Wer heute zum Kulkwitzer oder zum Cospudener See fährt, kann sich kaum noch vorstellen, was für eine Mondlandschaft hier einst zu sehen war. Wie das riesige Loch des Tagebaus Cospuden noch Anfang der 1990er Jahre aufgerissen da lag. Nur das Baggerquietschen war verschwunden. Hier war es der Leipziger Umweltbewegung im letzten Moment gelungen, die komplette Zerstörung des südlichen Auwaldes zu verhindern.
Denn nach den Plänen der DDR-Kohlewirtschaft wäre der Kohleabbau weit bis ins Leipziger Stadtgebiet vorangetrieben worden. Wer im profunden Buch „Bergbau und Umsiedlungen im Mitteldeutschen Braunkohlerevier“ blättert, kennt auch die Karten, auf denen zu sehen ist, wie der Braunkohlebergbau Leipzig regelrecht einkreiste.
Angefangen vom „Sperrplan“ zu Kohlelagerstätten von 1920, bei dem Leipzig wie eine Insel inmitten des Kohleabbaus gelegen hätte. Bis zu den 1987 verschriftlichen Plänen, nach denen sich der Tagebau Cospuden mindestens bis zum Leipziger Wildpark vorgearbeitet hätte.
Der erste Smog-Alarm in Leipzig
Es ist auch nicht mehr vorstellbar, wie hochbelastet Leipzig 1988 von Ruß und Schwefel war. Und nicht nur Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek erinnert sich an diesen Tag im November 1988, als im Radio der DDR erstmals eine Smog-Warnung für Leipzig ausgesprochen wurde. Etwas, was DDR-Bürger bis dahin nur aus dem Westen kannten oder aus Westberlin, wo augenscheinlich seit den 1970er Jahren immer eine insulare Smog-Lage entstand, die mit dem sonnigen Osten so gar nichts zu tu hatte.
Aber 1988 waren die Luftverschmutzungen gerade im Raum Leipzig schon so extrem geworden, dass die Regierung endlich auch zuließ, hier offizielle Smog-Warnungen vermelden zu lassen. Auch CDU-Stadträtin Sabine Heymann erinnert sich noch sehr gut an diese Zeit. Sie unterstützte am 8. Februar den neu gefassten Antrag der Grünen-Fraktion „Die Spur der Kohle und der Umweltbewegung in der DDR“.
Wobei es die „Spur der Kohle“ ja sogar schon gibt – sogar als Kohle-Dampf-Licht-Radroute, die man abradeln kann. Man kann den Bergbau-Technikpark am Markkleeberger See besuchen oder die Routen am Schladitzer und Werbeliner See im Leipziger Norden befahren, wo der Landkreis Nordsachsen mehrere Erinnerungsobjekte an den Kohlebergbau und die Zerstörung von Landschaft und Ortschaften aufgestellt hat.
Der neugefasste Grünen-Antrag zur „Spur der Kohle“.
Aber die Frage ist ja tatsächlich: Wie wird eigentlich im Leipziger Stadtgebiet an diese Kohle-Geschichte erinnert? Und vor allem an die Geschichte der Umweltbewegung in der DDR, die gerade in Mitteldeutschland besonders stark war, weil hier die Umweltbelastungen überall extrem ausgeprägt waren.
Der Protest „Stop Cospuden 1990“ war ja der Leipziger Höhepunkt in dieser Protestbewegung, der über 10.000 Menschen auf die Straße und den Tagebau Cospuden dann tatsächlich zum Stillstand brachte.
Doch wenn Leipzig Jahr für Jahr am 9. Oktober an die Friedliche Revolution erinnert, wird fast jedes Mal vergessen, welchen wichtigen Teil dabei die Umweltbewegung gespielt hat. Aber wie erinnert man daran?
Noch mehr Stelen und Gedenksteine in Leipzig und Umgebung? Das kann nicht der Weg sein.
Eine große Ausstellung für 2025/2026
So sah es auch das Kulturamt, als es zur ersten Fassung des Grünen-Antrags Stellung nahm. „Zielführender als eine ‚Spur der Kohle‘ wird der Vorschlag vom Stadtgeschichtlichen Museum (SGM) betrachtet, gemeinsam mit dem Amt für Archäologie im Jahr 2025 eine größere Sonderausstellung zu eben diesem Thema vorzubereiten. Die Sonderausstellung soll voraussichtlich im Jahr 2026 im SGM präsentiert werden. Die Kosten für die Ausstellung werden ermittelt sowie im Haushaltsplan 2025/2026 im Budget des Stadtgeschichtlichen Museums abgebildet“, schrieb es in seiner Stellungnahme, welche die Linke-Fraktion dann am 8. Februar gern abgestimmt sehen wollte.
Die Stellungnahme des Kulturamtes zum Grünen-Antrag.
Dabei hatten die Grünen den Verwaltungsstandpunkt mehr oder weniger übernommen und ihren Beschlussvorschlag auch geöffnet. Denn natürlich führt die Spur der Kohle nicht nur in die letzten rußigen Tage der DDR zurück, sondern bis ins 19. Jahrhundert, als die Braunkohle auch rund um Leipzig erstmals industriell abgebaut wurde, um die energiehungrige Industrie mit Brennstoff zu versorgen.
Worauf auch Sabine Heymann hinwies.
Was aber auch Implikationen hat. Denn wer das in seiner ganzen Dimension aufarbeitet, kommt an den Beginn der heutigen Klimakatastrophe. Es ist dieser „Raubbau an der Natur“ (Sabine Heymann), der auch den Beginn der massiven CO₂-Emissionen darstellt, die die heutige Klimaerwärmung in Gang gebracht haben. Man kann heute nicht einfach auf Länder wie China, Russland oder Indien zeigen. Die von Kohle befeuerten Industrienationen Europas waren die ersten, die diese Aufladung der Atmosphäre mit klimarelevanten Gasen in Gang gebracht haben.
Es kann eine spannende Ausstellung werden, die das Stadtgeschichtliche Museum da 2026 zeigt. Eine Ausstellung, die aber auch zeigt, welcher Stoff an Geschichte in der Leipziger Vergangenheit steckt und geradezu zu einer öffentlichen Aufarbeitung drängt.
Auch Lindenthal und Breitenfeld hätte es getroffen
„Auch im Nordraum von Leipzig gab es Widerstand gegen die Tagebauabbaufelder Breitenfeld, gegen die Verlegung des Flusses Lober und der Devastierung von Dörfern. Auch dort war ursprünglich geplant, den Lindenthaler Wald zu opfern und Breitenfeld abzubaggern“, stellt der Grünen-Antrag fest. Eine Feststellung, die SPD-Stadtrat Andreas Geisler dankbar aufgriff, der in seinem kurzen Beitrag daran erinnerte, dass er wegen Protest gegen die Kohlepläne der DDR sogar mal einen Tag im Arrest saß.
Aber nicht nur wäre – hätte man die Pläne aus der DDR-Zeit verwirklicht – eine achtspurige Autobahn quer durch das Ortsgebiet von Lindenthal geführt worden, wo Geisler lebt und seine Bäckerei hat. Der Ort Breitenfeld wäre ebenso verschwunden.
Was es, so die Grünen, eben umso wichtiger macht, an die Umweltbewegung zu erinnern, die den Protest gegen den Raubbau rund um Leipzig seit 1981 organisierte: „Das Verständnis der Umweltarbeit in Leipzig und auch die Bedeutung der Kohle für Leipzig ist bislang jedoch nicht ausreichend erinnerungspolitisch berücksichtigt. Dabei hatten auch die Umweltgruppen maßgeblich mit Einfluss auf den Zusammenbruch der DDR.
1981 etwa wurde die Arbeitsgruppe Umweltschutz als eine der ersten Ökologiegruppen in der DDR gegründet. Während sich die sogenannte AGU anfangs noch mit Einzelproblemen des Umweltschutzes befasste, wurden ab 1988 weitere gesellschaftliche Aspekte wie etwa Demokratiedefizite zur Sprache gebracht und das System grundlegend hinterfragt.
Anlass für die Gründung der AGU war insbesondere auch die Situation der Pleiße. Der Fluss Pleiße galt ursprünglich als Lebensader der Stadt Leipzig. Die Pleiße wurde ‚verrohrt, verschüttet, abgedeckt und unterirdisch abgeleitet‘, weil sie biologisch tot war und eine enorme Geruchsbelästigung darstellte. Im Volksmund als ‚Rio Phenole‘ bezeichnet, stand der Fluss beispielhaft für die Umweltsituation der Stadt und der geschundenen Region rings um Leipzig.
Der zunehmende Protest gipfelte im Pleißegedenkmarsch, der zu einer Welle von Repressionen führte und später auch in dem Buch ‚Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution‘ von Peter Wensierski und im gleichnamigen Film seinen Niederschlag fand. Der Pleißegedenkmarsch war dabei die erste große illegale Demonstration.“
Jürgen Kasek erinnerte in seiner Rede aber auch an die Aktion „Eine Mark für Espenhain“. Die Erinnerung an die Umweltbewegung könne also auch nicht an der Leipziger Stadtgrenze enden. Es brauche unbedingt auch die Verbindung in die Region.
Vorfreude ist angesagt
Der neu gefasste Antrag der Grünen nahm sowohl die Intention der Stadt auf, welche die große Ausstellung für 2025/2026 ins Zentrum stellte, als auch die Anregung, die Liste der zu erinnernden Ereignisse und Orte offener zu gestalten. Denn natürlich steckt immer beides drin, wenn man der „Spur der Kohle“ folgt: Die Geschichte des Kohleabbaus in der Region mit all ihren Folgen – und die Umweltbewegung, die die negativen Folgen dieser massiven Verbrennung fossiler Brennstoffe zum Thema macht.
Und das ist nicht nur ein grünes Thema, wie man am 8. Februar erleben konnte. Der Vorstoß der Linksfraktion, den Verwaltungsstandpunkt zum Beschluss zu bringen, scheiterte und fand nur bei 18 Stadträtinnen und Stadträten Zustimmung, während 32 dagegen stimmten und 12 sich enthielten. Umso deutlicher war das klare Votum von 50:11 Stimmen für den Grünen-Antrag, den Sabine Heymann und Andreas Geisler deutlich unterstützt hatten.
Auf die große Ausstellung 2025/2026 kann man sich heute schon freuen. Denn wenn sie richtig gut gemacht wird, wird sie auch zeigen, wie (brand-)aktuell das Thema heute noch immer ist. Und dass man die Erinnerung an diese Verwüstung der mitteldeutschen Landschaft unbedingt wachhalten muss.
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