnisse in vielen kaputten Ländern immer schlimmer werden und immer mehr Menschen gezwungen sind, in der Flucht ihr Heil zu suchen.

Vogel Strauß hat ein Problem

Deutschland ist auf die Zukunft, die der Klimawandel bringt, nicht wirklich vorbereitet. Auch weil sich Leute in Blau, Gelb oder Schwarz immerfort selbst einreden, man könnte die Folgen des entfesselten Wohlstands einfach externalisieren. Und dann bleiben sie auch da. Beziehungsweise, die Menschen bleiben da, wo sie kein Wasser, keine Nahrung und keine Sicherheit mehr finden. Mit Vogel-Strauß-Politik ist das noch vorsichtig umschrieben.

Es ist im Angesicht der demografischen Entwicklung – nicht nur in Deutschland – auch eine dumme Politik. Sämtliche Branchen suchen händeringend nach Fachkräften, weil die seit Jahren halbierten Geburten- und Absolventenjahrgänge schlicht nicht mehr genügen, den Fachkräftebedarf zu decken. Sächsische Minister tingeln schon um den ganzen Globus, um überall Fachkräfte für Sachsen anzuwerben.

Der Fachkräftemangel erreicht auch in der Leipziger Wirtschaft einen neuen Höhepunkt, meldete gerade am Dienstag erst die IHK zu Leipzig. Wenn die AfD mit ihren Abschottungsideen durchkäme, dann würde Deutschland binnen weniger Jahre wirtschaftlich kollabieren, weil die wichtigsten Wirtschaftszweige nicht mehr funktionieren würden.

Eine Partei ohne Ideen

Aber mit seiner Rede machte Droese eben auch deutlich, dass die AfD eine Externalisieungspartei ist. Eine, die alle Probleme einer rücksichtslosen Konsumgesellschaft lieber irgendwo draußen vor den Landesgrenzen abladen möchte, ohne ein Rezept zu haben, wie die Zukunftsthemen im Land angepackt werden können.

Dass sie auch zur Kooperation unfähig ist, macht allein der von Droese benutze Terminus von den „Altparteien“ deutlich. Was schon sonderbar wirkt bei einer Partei, die mit den Rezepten des 19. Jahrhunderts versucht, die Probleme des 21. Jahrhundert wegzudiskutieren.

Und dann auch noch so zu tun, als könnte Leipzig die Weisungsaufgabe einer menschenwürdigen Unterbringung von Geflüchteten einfach abwählen. Das kann man nur in einem Land, in dem man Menschen auf der Straße, in Slums und in Zelten leben lässt, um sie schnell wieder in die Wüste abzuschieben.

Menschenwürde gehört aber nicht zum Wählerangebot der AfD. Das machte Droese mit seiner Rede mehr als deutlich.

Tatsächlich stimmten 40 Mitglieder der Ratsversammlung am 31. Mai für die Vorlage, bis 2028 eine Unterkunft für Geflüchtete an der Diezmannstraße zu bauen. Die acht AfDler stimmten natürlich dagegen. Die CDU-Stadträte enthielten sich der Stimme, aber nicht, weil sie die Unterkunft ablehnten, sondern weil ihnen der Linke-Antrag, eine Änderung des Bebauungsplanes zu prüfen, zu weit ging. Aber geprüft werden muss das trotzdem. Die Wirklichkeit und die Baugesetzgebung können manchmal ziemlich halsstarrig sein.

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Es gibt 3 Kommentare

Richtig verstanden. Die Heilung der Krankheit wird zwar in der falschen Medizin gesucht. Aber, warum soll man eine CDU, SPD, … wählen, die sich teilweise wie eine AfD gibt, wenn man das Original haben kann. Da unser politisches System keine Alternativen zulässt, sondern nur Schattierungen von Bürgerlichkeit liefern kann – Pech für die, die da herausfallen, bricht sich jetzt nach Dekaden von noch im „anständigen“ Mäntelchen gewandeter TINA das Bahn, was die Soziologie „rohe Bürgerlichkeit“ nennt. Weil unsere Zeit viele Merkmale einer Endzeit, eines Epochenendes trägt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Rettungsbootmetapher greift und das Boot eben voll ist.
Ich teile diese Haltung nicht, kann aber nachvollziehen, wie sie entstanden ist und sich ausbreitet.
Eigentlich ärgert mich, dass Herr Juhlke eine inhaltlich sehr kurze Meldung mit moralischen Wendungen aufbläst, den Balken im Auge nicht sieht, genauso ideologisch ist wie der Gegenstand seienr Kritik, nichts Neues zu dem von ihm in hunderten Artikeln Gesagtem hinzufügen kann, aber geistig auf dem Siegertreppchen der Aufklärung steht.

Ihr Satz “Es ist aber wahrlich zu viel verlangt, sich deswegen weiterhin an die gesellschaftlichen Kräfte zu halten, die seit Jahrzehnten enttäuscht haben und die Werte und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den sie beschwören, wieder und wieder aushöhlen und zerstören.” ist eigentlich ein Paukenschlag, sehr geehrter User “Thomas”. Da stecken nicht zuletzt Entwurzelung, Vereinzelung, Abgelöschtheit, Desillusionierung, Enttäuschung drin, und zwar bewirkt durch eine Übermacht an gesellschaftlichen Zerstörungskräften, so kommt der Satz bei mir an. Die Hauptfrage ist für mich schlicht, wie der oft riesige Druck, den die Gesellschaft allen reihum aufhalst, zurückgeführt werden kann auf ein Maß, dem nicht nur die Majorität, sondern alle gewachsen sein können. Und der Gesamtheit hilft es eben nicht, wenn sich verschiedene Minoritäten hinstellen als die Inkarnation des Guten an sich, ich sage nur “Kampf gegen MIV”, wo doch letzterer immerhin längst zurückzugehen begonnen hat. Daß die Polizei letzthin auf der Karl-Liebknecht-Straße so durchgriff, wie sie durchgriff, ist auch kein gutes gesellschaftliches Zeichen (wie auch die kriminelle Jagd auf Rechte mittels Vorschlaghammer, was ja vor Gericht behandelt worden war), wobei ich dazu aus CDU-Kreisen erfuhr, man stünde auch deshalb zum Durchgreifen der Polizei in Leipzig, um nicht noch mehr Wähler in Sachsen von der CDU zur AfD wechseln zu sehen.

Guten Tag Herr Juhlke,
wir stimmen sicherlich überein, dass die AfD wie auch die CDU sehr wenig konstruktive Gestaltungsmacht auf die Zukunft verschwendet.
Bei Ihrem Artikel stören mich aber zwei Dinge. Zum einen sind Sie außerordentlich selektiv bei Ursachen und Verursachern der weltweiten Migrationsbewegungen. Den “Lebensstil des bequem gewordenen Nordens” für den Klimawandel schuldig zu sprechen, ist Unfug. Ich und viele andere auch fahren keine drei Autos. Die “rücksichtslose Konsumgesellschaft” ist auch nicht naturgesetzlich entstanden. Auch der “Klimawandel, keine Diktaturen und Bürgerkriege”, die “Länder, die unter Verwüstung und Zerstörung leiden”, aber auch die Kriege, die Fluchtbewegungen auslösen, sind ebenfalls nicht vom Himmel gefallen. Und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument, dass jeder, der beteiligt ist, zu gleichen Teilen dazu beigetragen hat. Der “Norden” wie auch “die Menschen” sind so als Verursacher nicht existent.
Da kommen wir zum zweiten Problem Ihres Artikels. Den “Leute[n] in Blau, Gelb oder Schwarz” kann man sehr wohl auch noch welche in Rot, Grün und leider auch Rosa hinzufügen. Die aktuellen Aktivitäten unserer Innenministerin, die nahtlos die Politik der Seehofers (CSU) fortführt, wie es die AfD nicht besser vermöchte, eine EU und USA – staatliche Akteure mit alternativer Entscheidungsmöglichkeit, damit nicht abstrakt, die bedenkenlos weiter Mittel in das Schwarze Loch eines Krieges – neben anderen Kriegen – hineinkippen, obwohl dieser Krieg schon entschieden ist und lediglich seine Dauer variieren kann.
Ein geringer Anteil der Mittel, die weltweit für (angewandte) Militarisierung vernichtet werden, würde ausreichen, um sehr viele Notsituationen und Problemstellungen unserer vernetzten Erde zu beheben. Für Deutschland kommt noch das Phänomen hinzu, dass ein grüner Wirtschaftsminister und eine grüne Außenministerin in exemplarische Weise gegen die ursprünglichen Prinzipien und die angeblich Werte ihrer eigenen Partei agieren.
Herr Juhlke, Sie und ich, wir engagieren uns sicherlich mehr als andere in unserem Umfeld. Viele andere wollen oder können dies nicht. Ich kann dies nachvollziehen und habe dafür Respekt. Aber auch diese Menschen merken, wie sie an der Nase herumgezogen werden und wie egal sie den gesellschaftlichen Akteuren sind.
Die AfD ist mit Sicherheit keine Alternative, die zu einer sozialen Gesellschaft führt. Es ist aber wahrlich zu viel verlangt, sich deswegen weiterhin an die gesellschaftlichen Kräfte zu halten, die seit Jahrzehnten enttäuscht haben und die Werte und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den sie beschwören, wieder und wieder aushöhlen und zerstören.
Das gerade diese Woche wieder anschwellende AfD-Bashing wird daran nichts ändern, ebenso wenig wie Ihr selektiv formulierte Artikel, dem ich in der Sache zustimme.

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