Nicht nur in den Fraktionen des Leipziger Stadtrates trafen in den letzten Wochen die Alarmmeldungen ein. Auch das Leipziger Wirtschaftsdezernat ist alarmiert. Denn die massiven Budgetkürzungen für Eingliederungsmittel am Jobcenter Leipzig treffen längst auch den Kommunalen Eigenbetrieb Leipzig (KEE) in Engelsdorf. Dort sind nun auch Vollzeitstellen betroffen, wie Wirtschaftsbürgermeister Clemens Schülke am 9. Februar sagte.
Er stand Rede und Antwort zu einer Anfrage, welche die Linksfraktion gestellt hatte. Denn was stand eigentlich hinter den ganzen Alarmmeldungen dutzender Träger in Leipzig, dass ihre Projekte in Bausch und Bogen vom Jobcenter abgelehnt worden waren?
„Soziale Träger in Leipzig berichten übereinstimmend, dass es gegenüber dem Jahr 2022 zu einer massiven Streichung der Arbeitsgelegenheiten für das Jahr 2023 gekommen ist. Als Begründung wird unter anderem angeführt, dass die geringfügige Erhöhung der Aufwandsentschädigung (von 1,75 Euro auf 2,00 Euro), die sich an den Mehrkosten sowie der Inflation seit der letzten Erhöhung 2019 bemisst, zu dieser unverhältnismäßigen Kürzung geführt habe“, hatte die Linksfraktion ihre Anfrage erklärt.
„Bereits 2019 haben wir darauf hingewiesen, dass der Betrag je Stunde schon 2 Euro hätte betragen müssen. Dresden bezahlt diesen Betrag bereits seit 2020, also vor der Pandemie und der Inflation. Insbesondere soziale und gemeinnützige Arbeiten, die durch Menschen ohne realistischen Arbeitsmarktzugang und lange Erwerbslosenbiografien auf freiwilliger Basis verrichtet werden, können für eine gesellschaftliche Teilhabe und Wertschätzung der Menschen sorgen (Tätigkeiten in der Kleiderkammer, in Umwelt- und sozialen Projekten) und der erste Schritt auf dem Weg zu einer Erwerbsarbeit sein.
Zudem besteht so die Möglichkeit, den viel zu geringen Hartz-IV-Satz (jetzt Bürgergeld) anrechnungsfrei durch die Aufwandsentschädigung aufzubessern. In Zeiten der Energiekrise und Inflation eine nicht unbedeutende Kerngröße für die Betroffenen.“
Der Bund hat die Mittel um 60 Prozent gekürzt
Aber die Erhöhung der Aufwandsentschädigung ist nicht wirklich der Grund dafür, dass in diesem Jahr hunderte Stellen für Arbeitsgelegenheiten ersatzlos wegfallen. Tatsächlich hat der Bund die bereitgestellten Mittel für diese Form der Arbeitsintegration massiv zusammengestrichen.
„Im Rahmen der Planungsverhandlungen zu Bundesmitteln vereinbarte das Jobcenter Leipzig mit dem Träger Bundesagentur für Arbeit eine Kürzung der Plätze 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 60 %“, teilt das Leipziger Wirtschaftsdezernat mit.
Die Antwort des Wirtschaftsdezernats auf die Anfrage der Linksfraktion.
Diese drastische Mittelkürzung wirkt sich auch auf die für Arbeitsgelegenheiten bereitstehenden Mittel aus, die von 7,3 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 5,5 Millionen Euro abschmelzen. Dabei steigt dann zwar die Summe, die für die Mehraufwandsentschädigung der AGH-Beschäftigten zur Verfügung steht, von 1,2 auf knapp 1,5 Millionen Euro. Aber dafür trifft es die Träger, die diese Arbeitsstellen in Leipzig zur Verfügung stellen und auch betreuen müssen. Das ihnen zur Verfügung stehende Budget sinkt deutlich von 6,1 auf 4 Millionen Euro.
Und entsprechend sinkt auch die Zahl der vom Jobcenter bewilligten AGH. Mit den Worten des Wirtschaftsdezernats: „Im Rahmen des Interessenbekundungsverfahrens für AGH 2023 wurden von Trägern 125 Konzepte mit 1.384 Plätzen angeboten, wovon nach derzeitigem Planungsstand 504 für eine Bewilligung geplant sind.“
Logisch, dass Linke-Stadtrat Volker Külow bei seiner Nachfrage am 9. Februar im Stadtrat von einem regelrechten Kahlschlag sprach.
Es ist die gravierendste Kürzung auf dem Sozialen Arbeitsmarkt seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005.
Schulbibliotheken, Stadtreinigung, Caritas …
„Bereits die Antwort auf die Anfrage im Januar zeigte einen massiven Abbau der kommunalen Stellen nach dem Teilhabechancengesetz, der u.a. zu einer Gefährdung der Schulbibliotheken (27 Stellen) und der umfassenden Stadtreinigung (25 Stellen) führen wird“, kommentieren Sören Pellmann, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Stadtrat zu Leipzig, und Dr. Volker Külow, Sprecher für Soziales und Senior/-innen, diese Entwicklung, die auch wichtige kommunale Projekte bedroht.
Die Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion aus dem Januar.
Die Antwort auf die jüngste Anfrage, die dann in der Stadtratssitzung vom 9. Februar beantwortet wurde, konkretisiert abermals diese Sparmaßnahmen.
„Dem Sozialen Arbeitsmarkt droht darüber hinaus mit einer Absenkung um 60 Prozent bei den Arbeitsgelegenheiten (AGH) ein erheblicher Kahlschlag“, so Pellmann und Külow in ihrer gemeinsamen Wortmeldung.
„Viele sinnstiftende und für das Gemeinwohl zwingend erforderliche Tätigkeiten werden ab dem Jahr 2023 nicht mehr fortgeführt. Damit enden viele wichtige Projekte in den nächsten Wochen, wie die zahlreichen Hilferufe signalisieren, die uns in den letzten Tagen erreichten. Konkret wurden von den insgesamt 125 eingereichten Konzepten mit 1.384 Plätzen nur 504 Plätze für 2023 bewilligt. Die Träger erhielten kurzfristig vor Weihnachten die Mitteilung, dass die bis dato erfolgreich umgesetzten Tätigkeiten nicht mehr fortgeführt werden können.
Damit stehen u. a. der erfolgreiche Möbeldienst vom CaritasLADEN in Grünau, die Solidarische
Recyclingstation im Leipziger Westen, aber auch beim Kommunalen Eigenbetrieb Engelsdorf (KEE) die Schülerbegleitung, welche insbesondere migrantische Kinder in über 60 Schulen unterstützt, ohne jedwede Kompensation vor dem Aus.“
Für viele Menschen gingen dadurch ihr monatlicher Zuverdienst, eine soziale Infrastruktur, aber auch ein Ort für ungezwungene sozialpädagogische Unterstützungsleistungen verloren.
„In einer Zeit, in der wir eine Zunahme von psychosozialen Problemlagen beobachten und die gesellschaftlichen Herausforderungen eher größer werden, lassen wir viele Betroffene mit ihren Sorgen und Nöten allein“, so Pellmann und Külow.
„Das bereitet uns nicht nur großes Unbehagen, sondern dagegen muss auch dringend etwas getan werden. Wir wissen natürlich, dass diese dramatische Situation hauptsächlich auf das Versagen der Arbeitsmarktpolitik der Ampel-Regierung in Berlin zurückzuführen ist, denn hier wurden vom zuständigen Arbeitsministerium die Mittel für die arbeitsmarktpolitische Eingliederung bundesweit massiv gekürzt: Für Leipzig bedeutet das einen Rückgang von ca. 54,5 Millionen auf 48 Millionen Euro für arbeitsmarktpolitische Projekte, und das bei einer gleichzeitig sehr hohen Langzeitarbeitslosigkeit.
Es gibt aber auch hausgemachte Gründe, die maßgeblich vom Jobcenter Leipzig unter Leitung der Geschäftsführerin Frau Sabine Edner zu verantworten sind, die sich in der Trägerversammlung bislang recht ungerührt gegenüber den berechtigten Forderungen seitens der Leipziger Kommunalpolitik zeigte.“
Hausgemachte Gründe im Jobcenter Leipzig
Auch das wurde am 9. Februar noch einmal thematisiert. In der Trägerversammlung des Jobcenters ist zwar die Stadt Leipzig vertreten. Die Mandatsträger aus dem Stadtrat aber sitzen lediglich im Beirat des Jobcenters und durften dort in der Vergangenheit, so Sören Pellmann, nur Fragen stellen. Eigentlich darf und sollt der Beirat auch beraten können und der Jobcenter-Leitung helfen, maßgeschneiderte Angebote für die Stadt zu schaffen.
Doch von der Beratung, die Wirtschaftsbürgermeister Clemens Schülke als Aufgabe des Beirats sieht, merken die darin Versammelten augenscheinlich wenig.
„Erst auf Nachfrage im Stadtrat erfuhr die Kommunalpolitik, dass der Beirat des Jobcenters entgegen den bisherigen Aussagen der Geschäftsführung nicht nur ein Informationsgremium der Geschäftsführung ist, sondern dass dieser eine umfangreiche Beratungsfunktion für die Verteilung der Projekte hat“, so Pellmann.
„Dies wurde in der Vergangenheit immer wieder negiert. Der Sprecher der Bundesagentur für Arbeit lässt sich in der ‚Zeit‘ mit den Worten zitieren, dass der Soziale Arbeitsmarkt ein ‚hocherfolgreiches Instrument‘ sei. Wir teilen diese Auffassung. Vor diesem Hintergrund fordern wir alle Verantwortungsträger – angefangen beim Leipziger
Oberbürgermeister – auf, sich dieser massiven Problemlage unverzüglich anzunehmen und endlich mit der strategischen, kommunalen Steuerung des Jobcenters für die Stabilisierung des Sozialen Arbeitsmarktes zu beginnen.“
Mühsame Auszahlung der Aufwandsentschädigung
„Insofern ist es auch ein Skandal, dass die von unserer Fraktion durchgesetzte Erhöhung der Mehraufwandsentschädigungen (MAE) von 1,50 auf 2 Euro pro Stunde zum 1. Januar 2023 noch immer nicht flächendeckend ausgezahlt wird, wie gestern vom zuständigen Wirtschaftsbürgermeister und Vorsitzenden der Trägerversammlung Clemens Schülke zu erfahren war“, formulierten Pellman und Külow am 10. Februar ihren Frust.
„Gleichzeitig werden von dem ohnehin gekürzten Budget zusätzlich weitere 1,6 Millionen Euro für Verwaltungskosten des Jobcenters im Rahmen von Umschichtungen abgezogen. Allein mit diesen Mitteln könnten sehr viele Projekte wie bisher fortgeführt werden.“
Die Begründung des Jobcenters, warum trotzdem die Mittel für die Arbeitsgelegenheiten derart drastisch zusammengestrichen wurden, lieferte das Wirtschaftsdezernat aber auch gleich mit.
Das Argument dürfte seit den heftigen Diskussionen um die Einführung von „Hartz IV“ mit all seinen Sanktions-Instrumenten nur zu vertraut klingen: „Vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels in Deutschland verfügt der erste Arbeitsmarkt gegenwärtig über eine hohe Aufnahmefähigkeit. Die Kundinnen und Kunden des Jobcenters haben höhere Chancen als in der Vergangenheit auf dem ersten Arbeitsmarkt und werden im Prozess der Arbeitsaufnahme mit gezielt eingesetzten Instrumenten begleitet. Der Fokus des Jobcenters in 2023 liegt dementsprechend auf Weiterbildung und Vermittlung in Arbeit.“
Es gibt 2 Kommentare
Als bis Ende ´23 befristeter Schulbiliothekar ist meine Arbeitstelle direkt von diesem Sozial-Abbau betroffen. Eine Grundausstattung mit Büchern im Wert von 10.000€ wurde im Januar erst geliefert – und wird wohl in 10 Monaten schon nicht mehr nutzbar sein.
Wer hat da das SGB II nicht verstanden? Im § 44c wird die Trägerversammlung beschrieben und ihre Aufgaben. Arbeitsagentur und Kommune zu je gleichen Teilen. Wie kann es da zu einer offensichtlichen Ignoranz gegenüber kommunalen Fragen kommen?
Dass der Jobcenterbeirat nach § 18d ein zahnloser Papiertiger ist, ist ja schon länger bekannt. Dass er keinerlei wirkliche Funktionen hat, ist schon schlimm genug. Aber er muss laut Gesetz nichtmal angehört werden sondern ist auf Gedeih und Verderb der Trägerversammlung untertan.
Und dann nochmal zum besseren Verständnis, weil es in der Vergangenheit da mal bei einer anderen Geschäftsführung offensichtlich andere Kompetenzen und Aufgaben gab: die Geschäftsführung eines Jobcenters ist nur für die jeweiligen inneren Verwaltungsaufgaben zuständig? Also etwa Putzplan, Papierbeschaffung usw? Die Geschäftsführung hatte auch nichts mit Personalaufgaben und Eingliederungsmitteln zu tun? Lag nicht die Weisungsbefugnis bei der Trägerversammlung? Und im Jobcenter selbst lag die Verantwortlichkeit für das Handeln , also die Umsetzung des SGB II, auf Teamleiterebene?
Ich frag ja nur mal so, weil es da vor einigen Jahren mal ein Urteil gab …
Die Geschäftsführung darf sich von dem Gesamtbudget also Verwaltungskosten genehmigen. Höhere Verwaltungskosten gehen also zu Lasten von Vermittlungskosten. Gute Arbeit im Jobcenter soll auch gut bezahlt werden. Aber was ist gute Arbeit? Bescheide zum Nachteil der Antragsteller? Könnte nicht schon einiges an Verwaltungskosten eingespart werden, wenn von vornherein Bescheide rechtskonform und richtig erlassen werden würden? Man könnte sich so sicher zB einiges an Personalkosten in der Rechtsabteilung sparen. Die man dann bei Eingliederungsleistungen sinnvoller einsetzen könnte.
Aber vielleicht haben ich und viele andere Menschen das ja nur falsch verstanden? Vielleicht gehören Personalkosten in Vermittlung, Leistung und Rechtsstelle ja gar nicht zu den Verwaltungskosten? Ja dann … Gönnen wir den Reinigungskräften einen höheren Lohn. Die gehören ganz sicher zu den Verwaltungskosten.