Seit zehn Jahren hat Leipzig ein Jugendparlament. Im April wurde es neu gewählt. Doch von 46.685 wahlberechtigten Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren haben gerade einmal 2.722 an der Wahl teilgenommen. Das waren nicht einmal sechs Prozent. Eine Zahl, die seitdem auch die Verwaltung, den Jugendbeirat und das Jugendparlament selbst beschäftigt. Hat das Gremium keine Resonanz bei den Jugendlichen? Oder sollte es gleich wieder abgeschafft werden, wie AfD-Stadtrat Beyer am 31. Mai vollmundig verlauten ließ?
Genau das tat er, auch wenn CDU-Stadträtin Jessica Heller den beiden Grünen-Stadträten Schmidt und Volger vorwarf, sie würden Beyer gleich mal den Wunsch zur Abschaffung des Parlamentarismus unterstellen, wenn es um die Frage ginge, ob das Jugendparlament in dieser Form funktioniert.
Aber der Videoclip ist hier zu sehen. Genau das formulierte Beyer in Bezug auf das Jugendparlament.
Die Fragen, die seine Fraktion gestellt hatte, intendierten das nicht unbedingt. Aber ein wirkliches Interesse daran, eine wirksamere Arbeit des Jugendparlaments auf den Weg zu bringen, sieht anders aus. Denn natürlich gibt es zu denken, wenn nur so wenige Jugendliche die Chance nutzen, selbst mit abzustimmen für das Gremium, das die Interessen der Leipziger Jugendlichen auch mit Anträgen im Stadtrat (über den Jugendbeirat) sichtbar machen soll.
Dass das Gremium aktiv ist und oft mit seinen Anträgen auch Erfolg hat, ist keine Frage.
Aber auch in einer der Antworten des Demokratiereferats wird deutlich, dass die niedrige Wahlbeteiligung die Stadt durchaus beschäftigt: „Schon 2021 wurde das erzielte Ergebnis kritisch ausgewertet und Maßnahmen besprochen. Die Vorbereitung der Jugendparlamentswahl 2023 wurde durch die Stadt Leipzig intensiviert“, kann man da lesen.
„Es war seit 2021 ein ausdrückliches Ziel, den Bekanntheitsgrad des Jugendparlamentes unter jungen Menschen zu steigern. Eine Herausforderung in der Umsetzung war hierbei allerdings die einsetzende Pandemielage. Damit waren Veranstaltungen und Aktionen zur Steigerung des Bekanntheitsgrads des Jugendparlaments in Präsenz stark begrenzt. Erst im Frühjahr 2022 war es dem Jugendparlament wieder möglich, in Präsenz zusammenzukommen. Im September 2022 begann bereits die Zeit der Wahlvorbereitungen im Jugendparlament.“
Die Antworten des Demokratiereferats zum Jugendparlament.
Woran liegt die geringe Wahlbeteiligung?
Und wie Grünen-Stadtrat Michael Schmidt berechtigterweise betonte, waren auch die Corona-Jahre ein Einschnitt in dieser Popularisierung des Jugendparlaments. Und wenn sie etwas bewiesen haben, dann eben, dass Video-Konferenzen und andere digitale Angebote nicht die Bohne dabei helfen, das Jugendparlament und seine Arbeit unter jungen Leuten bekannter zu machen.
Neben einer informativen Seite der Stadt zum Jugendparlament gibt es auch eine, die das Jugendparlament selbst recht frisch und frech bespielt.
Aber auch das scheint wenig zu helfen, mehr junge Leute an der Wahl teilnehmen zu lassen. Und die Bekundungen mehrerer Redner in der sich entzündenden Diskussion zeigten eben auch, dass es sich nach zehn Jahren tatsächlich lohnt, intensiver darüber nachzudenken, wie man die Sache noch besser öffentlich machen kann.
Aber dazu gehört natürlich eine Analyse dazu, warum viele Jugendliche nicht an der Wahl teilnehmen. Nicht zu vergessen ist, dass ein Großteil der Wahlberechtigten – nämlich alle ab 18 Jahren – auch bei den ganz normalen Stadtrats- und Oberbürgermeisterwahlen wahlberechtigt sind. Es ist gut möglich, dass sie sich dadurch eher als Erwachsene definieren, denn als Jugendliche.
Einen weiteren möglichen Grund führt das Demokratiereferat in seiner Antwort an: „Eine weitere Begründung kann darin gesehen werden, dass die letzten 2 Jahre für alle Jugendlichen eine hohe Belastung dargestellt hat, die noch weiter fortwirkt. Es ist als möglich zu sehen, dass das Jugendparlament die (daraus folgenden) vordringlichen Themen der jungen Menschen nicht aufgegriffen hat, obwohl dies nötig gewesen wäre.“
Und dazu kommt, dass die Wahl in einem Zeitraum stattfindet, in dem viele Jugendliche schon in ihren Abschlussprüfungen stecken, also den Kopf wirklich mit anderen Dingen voll haben.
Wie wird man zum politisch interessierten Staatsbürger?
Aber das sind alles Vermutungen. Ebenso darf man fragen, ob die jungen Menschen schon politisiert sind oder sich überhaupt für städtische Themen interessieren. Einige sind es – das beweisen auch die Kandidaturen. Und das ist ein hohes Gut, junge Menschen für zwei Jahre in so ein Gremium zu wählen, wo sie ja tatsächlich ernsthafte Gremienarbeit mit hohem Zeitaufwand betreiben.
Politik ist nun einmal kein Spaß, sondern ernsthafte Arbeit. Zu der auch gehört, sich unter den Wahlberechtigten bekannt zu machen – also über die eigene Schule hinaus. Was durchaus schon ein Kraftakt ist. So gesehen darf man sich wirklich Gedanken darüber machen, wie die Arbeit des Jugendparlaments bekannter und transparenter gemacht werden kann – mit welchen medialen Mitteln das erfolgt.
Und wie das dann auch in der Wahlperiode wieder bei den Jugendlichen als Information ankommt. Bei Jugendlichen, die in einem Informationskosmos aufwachsen, in dem ernsthafte Nachrichten nicht unbedingt die besten Plätze in der Timeline innehaben.
Und natürlich stimmt es, dass viele junge Menschen es auch genießen, dass sie sich noch nicht mit der ernsthaften Politik abgeben müssen. Das ist auch ein Stück Freiheit. Hinter den Vorwürfen zur geringen Wahlbeteiligung steckt auch unüberhörbar der Vorwurf, dass die jungen Leute die Sache nicht ernst genug nehmen. Und es auch nicht als dringlich ansehen, letztlich ihre Stimme einer oder einem der Kandidierenden zu geben, ohne einen persönlichen Bezug zu ihr oder ihm zu haben.
Auch das wird in der Politik oft vergessen, wie viel Vertrauensvorschuss darin streckt, wenn man einem Kandidaten seine Stimme gibt. Obgleich es manchem Wähler nur um die Parteifarbe geht.
Die ganze Organisation des Leipziger Jugendparlaments spielt sich genau in diesem Vorraum ab, in dem junge Menschen erst nach und nach hineinwachsen in ihre Rolle als Staatsbürger und politische Wesen. Und auch in das Bewusstsein, dass man in einer Demokratie selbst aktiv werden muss, wenn man Dinge verändern will. Vielleicht braucht es dafür tatsächlich neue und andere Formate.
Und wenn man in die kleine Debatte hineinhorcht, dann steht eine Stadtratsmehrheit genau für die Diskussion, wie man das Ganze vielleicht besser machen kann.
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