Am Ende stöhnte selbst Oberbürgermeister Burkhard Jung, als nach einer dreiviertel Stunde Diskussion endlich die seit einem Jahr heiß ersehnte Vorlage zur Familienfreundlichkeit der Ratsarbeit abgestimmt war. Und dabei wussten alle anwesenden Ratsmitglieder, dass das nur ein erster Schritt sein kann, dass sich Verwaltung und Rat noch viel mehr Gedanken machen müssen über die Frage, wie Familie und Ehrenamt vereinbar werden sollen.
Denn eigentlich ist beides kaum vereinbar. Das stellte schon Sophia Kraft (Grüne) im Mai 2022 in ihrer Abschiedsrede im Stadtrat fest. Sie war eine der Initiatorinnen des Antrags, der die Verwaltung dazu bringen sollte, ein Konzept zu erstellen, wie die Stadtratsarbeit familienfreundlicher werden kann. Wozu eben nicht nur die öffentlich wahrnehmbaren Stadtratssitzungen gehören, sondern auch die meistens nicht öffentlichen Ausschusssitzungen, in denen sämtliche Stadtratsvorlagen vorher diskutiert werden, Beiratssitzungen, Fraktionssitzungen und weitere Gremien wie z.B. Aufsichtsräte.
Die Verwaltung machte dazu etwas, was in dieser Form auch ein Novum war: Sie befragte die 70 Stadträtinnen und Stadträte zu ihrem Zeitaufwand, zu Kindern, Vorbereitungszeit, Beruf usw.
Die Befragungsergebnisse zur Familienfreundlichkeit der Stadtratsarbeit.
Ein zentrales Ergebnis dabei: „Die Stadträtinnen und Stadträte geben im Durchschnitt an, dass sie 83,6 Stunden für ihre ehrenamtliche Tätigkeit pro Monat einsetzen. Dies entspricht knapp 20 Stunden pro Woche. Für die Fachausschusssitzungen werden durchschnittlich 20,7 Stunden angegeben. Dies entspricht etwa drei Stunden pro Sitzung.
Für die Ratsversammlungen werden 14,4 Stunden pro Monat angegeben. Unter die sonstigen Gremiensitzungen fallen zum Beispiel der Ältestenrat, Auswahlkommissionen und Aufsichtsratssitzungen. Hierfür wenden die Ratsmitglieder im Durchschnitt fünfeinhalb Stunden jeden Monat aus.
Ein großer zeitlicher Faktor ist nach den Angaben der Ratsmitglieder die persönliche Sitzungsvorbereitung. Diese macht durchschnittlich 17,2 Stunden, über 20 Prozent des Zeitaufwandes für die Stadtratstätigkeit, aus. Auch die Bürgerkontakte und die Teilnahme an Veranstaltungen im Rahmen der Stadtratstätigkeit, wie zu städtischen Ehrungen und Eröffnungen, verursachen einen zeitlichen Mehraufwand von etwa 13 Stunden jeden Monat.“
Und natürlich können gerade die jungen Eltern im Stadtrat für all diese aufgewendeten Stunden oft nicht auf eine heimische Betreuung der Kinder durch den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin rechnen. Oft müssen sie dafür extra eine Kinderbetreuung buchen, da sich die Sitzungen oft bis weit in die Abendstunden ziehen. Und das kostet Geld. Erhebliche Summen, wie die Vorlage feststellt – bis zu 30.000 Euro im Jahr, die eben nicht von der Aufwandsentschädigung abgedeckt sind, welche die gewählten Ratsmitglieder bekommen.
Ein Punkt, an dem FDP-Stadtrat Sven Morlok wohl falsch liegt, wenn er meint, die Kinderbetreuung könnte aus der Aufwandsentschädigung bezahlt werden. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob jemand noch minderjährige Kinder daheim hat – immerhin 13 der 70 Ratsmitglieder – oder eben nicht.
Wenn Familie und Beruf die Bewerbung für den Stadtrat verhindern
Ein Ergebnis ist dabei eben nicht nur, dass viele Berufstätige sich gar nicht erst um ein Mandat im Stadtrat bewerben. Ein Thema, das Morlok besonders am Herzen liegt, weshalb er die Diskussion in der Ratsversammlung am 18. Januar nutzte, auch gleich eine Vorlage zur Vereinbarkeit von Ehrenamt und Beruf zu beantragen. Neben vielen Berufsgruppen sind nun einmal auch Eltern mit Kindern unterdurchschnittlich im Leipziger Stadtrat vertreten.
Die Zusammensetzung der Ratsversammlung ist in keiner Weise repräsentativ für die Leipziger Bevölkerung. Das zeigt schon die Grafik zum Durchschnittsalter, auch wenn von den 70 Stadträt/-innen nur 41 ihre Fragebögen abgegeben haben. Was auch wieder Fragen aufwirft: Nehmen die restlichen 29 das Thema überhaupt nicht erst? Ist ihnen die Repräsentativität des Stadtrats völlig egal? Oder haben sie nicht mal dafür die Zeit gefunden?
Denn von den Ratsmitgliedern, die geantwortet haben, sind 32 zwischen 40 und 59 Jahre alt. Da sind die Kinder in der Regel aus dem Gröbsten heraus oder sogar schon ganz aus dem Haus. Aber 32 von 41 sind nun einmal 78 Prozent. Dazu noch drei Stadträt/-innen über 60 (zwei davon offiziell schon Rentner). Nur sechs waren unter 40 Jahre alt.
Gute Frage: Wie will ein Stadtrat, in dem die Jahrgänge, die sich tatsächlich mit Familiengründung und Kindern beschäftigen, völlig unterrepräsentiert sind, eigentlich die Familiengerechtigkeit in der Leipziger Stadtpolitik steuern?
Das funktioniert nicht. Genauso wenig wie die familiengerechte Ausgestaltung der Stadtratsarbeit. Was in der Diskussion durchaus auch anklang. Etwa als die CDU-Fraktion die Antragspunkte zu einer Vergütung der Kinderbetreuung und die Schaffung einer bezahlten Betreuung während der Sitzungen infrage stellte, mit Hinweis auf eine Stadt, die sich das nicht mehr leisten könne.
Und auch wenn das von Jessica Heller kam, der CDU-Stadträtin, die vor einem Jahr den Antrag von Sophia Kraft sofort unterstützte. Am Ende geht es eben auch um die Finanzierung von Betreuungsstrukturen.
Gerade weil die meisten Sitzungen nach der normalen Berufstätigkeit stattfinden und eben keine Kita mehr geöffnet hat, um die Kinder zu betreuen.
Straffere Sitzungen erwünscht
Und das bei Sitzungen, die oft weit in die Abendstunden reichen und immer länger dauern. Es trifft nicht nur auf die Ratsversammlungen zu, die inzwischen – der Januar war direkt eine Ausnahme – fast regelmäßig zweimal pro Monat stattfinden. Die Gründe dafür wurden am 18. Januar nur gestreift – die wachsende Stadt mit den notwendig zunehmenden Beschlüssen etwa zu Schulneubauten gehört dazu.
Aber ein Thema machte die Befragung der Ratsmitglieder selbst schon deutlich. Denn Hauptbeschwerdepunkt war die wohl zum Teil katastrophale Sitzungsleitung, insbesondere in den Ausschüssen. Was dann selbst einen AfD-Mann wie Christoph Neumann beschäftigte, der am Rednerpult tatsächlich beklagte, dass nur Anträge behandelt werden sollten, „die auch wirklich in die Ratsarbeit gehören“.
Dass er dafür allein schon Lacher erntete, hatte ja seinen Grund in einem halben Dutzend AfD-Anträgen, die an diesem Tag Thema in der Ratsversammlung waren, und die allesamt abgelehnt wurden, weil sie nicht in die Ratsarbeit gehörten.
Es ist schon eine seltsame Fraktion, die fortwährend mit dem Finger auf andere zeigt, während sie die Sitzungen selbst – original Christoph Neumann – zu „zeitraubenden Quasselrunden von Selbstdarstellern“ werden lässt.
Damit meinte er zwar vor allem Ausschüsse und Beiräte. Aber in der Ratsversammlung selbst ist es ja auch für die Öffentlichkeit sichtbar.
Dort hat es die Ratsversammlung schon mit der seit Herbst 2022 praktizierten Redezeitbegrenzung für alle Fraktionen einzuhegen versucht. Aber unübersehbar ist noch jede Menge Puffer für überflüssige Anträge und „Quasselrunden für Selbstdarsteller“ drin.
Ein Weg, das in den Ausschüssen und Beiräten in den Griff zu bekommen, sind nun auch dort festgelegte Zeitbudgets, die sich die Ausschüsse selbst geben sollen, und Schulungsangebote für alle Sitzungsleiter/-innen, damit sie lernen, das Tagesprogramm straff und ohne sogenannte Quasselrunden durchzuziehen.
Nur ein erster Schritt
So stand es zum Beispiel im gemeinsamen Antrag von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und FDP-Stadtrat Sascha Matzke, den Tobias Peter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, vorstellte. Was dann auch den Berufstätigen hilft.
Insbesondere Grüne, Linke und Freibeuter hatten einige Anträge zur Konkretisierung der Verwaltungsvorlage eingebracht, was dann am Ende auch punktweise Abstimmung notwendig machte. Aber für Vorlage und Änderungen gab es klare Mehrheiten.
Die Ratsversammlung ging also, wie SPD-Stadträtin Christina März es ausdrückte, an diesem Tag den ersten Schritt zu mehr Familienfreundlichkeit. Auch wenn es wirklich nur der erste Schritt sein kann. Denn deutlich wurde auch, dass die Landeshauptstadt Dresden, die nur halb so viele Ausschüsse und Beiräte hat, nicht wirklich ein Vorbild ist.
Denn hinter dem gewachsenen Zeitaufwand für die Leipziger Ratsarbeit steckt nun einmal auch der Wunsch der Fraktionen, die elementaren Bedürfnisse der Stadt auch intensiv zu gestalten und nicht alles der Verwaltung zu überlassen.
Was auch ein deutliches Mehr an demokratischer Gestaltung bedeutet. Und manchmal resultiert es auch aus doppeltem und dreifachem Aufwand, weil die Verwaltung so manchen Beschluss nur zögerlich umsetzt, immer wieder verschiebt und den Stadtrat zum Nachfragen und Neu-Beauftragen zwingt. Was auch wieder Gründe hat – mal finanzielle, mal personelle.
Die Beschlussvorlage zur Familienfreundlichkeit der Stadtratsarbeit.
Mit dem Thema Familienfreundlichkeit, das am Ende das Thema Berufsverträglichkeit mit einschließen muss, wird sich die Leipziger Ratsversammlung noch öfter beschäftigen müssen.
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