Wohnungslosigkeit oder der drohende Verlust der Wohnung ist auch in Leipzig für viele Menschen ein Problem. Zwar ist die Zahl der wohnungslosen Menschen in Leipzig nicht vergleichbar mit denen in Hamburg und Berlin, aber jeder wohnungslose Mensch ist einer zu viel. Die Stadt Leipzig hat sich 2020 der Aufgabe gestellt und ein Modellprojekt zur Unterbringung in eigenen Wohnungen entwickelt.
Am 28. April 2021 beschloss der Stadtrat Leipzig die Vorlage VII-DS-01659 –„Modellprojekt ‚Eigene Wohnung‘ zur Erprobung des Housing-First-Ansatzes in Leipzig“. Dem Beschluss ist der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, VII-DS-01659-ÄA-01, durch den Stadtrat inkludiert.
Projekt mit regem Diskussionsbedarf
Es gab eine rege Diskussion über den Änderungsantrag, weil der Passus „Das Projekt richtet sich an Personen, die: … einer sozialen Betreuung zustimmen, welche einen wöchentlichen Hausbesuch in der Wohnung der Teilnehmenden anzielt“, gestrichen werden sollte. Ersetzt wurde er schließlich durch „Teilnehmer/-innen wird eine soziale Betreuung, zu der auch Hausbesuche in der Wohnung gehören, angeboten.“
Der Stadtrat hat sich damit mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass wohnungslose Menschen, die sich für die Teilnahme am Projekt entschieden haben, als mündige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu behandeln sind. Somit können sie selbst über die Art und Weise einer sozialen Betreuung entscheiden.
Nach etwas über eineinhalb Jahren haben wir bei der Stadt Leipzig nachgefragt, ob und wie das Modellprojekt funktioniert.
Nachfolgend die Antworten, auf einige müssen wir noch bis zur Veröffentlichung der wissenschaftlichen Evaluation warten.
Dankenswerterweise hat die Stadt Leipzig uns zusätzlich mitgeteilt, dass in diesem Jahr neben der Finanzierung der Wohnkosten und der Projektkoordination für die soziale Begleitung der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer ca. 280.000 € aufgewendet werden.
Und wie sieht es heute aus? Die Antworten der Stadt
Auf welchen Wegen wurden wie viele wohnungslose Menschen von der Stadt Leipzig über das Angebot informiert?
Zu Beginn des Projektes wurde ein Flyer erstellt, der zur Registrierung für das Projekt diente. Dieser wurde über die Straßensozialarbeit, in den Beratungsstellen für wohnungslose Menschen, den Suchtberatungsstellen, den Tagestreffs sowie in den Notunterkünften verteilt und dort an interessierte Personen ausgehändigt.
Der Flyer wurde auch auf der Internetseite der Stadt Leipzig veröffentlicht. Ebenso konnten sich Interessierte direkt beim Sozialamt melden. Auch gesetzliche Betreuerinnen und Betreuer und Beschäftigte beim Jobcenter motivierten zur Registrierung. Die Anzahl der dadurch erreichten Menschen wurde nicht erhoben.
Wie viele wohnungslose Menschen äußerten ihr Interesse, bzw. ließen sich für das Projekt registrieren?
Im Registrierungszeitraum bis 31.07.2021 gingen 174 Registrierungen ein. Bis 31.12.2022 gingen 32 weitere Registrierungen ein.
Welche Aussagen zu Gründen für Wohnungslosigkeit, Geschlecht, Alter und anderer Angaben zur Sozialstruktur der Teilnehmenden können Sie machen? Interessant wäre hier auch, ob es sich um Alleinstehende oder auch Paare handelt.
Das Projekt wird wissenschaftlich evaluiert. Ein erster Zwischenbericht liegt vor und enthält auch soziodemografische Auswertungen der Teilnehmenden. Dieser Bericht wird in Kürze auf unserer Internetseite unter www.leipzig.de/projekt-eigene-wohnung veröffentlicht.
Die Zahl der Wohnungen für das Modellprojekt war mit 25 vorgesehen, konnten diese bereitgestellt werden?
Ja, die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) hat zur Umsetzung des Modellprojektes 25 Wohnungen an zuvor obdachlose Personen vermietet.
Davon ausgehend, dass die Bewerberanzahl über 25 lag, nach welchen Kriterien erfolgte eine Priorisierung?
Im Vorfeld wurden mehrere Dringlichkeitsstufen gebildet.
Dringlichkeitsstufe 1: Personen, die ohne Unterkunft auf der Straße, in Abrisshäusern oder Gartenlauben nächtigen oder seit vielen Jahren wechselnd auf der Straße und in Notunterkünften leben und multiple Problemlagen aufweisen. (52 Personen)
Dringlichkeitsstufe 2: Personen, die in Notschlafstellen, Übernachtungshäusern oder Therapieeinrichtungen untergebracht sind. (42 Personen)
Dringlichkeitsstufe 3: Personen, die als verdeckte Wohnungslose bei Bekannten und Verwandten unterkommen oder sich langfristig in Haft befinden. (80 Personen)
Gab es wohnungslose Menschen, die während der Registrierungsphase ihre Interessenbekundung wieder zurücknahmen? Wenn ja, sind Ihnen die Gründe bekannt?
Während der Registrierungsphase wurde keine Interessenbekundung zurückgezogen.
Gab es während der Projektzeit (Bewerbungszeit) Probleme mit der Erreichbarkeit von potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern, bzw. der Teilnahme derselben an Terminen?
Das Projekt möchte Menschen mit multiplen Problemlagen erreichen. Die Erreichbarkeit dieser potenziellen Teilnehmenden und deren Absprachefähigkeit hinsichtlich bevorstehender Termine war und ist mitunter problematisch. Infolgedessen wurde der Kennenlernprozesse angepasst und niedrigschwelliger gestaltet.
Wiederholungstermine wurden angeboten und die Räumlichkeiten der Tagestreffs genutzt, um Kennenlerngespräche zu führen. Die seinerzeitig geltenden Coronabedingten Zugangsbeschränkungen waren sicher auch Gründe, warum Termine nicht wahrgenommen wurden.
Wie viele der teilnehmenden wohnungslosen Menschen erfüllten die Kriterien der Priorisierung, nach welchen Methoden wurden die Wohnungen letztendlich vergeben?
Dringlichkeitsstufe 1: 52 Personen
Dringlichkeitsstufe 2: 42 Personen
Dringlichkeitsstufe 3: 80 Personen
Den 52 Personen aus der Dringlichkeitsstufe 1 wurden in einem Losverfahren Plätze vergeben. In der vorbestimmten Reihenfolge wurden diese Personen im Anschluss zu Kennenlerngesprächen eingeladen. Die Projektkoordinatorin der Stadt Leipzig sowie je eine Vertretung der sozialen Betreuung der Das Boot gGmbH und des Vermieters LWB entschieden demokratisch über die Aufnahme in das Projekt.
Jede/r Projektteilnehmende hat ein Wahlrecht aus drei Wohnungen. Es werden Exposés vorgelegt und daraus trifft sie/er die Entscheidung über eine Besichtigung. Sollte die besichtigte Wohnung nicht zusagen, besteht die Möglichkeit, auch die anderen Wohnungen zu besichtigen. Im Anschluss erfolgen die Formalien zum Mietvertragsabschluss.
In welchen Zeiträumen erfolgte der Bezug der vergebenen Wohnungen?
Auch dazu wertet der erste Zwischenbericht die Aktivitäten bis 01.08.2022 (20 Einzüge in Wohnungen) aus. Die Zeiträume von Projektaufnahme bis zum Bezug der Wohnung waren recht unterschiedlich. In zehn Fällen gelang der Einzug innerhalb von drei Monaten. In sieben Fällen konnte die Wohnung nach drei bis vier Monaten bezogen werden. Die erste Wohnung wurde zum 16.12.2021 bezogen.
Im Beschluss wurde ausdrücklich auf eine verpflichtende soziale Betreuung verzichtet, diese sollte auf Freiwilligkeit beruhen. Wie wurde diese angenommen?
Einer sozialen Begleitung stimmten alle Projektteilnehmenden zu.
Gab es in der bisherigen Phase schwerwiegende Probleme nach Bezug der Wohnung? Konnten diese gelöst werden, oder führten diese zur erneuten Wohnungslosigkeit, bzw. ist dies zu erwarten?
Zwei Mietverhältnisse mussten beendet werden. Eine Person ist infolgedessen erneut wohnungslos.
Wie schätzen Sie, wie schätzen die am Projekt teilnehmenden Menschen den bisherigen Verlauf ein?
Die Einschätzung des Projektverlaufs ist Aufgabe einer wissenschaftlichen Evaluation mit den dafür entwickelten Erhebungsinstrumenten. Dieser wird die Stadt Leipzig nicht vorgreifen.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
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