Am Dienstag, 23. Mai 2023, sind es 160 Jahre seit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), aus dem später die SPD hervorging. Das will die Partei auch in Leipzig feiern, denn hier spielten sich einige zentrale Ereignisse ihrer Geschichte ab. Auch Fragen zur Aktualität und Anschlussfähigkeit der Sozialdemokratie will sich die Partei in ihrer kommenden Festwoche stellen.
Die älteste noch bestehende Partei Deutschlands gründete sich, um die Rechte von Arbeiter*innen zu verteidigen und zu verbessern. 160 Jahre später, so Pia Heine, Historikerin und Co-Sprecherin des AK Geschichte der SPD Leipzig, im Gespräch mit der Leipziger Zeitung (LZ), habe sich die Arbeitswelt enorm gewandelt. Die Frage stelle sich nicht, ob die Sozialdemokratie noch anschlussfähig sei, sondern wie sie sich mit der Zeit wandeln müsse.
Dafür plant die SPD in Leipzig Veranstaltungen, die sich explizit nicht nur an Mitglieder richten. Podiumsdiskussionen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Partei-Jugend Jusos sind geplant. Auch ein Friedensgebet findet am Montag vor dem Jubiläum statt und eine Stadtrundfahrt unter dem Titel „Orte der Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung in Leipzig“. Bisher sei das Interesse sehr rege, so Pia Heine.
Sozialreform oder Revolution?
„Leipzig ist eine der Wiegen der deutschen Sozialdemokratie“, so Pia Heine und Friedemann Meißner, ebenfalls Co-Sprecher des AK Geschichte. „Die letzten 160 Jahre haben gezeigt, dass weder Sozialistengesetze im Kaiserreich, noch das Verbot in Zeiten von Nationalsozialismus und DDR ihre Tradition und Werte brechen konnten. So war es auch die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP), die am 7. Oktober 1989 von mutigen Bürger*innen in Schwante gegründet wurde und damit als erste neu gegründete Partei den Herrschaftsanspruch der SED offen infrage stellte.“
Die Verbindung der Partei zu Leipzig betont Pia Heine vor allem durch die Gründung des ADAV, aus dem später die SPD hervorging, die 1863 im Leipziger „Pantheon“ stattfand. Das „Pantheon“ war eine Gaststätte auf der Dresdner Straße, die heute nicht mehr steht. Heute erinnert ein Gedenkstein an das Ereignis.
Auch Persönlichkeiten, die für die Partei eine wichtige Rolle gespielt hätten, so Pia Heine, hätten einen starken Leipzig-Bezug. So zum Beispiel Clara Zetkin, die erst in der SPD und später in der Unabhängigen SPD (USPD) aktiv war und einen Teil ihrer Jugend in Leipzig verbrachte. Sie wird als prägend für den 8. März, den Internationalen Frauentag bzw. Feministischen Kampftag gesehen und hat an der Zweiten Internationale mitgewirkt.
Das Gelände, auf dem 1897 die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung stattfand, die heute für ihre rassistischen Völkerschauen kritisiert wird, wurde 1955 in Clara-Zetkin-Park umbenannt, so wie ihn die Leipziger*innen auch heute noch kennen.
Auch Rosa Luxemburg spielte eine wichtige Rolle als Wortführerin der Linken in der SPD. Sie verbrachte einen Teil ihres Lebens in Leipzig. 1919 wurden sie und Karl Liebknecht durch eine „Bürgerwehr“ ermordet. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) publizierte damals ihre Artikelserie mit dem Titel „Sozialreform oder Revolution?“. Heute ist etwas ähnliches kaum noch vorstellbar: Weder von der LVZ, noch von der SPD bundesweit.
(Kritischer) Blick nach vorn
„Die Fragen einer sozial gerechten Gesellschaft stellen sich heute anders als vor 160 Jahren, sie sind jedoch nicht weniger drängend“, so Holger Mann, MdB der SPD für den Leipziger Norden. „Die faire Gestaltung der sich dynamisch wandelnden Arbeitswelt, die sozial-ökologische Transformation des Energie- und Verkehrssektors und der Zugang zu Wohnraum und sozialer Infrastruktur sind die Herausforderungen unserer Zeit, an denen wir arbeiten.“
Einen kritischen Blick auf die Partei wollen die Jusos werfen. „Uns war es wichtig, eine offene und kritische Veranstaltung zur Festwoche beizusteuern, deren Prämisse zusammengefasst werden kann als: Okay, jetzt ist die SPD 160 Jahre alt, aber Kapitalismus und soziale Ungleichheit gibt es immer noch – und jetzt?“, so Mats Rudolph, Vorsitzender der Jusos Leipzig. „(…) Wir müssen uns trauen, die großen Fragen zu stellen.“
Dabei geht es Rudolph um Verteilungsungerechtigkeit oder die Demokratisierung von Unternehmen. Es müsse nicht nur denen mehr gegeben werden, die wenig haben, sondern gesellschaftliche Machtverhältnisse müssten infrage gestellt werden. Bei der Podiumsdiskussion am kommenden Montag wollen sie erörtern, welche Themen und Kämpfe im Wahljahr 2024 in Sachsen im Vordergrund stehen müssen.
„Betrachten wir die großen Herausforderungen unserer Zeit und ihre Dringlichkeit, ob Klimakrise, Verteilungsungerechtigkeit oder der fortwährende Rechtsruck in Europa, dann sehe ich keine sozialistischen Antworten ohne eine linke Sozialdemokratie“, so Mats Rudolph. „Das ist kein Lob, sondern ein Auftrag an die progressiven linken Kräfte innerhalb der Partei, noch stärker auf diese Lösungen hinzuwirken. Denn viele Vorschläge und Forderungen gibt es bereits. Neue soziale Bewegungen und Gewerkschaften werden nicht müde, für diese zu kämpfen.“
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