Großen Teilen der Bevölkerung fällt es unheimlich schwer, sich von gewohnten Vorstellungen vom Normalen zu lösen. Das trifft nicht nur auf jene 54 Prozent zu, die sich in einer Civey-Umfrage für den beschleunigten Ausbau neuer Autobahnen ausgesprochen haben. Das trifft auch auf all jene zu, die Wohnen mit Status und Eigentum verbinden und mit Bildern vom selbst erworbenen Eigenheim. Dies klang auch in einer Stadtratsanfrage der Leipziger CDU-Fraktion an.
Die Anfrage bezog sich auf einen Beitrag im Quartalsbericht Nr. 2/2022, in dem sich Jans Vöckler mit „Trends im Umzugsverhalten Leipziger Familien“ beschäftigte und scheinbar alarmierende Aussagen traf, wie die CDU-Fraktion fand.
„Der neue Statistische Quartalsbericht der Stadt Leipzig macht umfangreiche Angaben zu den bereits seit Jahren anhaltenden Abwanderungstendenzen, die bei jungen Familien bestehen. Laut Bericht sei das ‚Hauptziel kommunaler Familienpolitik, attraktive Lebensbedingungen für Familien zu schaffen‘ (Stat. Jahresbericht, Seite 10). Der Bericht besagt auch: ‚Demgegenüber verlassen anteilig deutlich mehr Familien die Stadt als sich hier niederlassen‘”, las die CDU-Fraktion daraus.
Es ziehen also mehr junge Familie in den Leipziger Speckgürtel, als in die Stadt hineinziehen. Was übrigens logisch ist. Denn junge Menschen ziehen für gewöhnlich in die Großstadt, wenn sie ihr Studium oder ihre Ausbildung beginnen. Da haben sie noch keine Familie. Die gründen sie erst, wenn sie im Berufsleben Fuß gefasst haben. Dann erst steht die Entscheidung an, wo sie mit ihrer Familie wohnen möchten.
Trotz Wegzug stieg die Zahl der Haushalte mit minderjährigen Kindern
Aber da wird es dann schwierig in Leipzig. Was das Stadtplanungsamt jetzt in der Antwort auf die Anfrage recht genau erklärt: „Umzüge im Allgemeinen und die Wanderung über Stadt- und Landgrenzen hinweg stellen zunächst einmal normale Prozesse im Lebenszyklus von Menschen dar. Den zwischen 2016 und 2021 jährlich durchschnittlich rund 2.000 fortgezogenen Familien mit Kindern standen jährlich durchschnittlich auch 1.400 zugezogene Familien gegenüber. Zudem findet auch Familienbildung in Leipzig statt. Zwischen 2012 und 2021 stieg die Zahl der Haushalte mit minderjährigen Kindern von rund 41.600 Haushalten um mehr als 11.000 auf knapp 52.700 Haushalte an.“
Die Antwort des Stadtplanungsamtes.
Es ist also kein Absolutum, dass junge Familien prinzipiell die Stadt verlassen. Es ziehen nur mehr weg als zuziehen.
Und entsprechend betont das Stadtplanungsamt auch: „Aus Sicht der Stadtverwaltung ist eine bloße Betrachtung des Wanderungsverhaltens von Familien grundsätzlich keine ausreichende Grundlage für eine umfassende Beurteilung der kommunalen Familienpolitik. Die Beziehung von Ursache und Wirkung verschiedener familienpolitischer Maßnahmen und Rahmenbedingungen, welche auch nur teilweise der kommunalen Steuerung unterliegen, waren nicht Gegenstand der statistischen Analyse.“
Dass der Umzug ins Leipziger Umland vor allem eine Frage des Einkommens und des Wunsches nach Eigentumsbildung ist, hat ja dann der fortführende Artikel im Quartalsbericht Nr. 3/2022 deutlich herausgearbeitet. Die jungen Familien wandern nicht ab, weil die Leipziger Familienpolitik nicht funktioniert, sondern weil sie im Umland die Möglichkeit sehen, Wohneigentum zu erwerben.
Es fehlen vor allem bezahlbare Mietwohnungen für Familien
Und genau da sieht auch das Stadtplanungsamt das Problem.
„Dass die zunehmende Wohnungsmarktanspannung, verbunden mit teils erheblichen Preisanstiegen, der Mangel an bezahlbaren, ausreichend großen (Miet)Wohnungen und der Mangel an Bauland auch Familien bei der Wohnraumversorgung unter Druck setzen und einen Beitrag zu einer zunehmenden Suburbanisierung leisten, ist aus Sicht der Stadtverwaltung jedoch unstrittig“, formuliert es den eigentlichen Knackpunkt in dieser Diskussion.
Aber hier ist die Stelle mit den alten Vorstellungen von Normal, die auch im Stadtplanungsamt immer noch dominieren. Denn den leichten Frust darüber, dass der Stadtrat die Pläne der Stadt, im Stadtgebiet weitere Bauflächen für Eigenheime auszuweisen, gestoppt hat, kann man nicht überlesen: „Mit dem Beschluss zum Stadtentwicklungsplan Wohnbauflächen im Oktober 2022 hat sich die politische Mehrheit im Stadtrat gegen eine zügige Baurechtschaffung für den individuellen Wohnungsbau positioniert.
Gemäß Beschluss werden die Themen Wohnangebote für Familien sowie Generationswechsel in Einfamilienhaussiedlungen zunächst vertieft bearbeitet. Daraus sollen attraktive Alternativen zum individuellen Wohnungsbau im Rahmen der doppelten Innenentwicklung entwickelt werden. Darüber hinaus erfolgt eine Befassung zu weiteren Maßnahmen der Wohnraumversorgung von Familien und anderen Haushalten im Rahmen der aktuell laufenden Fortschreibung des Wohnungspolitischen Konzepts.“
Womit das Amt im Grunde sehr deutlich sagt, dass die Politik der Stadt an dieser Stelle so ein bisschen auf dem Kopf steht. Man gewichtet die Interessen der oberen Mittelschicht, die sich Wohneigentum leisten kann, höher als die der deutlich zahlreicheren anderen Familien, die vor allem eine familiengerechte Mietwohnung in der Stadt suchen. Und nicht finden, weil auch die Leipziger Wohnungspolitik nicht reparieren kann, was eine völlig verkorkste Bundeswohnungspolitik erst an Leerstellen erzeugt hat.
Der eigentliche Bedarf ist ein völlig anderer
Weshalb – auch nach Willen der Stadtratsmehrheit – der Schwerpunkt der Leipziger Wohnungspolitik woanders liegt.
„Gemäß Wohnungspolitischem Konzept sind bereits jetzt Familien aufgrund ihrer spezifischen Anforderungen an ihre Wohnung und ihr Wohnumfeld eine besondere Bedarfsgruppe der Leipziger Wohnungspolitik“, erklärt das Stadtplanungsamt. „Entsprechend wird die Umsetzung von Maßnahmen wie beispielsweise die soziale Wohnungsbauförderung, die kommunale Zusatzförderung für große Wohnungen, die Förderung kooperativer Wohnformen oder die Bereitstellung kommunaler Grundstücke für den Einfamilienhausbau im Erbbaurecht auch an den Bedarfen von Familienhaushalten ausgerichtet.“
Aber dass das ungenügend geschieht und vor allem Unterstützung aus Bund und Land fehlt, macht das Stadtplanungsamt deutlich, wenn es erklärt: „Im Rahmen der Fortschreibung des Wohnungspolitischen Konzeptes und in Umsetzung des o.g. Beschlusses zum Stadtentwicklungsplan Wohnbauflächen wird die Ausweitung von Maßnahmen, um die wohnungspolitische Zielstellung, Familien bei der Wohnraumversorgung zu unterstützen, geprüft und entsprechende Maßnahmen dem Stadtrat zum Beschluss vorgelegt. – Auf Ebene des Landes könnte eine Förderrichtlinie für preisgedämpften Wohnungsbau die Wohnraumschaffung für Familienhaushalte unterstützen.“
Aber die gibt es nicht. Es gibt nur die bewusst knapp gehaltene Zuweisung für sozialen Wohnungsbau in Höhe von 25 Millionen Euro, die hinten und vorne nicht reicht, die benötigten bezahlbaren Wohnungen zu bauen, welche Leipzig braucht.
Und das trifft dann eine völlig andere und viel größere Gruppe Leipziger Familien, die überhaupt nicht das Geld haben, sich Wohneigentum zuzulegen, die aber nach bezahlbaren familiengerechten Wohnungen im Stadtgebiet suchen.
Wenn aber jedes Jahr 1.000 solcher Wohnungen zu wenig entstehen, hat das Folgen. Viele junge Familien leben in viel zu kleinen Wohnungen. Und viele junge Eltern verkneifen sich den nächsten Kinderwunsch lieber.
Dass die klimapolitischen Aspekte und der Verlust wertvoller Böden dabei auch noch ausgeblendet werden, erzählt erst recht davon, dass hier veraltete Vorstellungen vom Normal diskutiert werden, die den Blick darauf verstellen, dass sich auch die Wohnungspolitik in Leipzig und Sachsen dringend verändern muss. Und natürlich das Denken darüber, wie eine familiengerechte Stadt eigentlich aussehen sollte.
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Das von Ihnen erwähnte Denken wurde uns 1990 erst mit Macht eingebläut. Man musste die Ex-DDR Bürger erst mal richtig erziehen. War ja alles falsch in der DDR. Siehe Wohnungspolitik, motorisierter Verkehr….